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Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, I. Semester. I. Band.

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Vaters. Als Pathen mögen dazu noch genannt werden die Beliebtheit Josephs
des Zweiten unter den Aufgeklärten jener Zeit und der bayrische Erbfolgekrieg.

Vor uns liegt eine literarische Seltenheit, welche sich "Akademisches
Liederbuch" nennt. 1782 zu Dessau und Leipzig in der "Buchhandlung der
Gelehrten" erschienen ist und von einem Ungenannten herrührt, der in Hamburg
lebte und allem Anschein nach ein Holsteiner war. Die Sammlung ist "den
Lieblingen des Vaterlandes, den Sängern der weisen Freude und fröhlichen
Tugend, den Vätern Gleim und Uz. den geweihten Männern Bürger. Claudius,
Göckingk. Götter. Miller. Overbck. F. Stolberg. Unzer. Voß und allen, die
deutsche Herzen durch deutsche Lieder bilden" gewidmet und hat ein Motto aus
Klopstock. Als Zweck seines Unternehmens giebt der Herausgeber an "Reform
der Gesellschaftslieder", namentlich aber "Verädlung der akademischen Freuden",
zu deutsch: der Kneipabende und Commerse der Studentenwelt, die bei ihrer
damaligen wahrhaft abgründlichen Liederlichkeit und Rohheit allerdings einer
Einflößung anständigerer und sanfterer Empfindungen dringend bedürfte. Dieser
Zweck wird nur in bescheidenem Maße erreicht worden sein. Nach dem vor¬
gedruckten Subscribentenverzeichniß und nach dem Inhalt einiger Lieder war der
Gedanke, ein solches "verädeltes" Kommersbuch zusammenzustellen, fast nur in
Holstein und von einigen auf Universitäten des deutschen Binnenlandes studiren-
den Landsleuten des Herausgebers mit Wohlgefallen begrüßt worden. Die
Mehrzahl der Abnehmer sind Angehörige der dänischen Monarchie. 62 allein
von ihrer Gesammtzahl. die circa 2S0 beträgt, fallen auf Kiel. Leipzig ist mit
nur einem Namen. Halle und die meisten andern deutschen Universitäten sind
gar nicht im Verzeichnis; vertreten. Wir werden daher annehmen dürfen, unsre
Liedersammlung sei vor allem in Kiel, dann unter den zu Jena und Göttingen
zu studentischen Kränzchen vereinigten Holsteinern und Schleswigern in Gebrauch
gewesen, was durch jene Lieder, in welchen unter andern Christian der Siebente,
der "König auf dänischen Thron" gefeiert und ein "Vaterlandsgesang" "Auf
des besten Königs Wohl, den wir Dänen ehren"*) angestimmt wird, seine
Bestätigung erhält. Ein Theil der hier mitgetheilten Gesänge ging in andere
Sammlungen über, das Ganze scheint, da es zur Seltenheit geworden ist, keine
weitere Verbreitung gefunden zu haben.

Blättern wir in unserem Commersbuch, welches vielleicht das älteste ge"
druckte ist, so finden wir zunächst, daß es eine ziemlich gemischte Gesellschaft
beherbergt. Nicht, daß es auch unanständige Poesien aufgenommen hätte, wie
sie damals wie heute oder noch mehr wie heute in gewissen Kreisen der Studirenden
florirten. Im Gegentheil, die Auswahl ist nur Amoralisch und hat namentlich alles
Volksliedartige ausgeschlossen -- natürlich; denn welcher Liebhaber klopstockscher,



') Die rieler Studenten fühlten sich damals als Dänen, d, h. als zur dänischen Mom-
ie Gehörige. Von Schleswig-Holstein War erst vierzig Jahre später wieder die Rede.
Grenzboten I. 1866. ^ 38

Vaters. Als Pathen mögen dazu noch genannt werden die Beliebtheit Josephs
des Zweiten unter den Aufgeklärten jener Zeit und der bayrische Erbfolgekrieg.

Vor uns liegt eine literarische Seltenheit, welche sich „Akademisches
Liederbuch" nennt. 1782 zu Dessau und Leipzig in der „Buchhandlung der
Gelehrten" erschienen ist und von einem Ungenannten herrührt, der in Hamburg
lebte und allem Anschein nach ein Holsteiner war. Die Sammlung ist „den
Lieblingen des Vaterlandes, den Sängern der weisen Freude und fröhlichen
Tugend, den Vätern Gleim und Uz. den geweihten Männern Bürger. Claudius,
Göckingk. Götter. Miller. Overbck. F. Stolberg. Unzer. Voß und allen, die
deutsche Herzen durch deutsche Lieder bilden" gewidmet und hat ein Motto aus
Klopstock. Als Zweck seines Unternehmens giebt der Herausgeber an „Reform
der Gesellschaftslieder", namentlich aber „Verädlung der akademischen Freuden",
zu deutsch: der Kneipabende und Commerse der Studentenwelt, die bei ihrer
damaligen wahrhaft abgründlichen Liederlichkeit und Rohheit allerdings einer
Einflößung anständigerer und sanfterer Empfindungen dringend bedürfte. Dieser
Zweck wird nur in bescheidenem Maße erreicht worden sein. Nach dem vor¬
gedruckten Subscribentenverzeichniß und nach dem Inhalt einiger Lieder war der
Gedanke, ein solches „verädeltes" Kommersbuch zusammenzustellen, fast nur in
Holstein und von einigen auf Universitäten des deutschen Binnenlandes studiren-
den Landsleuten des Herausgebers mit Wohlgefallen begrüßt worden. Die
Mehrzahl der Abnehmer sind Angehörige der dänischen Monarchie. 62 allein
von ihrer Gesammtzahl. die circa 2S0 beträgt, fallen auf Kiel. Leipzig ist mit
nur einem Namen. Halle und die meisten andern deutschen Universitäten sind
gar nicht im Verzeichnis; vertreten. Wir werden daher annehmen dürfen, unsre
Liedersammlung sei vor allem in Kiel, dann unter den zu Jena und Göttingen
zu studentischen Kränzchen vereinigten Holsteinern und Schleswigern in Gebrauch
gewesen, was durch jene Lieder, in welchen unter andern Christian der Siebente,
der „König auf dänischen Thron" gefeiert und ein „Vaterlandsgesang" „Auf
des besten Königs Wohl, den wir Dänen ehren"*) angestimmt wird, seine
Bestätigung erhält. Ein Theil der hier mitgetheilten Gesänge ging in andere
Sammlungen über, das Ganze scheint, da es zur Seltenheit geworden ist, keine
weitere Verbreitung gefunden zu haben.

Blättern wir in unserem Commersbuch, welches vielleicht das älteste ge«
druckte ist, so finden wir zunächst, daß es eine ziemlich gemischte Gesellschaft
beherbergt. Nicht, daß es auch unanständige Poesien aufgenommen hätte, wie
sie damals wie heute oder noch mehr wie heute in gewissen Kreisen der Studirenden
florirten. Im Gegentheil, die Auswahl ist nur Amoralisch und hat namentlich alles
Volksliedartige ausgeschlossen — natürlich; denn welcher Liebhaber klopstockscher,



') Die rieler Studenten fühlten sich damals als Dänen, d, h. als zur dänischen Mom-
ie Gehörige. Von Schleswig-Holstein War erst vierzig Jahre später wieder die Rede.
Grenzboten I. 1866. ^ 38
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[0317] Vaters. Als Pathen mögen dazu noch genannt werden die Beliebtheit Josephs des Zweiten unter den Aufgeklärten jener Zeit und der bayrische Erbfolgekrieg. Vor uns liegt eine literarische Seltenheit, welche sich „Akademisches Liederbuch" nennt. 1782 zu Dessau und Leipzig in der „Buchhandlung der Gelehrten" erschienen ist und von einem Ungenannten herrührt, der in Hamburg lebte und allem Anschein nach ein Holsteiner war. Die Sammlung ist „den Lieblingen des Vaterlandes, den Sängern der weisen Freude und fröhlichen Tugend, den Vätern Gleim und Uz. den geweihten Männern Bürger. Claudius, Göckingk. Götter. Miller. Overbck. F. Stolberg. Unzer. Voß und allen, die deutsche Herzen durch deutsche Lieder bilden" gewidmet und hat ein Motto aus Klopstock. Als Zweck seines Unternehmens giebt der Herausgeber an „Reform der Gesellschaftslieder", namentlich aber „Verädlung der akademischen Freuden", zu deutsch: der Kneipabende und Commerse der Studentenwelt, die bei ihrer damaligen wahrhaft abgründlichen Liederlichkeit und Rohheit allerdings einer Einflößung anständigerer und sanfterer Empfindungen dringend bedürfte. Dieser Zweck wird nur in bescheidenem Maße erreicht worden sein. Nach dem vor¬ gedruckten Subscribentenverzeichniß und nach dem Inhalt einiger Lieder war der Gedanke, ein solches „verädeltes" Kommersbuch zusammenzustellen, fast nur in Holstein und von einigen auf Universitäten des deutschen Binnenlandes studiren- den Landsleuten des Herausgebers mit Wohlgefallen begrüßt worden. Die Mehrzahl der Abnehmer sind Angehörige der dänischen Monarchie. 62 allein von ihrer Gesammtzahl. die circa 2S0 beträgt, fallen auf Kiel. Leipzig ist mit nur einem Namen. Halle und die meisten andern deutschen Universitäten sind gar nicht im Verzeichnis; vertreten. Wir werden daher annehmen dürfen, unsre Liedersammlung sei vor allem in Kiel, dann unter den zu Jena und Göttingen zu studentischen Kränzchen vereinigten Holsteinern und Schleswigern in Gebrauch gewesen, was durch jene Lieder, in welchen unter andern Christian der Siebente, der „König auf dänischen Thron" gefeiert und ein „Vaterlandsgesang" „Auf des besten Königs Wohl, den wir Dänen ehren"*) angestimmt wird, seine Bestätigung erhält. Ein Theil der hier mitgetheilten Gesänge ging in andere Sammlungen über, das Ganze scheint, da es zur Seltenheit geworden ist, keine weitere Verbreitung gefunden zu haben. Blättern wir in unserem Commersbuch, welches vielleicht das älteste ge« druckte ist, so finden wir zunächst, daß es eine ziemlich gemischte Gesellschaft beherbergt. Nicht, daß es auch unanständige Poesien aufgenommen hätte, wie sie damals wie heute oder noch mehr wie heute in gewissen Kreisen der Studirenden florirten. Im Gegentheil, die Auswahl ist nur Amoralisch und hat namentlich alles Volksliedartige ausgeschlossen — natürlich; denn welcher Liebhaber klopstockscher, ') Die rieler Studenten fühlten sich damals als Dänen, d, h. als zur dänischen Mom- ie Gehörige. Von Schleswig-Holstein War erst vierzig Jahre später wieder die Rede. Grenzboten I. 1866. ^ 38

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341803_284469/317>, abgerufen am 22.12.2024.