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Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, I. Semester. I. Band.

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Die Krisis in Oestreich.

Zur Einigung Oestreichs. Eine Denkschrift von O. Bernhard Fricdmann. 2. Aufl.
Wien und Leipzig. Literarisch-artistische Anstalt von C. Dittmarsch. 1865.

Die obige Schrift enthält zunächst eine indirecte Kritik der Februarverfassung
von 1861, die, im Januar 1862 geschrieben, das Schicksal dieses Versuchs, Oestreich
neu zu constituiren, voraussagt. Die Unmöglichkeit, auf diesem Wege Gedeih,
liebes und Dauerndes zu gestalten, hat sich seitdem zur Genüge herausgestellt,
und der Verfasser, damals von der schmerlingschen Partei vielfach angefeindet, .
hat mit seinen Ansichten vollkommen Recht behalten. Auch das Februarsystem
war nur ein Provisorium, das mit ihm gemachte Experiment ist gescheitert,
und der 20. September des letztverflossenen Jahres hat den ihm zu Grunde
liegenden Gedanken zu den Todten geworfen.

Die Frage der Existenz Oestreichs aber -- um keine geringere nämlich
handelt es sich -- ist mit der neuen Wendung der Dinge nicht gelöst, die Krisis
dauert fort, und noch immer ist guter Rath theuer in Wien. Ist somit eine
Polemik gegen die schmerlingschen Pläne überflüssig geworden, so behalten die
in unserer Schrift niedergelegten positiven Behauptungen noch jetzt ihren Werth,
zumal sie sich nicht mit einem Tasten an der Oberfläche begnügen, sondern
durch alle Illusionen hindurch der Sache auf den Grund gehen. Ja wir stehen
nicht an, die Grundgedanken des Verfassers, soweit sie sich aus Oestreich und
die Länder der ungarischen Krone beziehen, durchweg adoptirend. zu sagen, daß
nur dMch Eingehen auf das Wesentliche der hier gemachten Vorschläge von
Seiten der Negierung und nur durch Hinlenken nach dieser Richtung von Seiten
der deutschen Partei in Oestreich die Krisis einem glücklichen, für Oestreich wie
für Deutschland heilsamen Ausgang entgegenzuführen ist.

Jene Grundgedanken aber sind in der Kürze folgende: Keine der schwebenden
innern Fragen, weder die ungarische, noch die deutsche, noch eine andre, kann
für sich und einseitig gelöst werden; denn jede derselben ist zugleich eine aus¬
wärtige für Oestreich. Die "Gleichberechtigung der Nationalitäten" serner kann
nur innerhalb der culturhistorisch und politisch gebotenen Grenzen zur Ver"


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Die Krisis in Oestreich.

Zur Einigung Oestreichs. Eine Denkschrift von O. Bernhard Fricdmann. 2. Aufl.
Wien und Leipzig. Literarisch-artistische Anstalt von C. Dittmarsch. 1865.

Die obige Schrift enthält zunächst eine indirecte Kritik der Februarverfassung
von 1861, die, im Januar 1862 geschrieben, das Schicksal dieses Versuchs, Oestreich
neu zu constituiren, voraussagt. Die Unmöglichkeit, auf diesem Wege Gedeih,
liebes und Dauerndes zu gestalten, hat sich seitdem zur Genüge herausgestellt,
und der Verfasser, damals von der schmerlingschen Partei vielfach angefeindet, .
hat mit seinen Ansichten vollkommen Recht behalten. Auch das Februarsystem
war nur ein Provisorium, das mit ihm gemachte Experiment ist gescheitert,
und der 20. September des letztverflossenen Jahres hat den ihm zu Grunde
liegenden Gedanken zu den Todten geworfen.

Die Frage der Existenz Oestreichs aber — um keine geringere nämlich
handelt es sich — ist mit der neuen Wendung der Dinge nicht gelöst, die Krisis
dauert fort, und noch immer ist guter Rath theuer in Wien. Ist somit eine
Polemik gegen die schmerlingschen Pläne überflüssig geworden, so behalten die
in unserer Schrift niedergelegten positiven Behauptungen noch jetzt ihren Werth,
zumal sie sich nicht mit einem Tasten an der Oberfläche begnügen, sondern
durch alle Illusionen hindurch der Sache auf den Grund gehen. Ja wir stehen
nicht an, die Grundgedanken des Verfassers, soweit sie sich aus Oestreich und
die Länder der ungarischen Krone beziehen, durchweg adoptirend. zu sagen, daß
nur dMch Eingehen auf das Wesentliche der hier gemachten Vorschläge von
Seiten der Negierung und nur durch Hinlenken nach dieser Richtung von Seiten
der deutschen Partei in Oestreich die Krisis einem glücklichen, für Oestreich wie
für Deutschland heilsamen Ausgang entgegenzuführen ist.

Jene Grundgedanken aber sind in der Kürze folgende: Keine der schwebenden
innern Fragen, weder die ungarische, noch die deutsche, noch eine andre, kann
für sich und einseitig gelöst werden; denn jede derselben ist zugleich eine aus¬
wärtige für Oestreich. Die „Gleichberechtigung der Nationalitäten" serner kann
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[0343] Die Krisis in Oestreich. Zur Einigung Oestreichs. Eine Denkschrift von O. Bernhard Fricdmann. 2. Aufl. Wien und Leipzig. Literarisch-artistische Anstalt von C. Dittmarsch. 1865. Die obige Schrift enthält zunächst eine indirecte Kritik der Februarverfassung von 1861, die, im Januar 1862 geschrieben, das Schicksal dieses Versuchs, Oestreich neu zu constituiren, voraussagt. Die Unmöglichkeit, auf diesem Wege Gedeih, liebes und Dauerndes zu gestalten, hat sich seitdem zur Genüge herausgestellt, und der Verfasser, damals von der schmerlingschen Partei vielfach angefeindet, . hat mit seinen Ansichten vollkommen Recht behalten. Auch das Februarsystem war nur ein Provisorium, das mit ihm gemachte Experiment ist gescheitert, und der 20. September des letztverflossenen Jahres hat den ihm zu Grunde liegenden Gedanken zu den Todten geworfen. Die Frage der Existenz Oestreichs aber — um keine geringere nämlich handelt es sich — ist mit der neuen Wendung der Dinge nicht gelöst, die Krisis dauert fort, und noch immer ist guter Rath theuer in Wien. Ist somit eine Polemik gegen die schmerlingschen Pläne überflüssig geworden, so behalten die in unserer Schrift niedergelegten positiven Behauptungen noch jetzt ihren Werth, zumal sie sich nicht mit einem Tasten an der Oberfläche begnügen, sondern durch alle Illusionen hindurch der Sache auf den Grund gehen. Ja wir stehen nicht an, die Grundgedanken des Verfassers, soweit sie sich aus Oestreich und die Länder der ungarischen Krone beziehen, durchweg adoptirend. zu sagen, daß nur dMch Eingehen auf das Wesentliche der hier gemachten Vorschläge von Seiten der Negierung und nur durch Hinlenken nach dieser Richtung von Seiten der deutschen Partei in Oestreich die Krisis einem glücklichen, für Oestreich wie für Deutschland heilsamen Ausgang entgegenzuführen ist. Jene Grundgedanken aber sind in der Kürze folgende: Keine der schwebenden innern Fragen, weder die ungarische, noch die deutsche, noch eine andre, kann für sich und einseitig gelöst werden; denn jede derselben ist zugleich eine aus¬ wärtige für Oestreich. Die „Gleichberechtigung der Nationalitäten" serner kann nur innerhalb der culturhistorisch und politisch gebotenen Grenzen zur Ver« Vrenjliote» I. ISöti. 41

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341803_284469/343>, abgerufen am 22.07.2024.