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Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, I. Semester. I. Band.

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Gewände gemacht hat. Und gewiß, im fremden Lande hat es seine feierlichen
Manieren ein wenig abgelegt. Aber kein Verständiger wird im Genusse sich
durch die Frage stören lassen, ob diese Fresken auch stilvoll sind, nämlich stil¬
voll in dem engbegrenzten Sinn, auf welchen man heutzutage das Wort ein¬
zuschränken liebt, indem man Stoff und Form nicht gehörig scheidet, und in
welchem strenge Theoretiker diese Eigenschaft für das Fresko unbedingt fordern.
Nein, in dem Sinne stilvoll sind sie nicht. Aber wer eingesehn hat, daß es
nicht ausschließlich bestimmte Stoffe sind, welche stilisirt werden können und
müssen, sondern daß jeder Gegenstand dies erträgt und jeder es fordert, sobald
er künstlerisch verwandt werden will; daß aber der Stil sich mit dem Stoffe
zu ändern hat und daß in der Reihe der Idealitäten, in deren Zusammenwirken
die Stilisirung sich vollzieht, an erster Stelle die Harmonie des Schmuckes mit
dem zu schmückenden Raume steht: der wird diese Fresken sehr wohl stilisirt
finden. An ein Landhaus malt man weder Schlachten noch jüngste Gerichte,
und ein Bauer braucht nicht durchaus so elastisch auszuschreiten wie der Apoll
von Belvedere. Aber jetzt, wo man eine richtersche Composition im Großen
vor sich sieht, wird man erst recht gewahr, wie edel die Zeichnung, wie rhythmisch
der Gliederbau, wie melodisch der Faltenwurf ist; wie schön die dargestellten
Dinge unter sich zusammenstimmen und wie kräftig das Ganze durch geschmack¬
volle Compositionslinien und durch das wohlempfundene Gesetz von Gewicht
und Gegengewicht beherrscht und zusammengehalten wird.

So sorgfältig sich Maler wie Zeichner die Bauern und die Tracht der
liebensteiner Gegend, die landschaftlichen Linien, den Baumschlag angesehen
und so gut sie ihre Studien verwandt haben, so dürfte man denn doch in der
Wirklichkeit dort zu Lande vergeblich nach einer so lieblichen Vesperbrod"
vertheilung. einem so poetischen Abcndempfange, einem so reizenden Kinder¬
tanze suchen, wie dergleichen hier nun zu sehen ist. Aber grade so viel realen
Lebens ist den Gestalten im Bild geliehen, um sie dem Beschauer aus der
Menge verwandt und sie wahrhaft volksthümlich zu machen. Darüber hinaus
haben sie noch ein Anderes, ein Fremdes an sich, das sie weit über ihn stellt,
aber dem eine geheime, emportragende, mit sich ziehende Gewalt inne wohnt.
So wird denn der Beschauer, der seine eigene Art im Bilde dargestellt sucht,
zwar das Gefühl haben: Das ist doch Fleisch von meinem Fleisch und Bein
von meinem Bei"! und er wird um der Aehnlickkeit willen interessirt für, aber
es mag ihm auch die dunkle Empfindung kommen, daß es doch eine schöne
Sache wäre, wenn er sein eigen Fleisch und Blut so artig zu führen verstände.
Und dergleichen Bewandtniß hat es ja überhaupt mit dem künstlerischen Eindruck.
Zuerst etwas Fremdes, Vornehmes, Ablehnendes, das die Vertraulichkeit nicht
aufkommen läßt, ein Etwas, das zu uns sagt: Geh hin. lege den Werkeltags-
menschen ab, such deine guten Gedanken zusammen, besinne dich aus deine


Gewände gemacht hat. Und gewiß, im fremden Lande hat es seine feierlichen
Manieren ein wenig abgelegt. Aber kein Verständiger wird im Genusse sich
durch die Frage stören lassen, ob diese Fresken auch stilvoll sind, nämlich stil¬
voll in dem engbegrenzten Sinn, auf welchen man heutzutage das Wort ein¬
zuschränken liebt, indem man Stoff und Form nicht gehörig scheidet, und in
welchem strenge Theoretiker diese Eigenschaft für das Fresko unbedingt fordern.
Nein, in dem Sinne stilvoll sind sie nicht. Aber wer eingesehn hat, daß es
nicht ausschließlich bestimmte Stoffe sind, welche stilisirt werden können und
müssen, sondern daß jeder Gegenstand dies erträgt und jeder es fordert, sobald
er künstlerisch verwandt werden will; daß aber der Stil sich mit dem Stoffe
zu ändern hat und daß in der Reihe der Idealitäten, in deren Zusammenwirken
die Stilisirung sich vollzieht, an erster Stelle die Harmonie des Schmuckes mit
dem zu schmückenden Raume steht: der wird diese Fresken sehr wohl stilisirt
finden. An ein Landhaus malt man weder Schlachten noch jüngste Gerichte,
und ein Bauer braucht nicht durchaus so elastisch auszuschreiten wie der Apoll
von Belvedere. Aber jetzt, wo man eine richtersche Composition im Großen
vor sich sieht, wird man erst recht gewahr, wie edel die Zeichnung, wie rhythmisch
der Gliederbau, wie melodisch der Faltenwurf ist; wie schön die dargestellten
Dinge unter sich zusammenstimmen und wie kräftig das Ganze durch geschmack¬
volle Compositionslinien und durch das wohlempfundene Gesetz von Gewicht
und Gegengewicht beherrscht und zusammengehalten wird.

So sorgfältig sich Maler wie Zeichner die Bauern und die Tracht der
liebensteiner Gegend, die landschaftlichen Linien, den Baumschlag angesehen
und so gut sie ihre Studien verwandt haben, so dürfte man denn doch in der
Wirklichkeit dort zu Lande vergeblich nach einer so lieblichen Vesperbrod«
vertheilung. einem so poetischen Abcndempfange, einem so reizenden Kinder¬
tanze suchen, wie dergleichen hier nun zu sehen ist. Aber grade so viel realen
Lebens ist den Gestalten im Bild geliehen, um sie dem Beschauer aus der
Menge verwandt und sie wahrhaft volksthümlich zu machen. Darüber hinaus
haben sie noch ein Anderes, ein Fremdes an sich, das sie weit über ihn stellt,
aber dem eine geheime, emportragende, mit sich ziehende Gewalt inne wohnt.
So wird denn der Beschauer, der seine eigene Art im Bilde dargestellt sucht,
zwar das Gefühl haben: Das ist doch Fleisch von meinem Fleisch und Bein
von meinem Bei»! und er wird um der Aehnlickkeit willen interessirt für, aber
es mag ihm auch die dunkle Empfindung kommen, daß es doch eine schöne
Sache wäre, wenn er sein eigen Fleisch und Blut so artig zu führen verstände.
Und dergleichen Bewandtniß hat es ja überhaupt mit dem künstlerischen Eindruck.
Zuerst etwas Fremdes, Vornehmes, Ablehnendes, das die Vertraulichkeit nicht
aufkommen läßt, ein Etwas, das zu uns sagt: Geh hin. lege den Werkeltags-
menschen ab, such deine guten Gedanken zusammen, besinne dich aus deine


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341803_284469/304>, abgerufen am 22.12.2024.