Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, I. Semester. I. Band.Wir möchten dabei zunächst an den volkswirtschaftlichen Congreß nebst Wenn die wirthschaftlichen Vereine Deutschlands der Sache ihre Aufmerk¬ Wir möchten dabei zunächst an den volkswirtschaftlichen Congreß nebst Wenn die wirthschaftlichen Vereine Deutschlands der Sache ihre Aufmerk¬ <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0314" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/284784"/> <p xml:id="ID_1035"> Wir möchten dabei zunächst an den volkswirtschaftlichen Congreß nebst<lb/> den um ihn sich schaarenden Gesellschaften und Vereinen denken. Zwar scheint<lb/> die moralische Seite der Sache die ökonomische zu überwiegen; auch hat der<lb/> evangelische Kirchentag sich ihrer schon einmal mit einem Beschluß angenommen,<lb/> und V. A. Huber behauptet in der „Concordia" gradezu, sie finde ihre Träger<lb/> im Grunde nur innerhalb der der innern Mission ergebner Kreise, stehe bei<lb/> den Liberalen namentlich durchweg in keinem guten Geruch. Man könnte dies<lb/> im Wesentlichen zugeben, und müßte doch vielleicht aus der Erfolglosigkeit und<lb/> dem zunehmenden Absterben der bisherigen Agitation folgern, daß der Geist<lb/> der innern Mission sich in diesem Falle unzulänglich bewiesen und die Aufgabe<lb/> folglich an andere Kreise abzugeben habe. Was anders erklärt denn auch die<lb/> im Lager des Liberalismus herrschende Gleichgiltigkeit gegen die Verwüstungen<lb/> des Branntweingenusses, als daß man dort bisher an kein gedeihliches Zu¬<lb/> sammenwirken mit den Trägern der innern Mission auf irgendeinem öffentlichen<lb/> Gebiet zu glauben vermochte? Werden diese frommen und durchschnittlich ganz<lb/> wohlmeinenden Männer einmal darauf verzichten, allenthalben im Gefolge des<lb/> Absolutismus oder wohl gar in dessen Vortrab angetroffen zu werden, so wird<lb/> sich auch die Stimmung der Liberalen ändern. Man wird dann ihre Vorschläge<lb/> und Bestrebungen unbefangen würdigen, und wo es irgend thunlich ist, gern<lb/> mit ihnen Hand in Hand gehen. Mögen sie also zusehen, welche Bundes-<lb/> genossenschaft ihnen einträglicher zu werden verspricht, die der liberalen Wort¬<lb/> führer des Volkes, oder die der absolutistisch gesinnten Regierungen und Kirchen¬<lb/> gewalten. Wie wenig insbesondere die letzteren in Deutschland der Mäßigkeits¬<lb/> sache zugethan sind, geht aus einem vielsagenden Stoßseufzer hervor, der dem<lb/> Pastor Böttcher auf dem Congresse zu Hannover betreffs des dortigen Con-<lb/> sistoriums entschlüpfte — in Hannover, wo doch der König und die Minister das<lb/> Licht ihrer Gnade von jeher über der Mäßigkeitsbewegung haben leuchten lassen.<lb/> Aber diesen Kanzel- und Pfründeninhabern ist alle Sittenpredigt zuwider, die<lb/> nicht in den ihnen untergebnen Kirchen erschallt, und die Rechtgläubigkeit viel<lb/> wichtiger als die thatsächliche Errettung vom Fluch der Sünde.</p><lb/> <p xml:id="ID_1036" next="#ID_1037"> Wenn die wirthschaftlichen Vereine Deutschlands der Sache ihre Aufmerk¬<lb/> samkeit zuwenden wollen, so werden sie zunächst natürlich, und vielleicht aus¬<lb/> schließlich, die wirthschaftliche Seite derselben ins Auge fassen. Sie werden also<lb/> z. B. untersuchen, welchen Grad die im Branntweintrinken liegende Verschwendung<lb/> von nutzbaren Stoffen wie von menschlicher Kraft in Deutschland erreicht hat.<lb/> Aber schon dabei werden sie sowohl einerseits die eigentlichen Statistiker von<lb/> Fach, als andrerseits Naturforscher und Aerzte zur Hilfe zu nehmen haben,<lb/> damit diese den Werth oder Unwerth, den Nutzen und Schaden des Brannt¬<lb/> weins für den menschlichen Körper zuverlässig feststellen. Demnächst werden<lb/> sie übergehen zu der kritischen Frage, was gegen das erkannte Uebel nun zu</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0314]
Wir möchten dabei zunächst an den volkswirtschaftlichen Congreß nebst
den um ihn sich schaarenden Gesellschaften und Vereinen denken. Zwar scheint
die moralische Seite der Sache die ökonomische zu überwiegen; auch hat der
evangelische Kirchentag sich ihrer schon einmal mit einem Beschluß angenommen,
und V. A. Huber behauptet in der „Concordia" gradezu, sie finde ihre Träger
im Grunde nur innerhalb der der innern Mission ergebner Kreise, stehe bei
den Liberalen namentlich durchweg in keinem guten Geruch. Man könnte dies
im Wesentlichen zugeben, und müßte doch vielleicht aus der Erfolglosigkeit und
dem zunehmenden Absterben der bisherigen Agitation folgern, daß der Geist
der innern Mission sich in diesem Falle unzulänglich bewiesen und die Aufgabe
folglich an andere Kreise abzugeben habe. Was anders erklärt denn auch die
im Lager des Liberalismus herrschende Gleichgiltigkeit gegen die Verwüstungen
des Branntweingenusses, als daß man dort bisher an kein gedeihliches Zu¬
sammenwirken mit den Trägern der innern Mission auf irgendeinem öffentlichen
Gebiet zu glauben vermochte? Werden diese frommen und durchschnittlich ganz
wohlmeinenden Männer einmal darauf verzichten, allenthalben im Gefolge des
Absolutismus oder wohl gar in dessen Vortrab angetroffen zu werden, so wird
sich auch die Stimmung der Liberalen ändern. Man wird dann ihre Vorschläge
und Bestrebungen unbefangen würdigen, und wo es irgend thunlich ist, gern
mit ihnen Hand in Hand gehen. Mögen sie also zusehen, welche Bundes-
genossenschaft ihnen einträglicher zu werden verspricht, die der liberalen Wort¬
führer des Volkes, oder die der absolutistisch gesinnten Regierungen und Kirchen¬
gewalten. Wie wenig insbesondere die letzteren in Deutschland der Mäßigkeits¬
sache zugethan sind, geht aus einem vielsagenden Stoßseufzer hervor, der dem
Pastor Böttcher auf dem Congresse zu Hannover betreffs des dortigen Con-
sistoriums entschlüpfte — in Hannover, wo doch der König und die Minister das
Licht ihrer Gnade von jeher über der Mäßigkeitsbewegung haben leuchten lassen.
Aber diesen Kanzel- und Pfründeninhabern ist alle Sittenpredigt zuwider, die
nicht in den ihnen untergebnen Kirchen erschallt, und die Rechtgläubigkeit viel
wichtiger als die thatsächliche Errettung vom Fluch der Sünde.
Wenn die wirthschaftlichen Vereine Deutschlands der Sache ihre Aufmerk¬
samkeit zuwenden wollen, so werden sie zunächst natürlich, und vielleicht aus¬
schließlich, die wirthschaftliche Seite derselben ins Auge fassen. Sie werden also
z. B. untersuchen, welchen Grad die im Branntweintrinken liegende Verschwendung
von nutzbaren Stoffen wie von menschlicher Kraft in Deutschland erreicht hat.
Aber schon dabei werden sie sowohl einerseits die eigentlichen Statistiker von
Fach, als andrerseits Naturforscher und Aerzte zur Hilfe zu nehmen haben,
damit diese den Werth oder Unwerth, den Nutzen und Schaden des Brannt¬
weins für den menschlichen Körper zuverlässig feststellen. Demnächst werden
sie übergehen zu der kritischen Frage, was gegen das erkannte Uebel nun zu
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