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Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, I. Semester. I. Band.

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die männliche Kühnheit und schöne Leidenschaftlichkeit seiner Gesinnung, die echt
dichterische Tugend einer edlen Natur, die manchmal an seinen großen Landsmann
Schiller erinnert. Wir haben einen unablässig strebenden Dichter vor uns, der sich
noch lange nicht erschöpft zu haben scheint.

Da wir an einen solchen Mann schon einen strengeren Maßstab der Kritik an¬
zulegen berechtigt sind, so lasse" wir nicht unerwähnt, daß manches in die neue
Sammlung seiner Gedichte ausgenommen worden ist, was die Höhe seines Talentes
und seiner Bildung nicht erreicht, daß wir im Einzelnen entweder die scharfen
Linien seiner Individualität etwas verblaßt oder seine glücklichen lyrischen Stim¬
mungen nicht zur künstlerischen Abrundung herausgcstaltet finden.

Schälen wir aber den eigentlichen Kern des Buches heraus, so bietet uns dieser
genug, woran wir uns fast ungetheilt erfreuen können; ja es fehlt ihm nicht an
Vortrefflichen, wodurch unsere lyrische Literatur bereichert wird.

Unter den Liebesgedichten nimmt "Meine Königin" (S. 45 ff.) ohne Zweifel
die erste Stelle ein. Aus diesem ganzen Gedicht, das im Tone zwischen Lied und
Elegie die Mitte hält, athmet uns eine innige Wärme an, und besonders bezaubert
darin die Verschmelzung der menschlichen Seele mit den Umgebungen der Natur.
Die aus dem Herzen mild hervorquellende Sprache legt in metrischer Beziehung den
Vers des deutschen Nitterepvs oder den Hans-Sächsischen Vers mit seinen vier
Hebungen zu Grunde, folgt aber theils in der Zahl der letzteren, theils im Gebrauche
der Senkungen einem freien musikalischen Gefühl, wodurch der sprachliche Ton
überall den glücklichsten Ausdruck der wechselnden Stimmungen erreicht. Einzelne
Zeilen sind wunderschön, wogegen es auch nicht an vergriffenen Bezeichnungen fehlt.
Wenn sich dieses Gedicht unsern deutschen Minnclicdcrn würdig anreiht, so erinjicrt
^, ohne daß hierdurch seine Selbständigkeit verlöre, an den reizenden Gesang, den
Tieck seinem "Franz Stcrnbald" eingeflochten hat. -- Die Stimmung des Gedichtes
..Gründonnerstag" (S. 41 f.) ist individuell und warm, die Gestaltung etwas
^flössen, die volksliedcmrtige Sprache herzlich und mildschmelzend, doch nicht rein
öenug. Der Refrain begünstigt den melodischen Ausklang der Strophen. Die
"Reliquien" (S. 31) ähneln der Liedcrweise und haben eine durchgebildete, reine,
Melodische Form. -- "Der Glücksgöttin" ist in leichtem, anmuthigen Liedcstone
gesungen.

Einzelne Gedichte zeichnen sich durch ein seelenvolles Herausfühlen und lyrisches
Nachmalen von Naturstimmungen ans. Dahin gehören: "Maiseier" (S. 61 ff.),
'u lebendiger, warmer, schwungvoller Sprache. "Die Welt ist glücklich"
(S- 68), von einem sanften Schwunge getragen. "Dem Gott der Freude"
(S- 66). im sapphischcn Versmaße und antiken Tone, eine von lyrischem Feuer
durchglühte, zugleich erhabene und milde, sprachlich vollendete Ode. die eine rein
Musikalische Stimmung ausdrückt und von Seiten der lyrischen Beschreibung muster¬
est genannt werden kann. " S om in ern a chmittag " (S. 67). "Unter der
drücke" (S. 75 ff), ein Gedicht, das bei seiner lyrischen Anschaulichkeit, seiner
kußfesten, plastischen und gewandten (einigermaßen an Lenau erinnernden) Sprache
Mangel einer bedeutenden poetischen Idee empfinden läßt.


die männliche Kühnheit und schöne Leidenschaftlichkeit seiner Gesinnung, die echt
dichterische Tugend einer edlen Natur, die manchmal an seinen großen Landsmann
Schiller erinnert. Wir haben einen unablässig strebenden Dichter vor uns, der sich
noch lange nicht erschöpft zu haben scheint.

Da wir an einen solchen Mann schon einen strengeren Maßstab der Kritik an¬
zulegen berechtigt sind, so lasse» wir nicht unerwähnt, daß manches in die neue
Sammlung seiner Gedichte ausgenommen worden ist, was die Höhe seines Talentes
und seiner Bildung nicht erreicht, daß wir im Einzelnen entweder die scharfen
Linien seiner Individualität etwas verblaßt oder seine glücklichen lyrischen Stim¬
mungen nicht zur künstlerischen Abrundung herausgcstaltet finden.

Schälen wir aber den eigentlichen Kern des Buches heraus, so bietet uns dieser
genug, woran wir uns fast ungetheilt erfreuen können; ja es fehlt ihm nicht an
Vortrefflichen, wodurch unsere lyrische Literatur bereichert wird.

Unter den Liebesgedichten nimmt „Meine Königin" (S. 45 ff.) ohne Zweifel
die erste Stelle ein. Aus diesem ganzen Gedicht, das im Tone zwischen Lied und
Elegie die Mitte hält, athmet uns eine innige Wärme an, und besonders bezaubert
darin die Verschmelzung der menschlichen Seele mit den Umgebungen der Natur.
Die aus dem Herzen mild hervorquellende Sprache legt in metrischer Beziehung den
Vers des deutschen Nitterepvs oder den Hans-Sächsischen Vers mit seinen vier
Hebungen zu Grunde, folgt aber theils in der Zahl der letzteren, theils im Gebrauche
der Senkungen einem freien musikalischen Gefühl, wodurch der sprachliche Ton
überall den glücklichsten Ausdruck der wechselnden Stimmungen erreicht. Einzelne
Zeilen sind wunderschön, wogegen es auch nicht an vergriffenen Bezeichnungen fehlt.
Wenn sich dieses Gedicht unsern deutschen Minnclicdcrn würdig anreiht, so erinjicrt
^, ohne daß hierdurch seine Selbständigkeit verlöre, an den reizenden Gesang, den
Tieck seinem „Franz Stcrnbald" eingeflochten hat. — Die Stimmung des Gedichtes
..Gründonnerstag" (S. 41 f.) ist individuell und warm, die Gestaltung etwas
^flössen, die volksliedcmrtige Sprache herzlich und mildschmelzend, doch nicht rein
öenug. Der Refrain begünstigt den melodischen Ausklang der Strophen. Die
»Reliquien" (S. 31) ähneln der Liedcrweise und haben eine durchgebildete, reine,
Melodische Form. — „Der Glücksgöttin" ist in leichtem, anmuthigen Liedcstone
gesungen.

Einzelne Gedichte zeichnen sich durch ein seelenvolles Herausfühlen und lyrisches
Nachmalen von Naturstimmungen ans. Dahin gehören: „Maiseier" (S. 61 ff.),
'u lebendiger, warmer, schwungvoller Sprache. „Die Welt ist glücklich"
(S- 68), von einem sanften Schwunge getragen. „Dem Gott der Freude"
(S- 66). im sapphischcn Versmaße und antiken Tone, eine von lyrischem Feuer
durchglühte, zugleich erhabene und milde, sprachlich vollendete Ode. die eine rein
Musikalische Stimmung ausdrückt und von Seiten der lyrischen Beschreibung muster¬
est genannt werden kann. „ S om in ern a chmittag " (S. 67). „Unter der
drücke" (S. 75 ff), ein Gedicht, das bei seiner lyrischen Anschaulichkeit, seiner
kußfesten, plastischen und gewandten (einigermaßen an Lenau erinnernden) Sprache
Mangel einer bedeutenden poetischen Idee empfinden läßt.


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[0381] die männliche Kühnheit und schöne Leidenschaftlichkeit seiner Gesinnung, die echt dichterische Tugend einer edlen Natur, die manchmal an seinen großen Landsmann Schiller erinnert. Wir haben einen unablässig strebenden Dichter vor uns, der sich noch lange nicht erschöpft zu haben scheint. Da wir an einen solchen Mann schon einen strengeren Maßstab der Kritik an¬ zulegen berechtigt sind, so lasse» wir nicht unerwähnt, daß manches in die neue Sammlung seiner Gedichte ausgenommen worden ist, was die Höhe seines Talentes und seiner Bildung nicht erreicht, daß wir im Einzelnen entweder die scharfen Linien seiner Individualität etwas verblaßt oder seine glücklichen lyrischen Stim¬ mungen nicht zur künstlerischen Abrundung herausgcstaltet finden. Schälen wir aber den eigentlichen Kern des Buches heraus, so bietet uns dieser genug, woran wir uns fast ungetheilt erfreuen können; ja es fehlt ihm nicht an Vortrefflichen, wodurch unsere lyrische Literatur bereichert wird. Unter den Liebesgedichten nimmt „Meine Königin" (S. 45 ff.) ohne Zweifel die erste Stelle ein. Aus diesem ganzen Gedicht, das im Tone zwischen Lied und Elegie die Mitte hält, athmet uns eine innige Wärme an, und besonders bezaubert darin die Verschmelzung der menschlichen Seele mit den Umgebungen der Natur. Die aus dem Herzen mild hervorquellende Sprache legt in metrischer Beziehung den Vers des deutschen Nitterepvs oder den Hans-Sächsischen Vers mit seinen vier Hebungen zu Grunde, folgt aber theils in der Zahl der letzteren, theils im Gebrauche der Senkungen einem freien musikalischen Gefühl, wodurch der sprachliche Ton überall den glücklichsten Ausdruck der wechselnden Stimmungen erreicht. Einzelne Zeilen sind wunderschön, wogegen es auch nicht an vergriffenen Bezeichnungen fehlt. Wenn sich dieses Gedicht unsern deutschen Minnclicdcrn würdig anreiht, so erinjicrt ^, ohne daß hierdurch seine Selbständigkeit verlöre, an den reizenden Gesang, den Tieck seinem „Franz Stcrnbald" eingeflochten hat. — Die Stimmung des Gedichtes ..Gründonnerstag" (S. 41 f.) ist individuell und warm, die Gestaltung etwas ^flössen, die volksliedcmrtige Sprache herzlich und mildschmelzend, doch nicht rein öenug. Der Refrain begünstigt den melodischen Ausklang der Strophen. Die »Reliquien" (S. 31) ähneln der Liedcrweise und haben eine durchgebildete, reine, Melodische Form. — „Der Glücksgöttin" ist in leichtem, anmuthigen Liedcstone gesungen. Einzelne Gedichte zeichnen sich durch ein seelenvolles Herausfühlen und lyrisches Nachmalen von Naturstimmungen ans. Dahin gehören: „Maiseier" (S. 61 ff.), 'u lebendiger, warmer, schwungvoller Sprache. „Die Welt ist glücklich" (S- 68), von einem sanften Schwunge getragen. „Dem Gott der Freude" (S- 66). im sapphischcn Versmaße und antiken Tone, eine von lyrischem Feuer durchglühte, zugleich erhabene und milde, sprachlich vollendete Ode. die eine rein Musikalische Stimmung ausdrückt und von Seiten der lyrischen Beschreibung muster¬ est genannt werden kann. „ S om in ern a chmittag " (S. 67). „Unter der drücke" (S. 75 ff), ein Gedicht, das bei seiner lyrischen Anschaulichkeit, seiner kußfesten, plastischen und gewandten (einigermaßen an Lenau erinnernden) Sprache Mangel einer bedeutenden poetischen Idee empfinden läßt.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341803_284469/381>, abgerufen am 22.12.2024.