Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, I. Semester. I. Band.wrangelsche Heer gewissermaßen die moralische Operationsbasis abgaben. Theils Kräftiger und in stetigerem Fortschritt hat sich die Bewegung erhalten in Am wichtigsten ist für uns, wie fast in allen socialen Fragen, der Vorgang 37*
wrangelsche Heer gewissermaßen die moralische Operationsbasis abgaben. Theils Kräftiger und in stetigerem Fortschritt hat sich die Bewegung erhalten in Am wichtigsten ist für uns, wie fast in allen socialen Fragen, der Vorgang 37*
<TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0311" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/284781"/> <p xml:id="ID_1028" prev="#ID_1027"> wrangelsche Heer gewissermaßen die moralische Operationsbasis abgaben. Theils<lb/> kam den Massen die junge Freiheit auch zu plötzlich hereingeschneit, als daß sie<lb/> nicht sie hätten mannigfach mißverstehen, mit dem Joche des bureaukratischen<lb/> Despotismus auch das Joch einer vernünftigen Selbstbeherrschung vielfältig<lb/> hätten abschütteln sollen. Die deutschen Mäßigkeits- und Enthaltsamkeitsvereine<lb/> gingen demnach bis auf schwächliche Reste zu Grunde, und erst in den letzten<lb/> Jahren hat hier und da ein noch ziemlich zaghafter Wiederbelebungsversuch<lb/> stattgefunden.</p><lb/> <p xml:id="ID_1029"> Kräftiger und in stetigerem Fortschritt hat sich die Bewegung erhalten in<lb/> den Ländern von gesicherter Freiheit, in England, Holland und Norwegen. In<lb/> Norwegen, wo sie etwa gleichzeitig wie in Deutschland ihren Anfang nahm und<lb/> diesen auf einen Kandidaten Namens Umdrehen zurückführt, rühmt sie sich, eine<lb/> große Umwandlung der Sitten hervorgerufen, die Trunkenheit in Verruf ge¬<lb/> bracht, den Branntwein aus der Mehrzahl der Bauernhäuser vollständig ver¬<lb/> bannt zu haben. Die dortigen Träger der Sache fürchten neuerdings sogar<lb/> nichts mehr als die errungenen Erfolge überschätzt zu sehen, indem der Storthing<lb/> im Jahre 1863, ihrer Meinung nach zu früh, seinen Beitrag von 2000 Species-<lb/> thalern auf die Hälfte herabgesetzt und eine gänzliche Einziehung desselben, als<lb/> nicht mehr erforderlich, in Aussicht gestellt hat.</p><lb/> <p xml:id="ID_1030" next="#ID_1031"> Am wichtigsten ist für uns, wie fast in allen socialen Fragen, der Vorgang<lb/> Englands. Auch dort gerieth die Angelegenheit in ein frisches Fahrwasser, als<lb/> das Mainegesetz und dessen Adoption durch so viele andre Staatengesetzgebungen<lb/> in Nordamerika bekannt wuroe. Die meisten englischen Mäßigkeitsfreunde ver¬<lb/> warfen es als tyrannisch und antienglisch. Andere, denen es recht erschien,<lb/> gründeten einen neuen großen Verein, die Uniteä Kirigäom ^Ilianes, und<lb/> diese überflügelte bald alle älteren. Indessen machte er der vorherrschenden<lb/> Abneigung gegen die Mainemaßregel das Zugeständnis daß er 18S6 eine soge¬<lb/> nannte Vermissivs LiU, „Erlaubnißgesetz", entwarf, welches die Entscheidung<lb/> in die localen Kreise zu verlegen bestimmt war, indem es den Gemeinden ge¬<lb/> stattete, das Feilhalten von berauschenden Getränken zu verbieten, so bald sich<lb/> zwei Drittel der steuerzahlenden Gemeindegenossen dafür erklärt hätten. Das<lb/> Gesetz war der kublie Rsaltlr ^.et und ähnlichen neueren Gesetzen nachgebildet,<lb/> welche den Gemeinden unter Voraussetzung einer solchen Zweidrittelmehrheit<lb/> erlauben, ihre Mittel zu bestimmt angeführten gemeinnützigen Zwecken zu ver¬<lb/> wenden. Nach achtjähriger Agitation glaubte man weit genug vorgerückt zu<lb/> sein, um den Gedanken der Permissive-Bill einer ersten parlamentarischen Probe<lb/> zu unterwerfen. Am 8. Juni 1864 erhob sich im Unterhause Mr. Wilfred<lb/> Lawson, Mitglied für Carlisle, und brachte mit einer verständigen und wohl¬<lb/> bemessenen Rede jenen Entwurf als Antrag ein, gestützt auf 1818 Petitionen<lb/> wie 337,000 Unterschriften aus allen Theilen des Landes. Der Antrag wurde</p><lb/> <fw type="sig" place="bottom"> 37*</fw><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0311]
wrangelsche Heer gewissermaßen die moralische Operationsbasis abgaben. Theils
kam den Massen die junge Freiheit auch zu plötzlich hereingeschneit, als daß sie
nicht sie hätten mannigfach mißverstehen, mit dem Joche des bureaukratischen
Despotismus auch das Joch einer vernünftigen Selbstbeherrschung vielfältig
hätten abschütteln sollen. Die deutschen Mäßigkeits- und Enthaltsamkeitsvereine
gingen demnach bis auf schwächliche Reste zu Grunde, und erst in den letzten
Jahren hat hier und da ein noch ziemlich zaghafter Wiederbelebungsversuch
stattgefunden.
Kräftiger und in stetigerem Fortschritt hat sich die Bewegung erhalten in
den Ländern von gesicherter Freiheit, in England, Holland und Norwegen. In
Norwegen, wo sie etwa gleichzeitig wie in Deutschland ihren Anfang nahm und
diesen auf einen Kandidaten Namens Umdrehen zurückführt, rühmt sie sich, eine
große Umwandlung der Sitten hervorgerufen, die Trunkenheit in Verruf ge¬
bracht, den Branntwein aus der Mehrzahl der Bauernhäuser vollständig ver¬
bannt zu haben. Die dortigen Träger der Sache fürchten neuerdings sogar
nichts mehr als die errungenen Erfolge überschätzt zu sehen, indem der Storthing
im Jahre 1863, ihrer Meinung nach zu früh, seinen Beitrag von 2000 Species-
thalern auf die Hälfte herabgesetzt und eine gänzliche Einziehung desselben, als
nicht mehr erforderlich, in Aussicht gestellt hat.
Am wichtigsten ist für uns, wie fast in allen socialen Fragen, der Vorgang
Englands. Auch dort gerieth die Angelegenheit in ein frisches Fahrwasser, als
das Mainegesetz und dessen Adoption durch so viele andre Staatengesetzgebungen
in Nordamerika bekannt wuroe. Die meisten englischen Mäßigkeitsfreunde ver¬
warfen es als tyrannisch und antienglisch. Andere, denen es recht erschien,
gründeten einen neuen großen Verein, die Uniteä Kirigäom ^Ilianes, und
diese überflügelte bald alle älteren. Indessen machte er der vorherrschenden
Abneigung gegen die Mainemaßregel das Zugeständnis daß er 18S6 eine soge¬
nannte Vermissivs LiU, „Erlaubnißgesetz", entwarf, welches die Entscheidung
in die localen Kreise zu verlegen bestimmt war, indem es den Gemeinden ge¬
stattete, das Feilhalten von berauschenden Getränken zu verbieten, so bald sich
zwei Drittel der steuerzahlenden Gemeindegenossen dafür erklärt hätten. Das
Gesetz war der kublie Rsaltlr ^.et und ähnlichen neueren Gesetzen nachgebildet,
welche den Gemeinden unter Voraussetzung einer solchen Zweidrittelmehrheit
erlauben, ihre Mittel zu bestimmt angeführten gemeinnützigen Zwecken zu ver¬
wenden. Nach achtjähriger Agitation glaubte man weit genug vorgerückt zu
sein, um den Gedanken der Permissive-Bill einer ersten parlamentarischen Probe
zu unterwerfen. Am 8. Juni 1864 erhob sich im Unterhause Mr. Wilfred
Lawson, Mitglied für Carlisle, und brachte mit einer verständigen und wohl¬
bemessenen Rede jenen Entwurf als Antrag ein, gestützt auf 1818 Petitionen
wie 337,000 Unterschriften aus allen Theilen des Landes. Der Antrag wurde
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