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Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, I. Semester. I. Band.

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der Gesetzgebung vorgerückt. Schon befaßt sich der schwedische Reichstag, wie¬
wohl seiner im December beschlossenen Reform noch nicht unterworfen, mit
Anträgen auf Einräumung voller Freizügigkeit und Gewerbefreiheit, letztere
auch auf die sogenannten freien Künste oder wissenschaftlichen Berufszweige und
auf das Schifffahrtsgewerbe erstreckt, an die Bewohner Norwegens und Däne¬
marks. Der norwegische Storthing, der unlängst nicht die verfassungsmäßige
Zweidrittelmehrheit aufzubringen vermochte für jährliche statt der dreijährigen
Storthings, wird doch voraussichtlich den Anträgen zustimmen, welche eine ge¬
meinsame Verfolgung des Nachdrucks durch ganz Skandinavien, die Aussetzung
von Stipendien für norwegische Jünglinge, welche in Upsala, Lund oder Ko¬
penhagen studiren wollen, und die auf Gegenseitigkeit beruhende Vollstreckvar-
keit der in Schweden und in Dänemark gefällten Gerichtsurtheile bezwecken. In
Kopenhagen stoßen alle diese Bestrebungen natürlich auf denselben tendenziösen
Widerstand, den der deutsch-französische Handelsvertrag jahrelang bei Bayern
und Würtemberg, der deutsch-italienische ganz neuerlich bei Hannover fand.
Allein ganz kann man sich in jenem Falle so wenig als in diesem der in dem
Einheitsdrange liegenden Vernunft entziehen, und so rückt der skandinavische
Gedanke immerhin auf diesem praktischen Wege unaufhörlich vorwärts. Man
hat denselben dort viel später betreten als wir, aber man wird uns bald über¬
flügeln, da man es nur mit einem einzelnen abgeneigten Hof zu thun hat,
wir mit ihrer zwanzig und einigen.




Literatur.

Carl Julius Bergius, Grundsätze der Finanzwissenschaft mit
besonderer Beziehung auf den preußischen Staat. Berlin, Guttentag, 1865.
511 S.

Ein Mann aus der guten alten preußischen Schule der Kraus, Krug und
Hoffmann, übrigens allen, welche sich um Volks- und Staatswirthschaft Preußens
einigermaßen eingehend bekümmert haben, durch eine Reihe verdienstvoller Schriften
längst bekannt, legt hier eine Ausarbeitung seiner an der breslauer Universität ge-
haltnen Vorlesungen über Finanzwissenschaft vor. Ein System im strengen Sinne
des Wortes ist das Buch nicht; denn obwohl es sich über alle Theile der Wissenschaft
nach einem bestimmten logischen Plane verbreitet, fehlt ihm doch die Vollständigkeit
und Gleichmäßigkeit, die wir, wenigstens in Deutschland, von einem Systeme bean¬
spruchen. Die Darstellung hat nichts Schulmäßiges und erinnert in der Zwang-
losigkeit, mit welcher sie die einzelnen Gegenstände aneinanderreiht, dann wieder
Zusammengehöriges trennt, fremde und eigene Ansichten nebeneinanderstellt, von
allgemeinen Untersuchungen zu speciellen historischen und statistischen Mittheilungen
und von diesen wieder zu jenen überspringt, bald über ganze Partien kurz hinweg-
Kcht, bald sich in Einzelnheiten ausbreitet, vielfach an die Engländer. Daß der
Verfasser seinen Weg aus der Praxis zum Katheder gefunden hat, zeigt sich unver¬
kennbar. Ueberall macht sich ein bis zu einem sichern Tact herausgcbildetes Ve"


der Gesetzgebung vorgerückt. Schon befaßt sich der schwedische Reichstag, wie¬
wohl seiner im December beschlossenen Reform noch nicht unterworfen, mit
Anträgen auf Einräumung voller Freizügigkeit und Gewerbefreiheit, letztere
auch auf die sogenannten freien Künste oder wissenschaftlichen Berufszweige und
auf das Schifffahrtsgewerbe erstreckt, an die Bewohner Norwegens und Däne¬
marks. Der norwegische Storthing, der unlängst nicht die verfassungsmäßige
Zweidrittelmehrheit aufzubringen vermochte für jährliche statt der dreijährigen
Storthings, wird doch voraussichtlich den Anträgen zustimmen, welche eine ge¬
meinsame Verfolgung des Nachdrucks durch ganz Skandinavien, die Aussetzung
von Stipendien für norwegische Jünglinge, welche in Upsala, Lund oder Ko¬
penhagen studiren wollen, und die auf Gegenseitigkeit beruhende Vollstreckvar-
keit der in Schweden und in Dänemark gefällten Gerichtsurtheile bezwecken. In
Kopenhagen stoßen alle diese Bestrebungen natürlich auf denselben tendenziösen
Widerstand, den der deutsch-französische Handelsvertrag jahrelang bei Bayern
und Würtemberg, der deutsch-italienische ganz neuerlich bei Hannover fand.
Allein ganz kann man sich in jenem Falle so wenig als in diesem der in dem
Einheitsdrange liegenden Vernunft entziehen, und so rückt der skandinavische
Gedanke immerhin auf diesem praktischen Wege unaufhörlich vorwärts. Man
hat denselben dort viel später betreten als wir, aber man wird uns bald über¬
flügeln, da man es nur mit einem einzelnen abgeneigten Hof zu thun hat,
wir mit ihrer zwanzig und einigen.




Literatur.

Carl Julius Bergius, Grundsätze der Finanzwissenschaft mit
besonderer Beziehung auf den preußischen Staat. Berlin, Guttentag, 1865.
511 S.

Ein Mann aus der guten alten preußischen Schule der Kraus, Krug und
Hoffmann, übrigens allen, welche sich um Volks- und Staatswirthschaft Preußens
einigermaßen eingehend bekümmert haben, durch eine Reihe verdienstvoller Schriften
längst bekannt, legt hier eine Ausarbeitung seiner an der breslauer Universität ge-
haltnen Vorlesungen über Finanzwissenschaft vor. Ein System im strengen Sinne
des Wortes ist das Buch nicht; denn obwohl es sich über alle Theile der Wissenschaft
nach einem bestimmten logischen Plane verbreitet, fehlt ihm doch die Vollständigkeit
und Gleichmäßigkeit, die wir, wenigstens in Deutschland, von einem Systeme bean¬
spruchen. Die Darstellung hat nichts Schulmäßiges und erinnert in der Zwang-
losigkeit, mit welcher sie die einzelnen Gegenstände aneinanderreiht, dann wieder
Zusammengehöriges trennt, fremde und eigene Ansichten nebeneinanderstellt, von
allgemeinen Untersuchungen zu speciellen historischen und statistischen Mittheilungen
und von diesen wieder zu jenen überspringt, bald über ganze Partien kurz hinweg-
Kcht, bald sich in Einzelnheiten ausbreitet, vielfach an die Engländer. Daß der
Verfasser seinen Weg aus der Praxis zum Katheder gefunden hat, zeigt sich unver¬
kennbar. Ueberall macht sich ein bis zu einem sichern Tact herausgcbildetes Ve»


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[0297] der Gesetzgebung vorgerückt. Schon befaßt sich der schwedische Reichstag, wie¬ wohl seiner im December beschlossenen Reform noch nicht unterworfen, mit Anträgen auf Einräumung voller Freizügigkeit und Gewerbefreiheit, letztere auch auf die sogenannten freien Künste oder wissenschaftlichen Berufszweige und auf das Schifffahrtsgewerbe erstreckt, an die Bewohner Norwegens und Däne¬ marks. Der norwegische Storthing, der unlängst nicht die verfassungsmäßige Zweidrittelmehrheit aufzubringen vermochte für jährliche statt der dreijährigen Storthings, wird doch voraussichtlich den Anträgen zustimmen, welche eine ge¬ meinsame Verfolgung des Nachdrucks durch ganz Skandinavien, die Aussetzung von Stipendien für norwegische Jünglinge, welche in Upsala, Lund oder Ko¬ penhagen studiren wollen, und die auf Gegenseitigkeit beruhende Vollstreckvar- keit der in Schweden und in Dänemark gefällten Gerichtsurtheile bezwecken. In Kopenhagen stoßen alle diese Bestrebungen natürlich auf denselben tendenziösen Widerstand, den der deutsch-französische Handelsvertrag jahrelang bei Bayern und Würtemberg, der deutsch-italienische ganz neuerlich bei Hannover fand. Allein ganz kann man sich in jenem Falle so wenig als in diesem der in dem Einheitsdrange liegenden Vernunft entziehen, und so rückt der skandinavische Gedanke immerhin auf diesem praktischen Wege unaufhörlich vorwärts. Man hat denselben dort viel später betreten als wir, aber man wird uns bald über¬ flügeln, da man es nur mit einem einzelnen abgeneigten Hof zu thun hat, wir mit ihrer zwanzig und einigen. Literatur. Carl Julius Bergius, Grundsätze der Finanzwissenschaft mit besonderer Beziehung auf den preußischen Staat. Berlin, Guttentag, 1865. 511 S. Ein Mann aus der guten alten preußischen Schule der Kraus, Krug und Hoffmann, übrigens allen, welche sich um Volks- und Staatswirthschaft Preußens einigermaßen eingehend bekümmert haben, durch eine Reihe verdienstvoller Schriften längst bekannt, legt hier eine Ausarbeitung seiner an der breslauer Universität ge- haltnen Vorlesungen über Finanzwissenschaft vor. Ein System im strengen Sinne des Wortes ist das Buch nicht; denn obwohl es sich über alle Theile der Wissenschaft nach einem bestimmten logischen Plane verbreitet, fehlt ihm doch die Vollständigkeit und Gleichmäßigkeit, die wir, wenigstens in Deutschland, von einem Systeme bean¬ spruchen. Die Darstellung hat nichts Schulmäßiges und erinnert in der Zwang- losigkeit, mit welcher sie die einzelnen Gegenstände aneinanderreiht, dann wieder Zusammengehöriges trennt, fremde und eigene Ansichten nebeneinanderstellt, von allgemeinen Untersuchungen zu speciellen historischen und statistischen Mittheilungen und von diesen wieder zu jenen überspringt, bald über ganze Partien kurz hinweg- Kcht, bald sich in Einzelnheiten ausbreitet, vielfach an die Engländer. Daß der Verfasser seinen Weg aus der Praxis zum Katheder gefunden hat, zeigt sich unver¬ kennbar. Ueberall macht sich ein bis zu einem sichern Tact herausgcbildetes Ve»

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341803_284469/297>, abgerufen am 22.07.2024.