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Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, I. Semester. I. Band.

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darauf wieder etwas gefüllt, so kam ein Missionär von Muzaffirpur in einem
Boote zu Besuch, und siehe da, kaum hatten die Mädchen das Fahrzeug ge¬
sehen, so liefen die meisten weinend nach Hause, indem sie ausriefen: "Jetzt
sollen wir gewiß eingepackt und in die englische Oelmühle fortgeschafft werden."

Die Misstonsschulen sind von großem Einfluß auf das Volk und liefern
einen Theil der Christen, weiche die Register der Missionäre aufweisen. Die
Zahl der getauften Kinder ist zwar noch gering, da der Uebertritt zum Christen¬
thum denselben Verlust ihrer Kaste, Ausstoßung aus ihrer Familie und Ent¬
erbung zuzieht; aber manche begeben sich in späteren Jahren in fremde Orte,
wo sie niemand kennt, und lassen sich dort taufen. Noch mehr Proselyten ge¬
winnt man durch die Waisenhäuser, die sich auf vielen ostindischen Missions¬
anstalten befinden. Auch in Ghcizipur wurde ein Anfang mit einem solchen
gemacht, und das war wohl das Beste, was unsre frommen Herren thun
konnten. Theuerung und Hungersnoth führen den Missionären sehr viele
Kinder zu. deren Eltern gestorben, und die dann, von ihren erwachsenen Ge¬
schwistern oder andern Anverwandten unbarmherzig verstoßen, so lange bettelnd
umhergezogen sind, bis die Polizei sie aufgriff und sie auf die Ortswache brachte,
von wo sie entweder der nächste englische Geistliche oder ein andrer Engländer
abholt und sie vorläufig bei sich aufnimmt, bis er sie einem Missionär über¬
geben kann. Sind sie noch sehr jung, so werden sie von diesem sofort getauft,
sind sie etwas älter, so erhalten sie vorher eine kurze Unterweisung in der
Religion. Kinder der Eingebornen, welche sich in den Waisenanstalten befinden,
sind daher immer dem Namen nach Christen. Sie nehmen häufig den Namen
derer an, welche sie auf ihre Kosten erziehen lassen, erhalten guten Unterricht
in allerhand nützlichen Gegenständen und werden meist achtbare Menschen.

Zu b.eklagen ist nur, daß mit den Mitteln, welche auf die Waisenhäuser
verwendet werden, "nicht haushälterischer umgegangen wird". "Oft haben
Misstonäre von ein und derselben Gesellschaft, deren Stationen nicht weit von
einander liegen, an jedem Orte ein Waisenhaus, während es gerathner wäre,
dieselben zusammenzulegen; denn der Missionär oder die Frau, welche eine
solche Anstalt mit zwanzig Kindern leitet, könnte recht Wohl vierzig und mehr
beaufsichtigen." Man findet aber Freude daran, sein besondres Institut zu
haben, und betrachtet es "gleichsam als Gewächshaus für seltene Pflanzen, die
man dann dem christlichen Publikum als Raritäten zeigt". Auch schwellen diese
leicht gewonnenen Christen das Register der Täuflinge, deren viele Missionäre
sonst gar keine aufzuweisen haben würden, und verdecken so die^tißerfolge auf
andern Gebieten der Thätigkeit derselben vor den Augen der Gesellschaft, welche
für ihr schweres Geld doch wenigstens etwas zu haben wünscht.




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darauf wieder etwas gefüllt, so kam ein Missionär von Muzaffirpur in einem
Boote zu Besuch, und siehe da, kaum hatten die Mädchen das Fahrzeug ge¬
sehen, so liefen die meisten weinend nach Hause, indem sie ausriefen: „Jetzt
sollen wir gewiß eingepackt und in die englische Oelmühle fortgeschafft werden."

Die Misstonsschulen sind von großem Einfluß auf das Volk und liefern
einen Theil der Christen, weiche die Register der Missionäre aufweisen. Die
Zahl der getauften Kinder ist zwar noch gering, da der Uebertritt zum Christen¬
thum denselben Verlust ihrer Kaste, Ausstoßung aus ihrer Familie und Ent¬
erbung zuzieht; aber manche begeben sich in späteren Jahren in fremde Orte,
wo sie niemand kennt, und lassen sich dort taufen. Noch mehr Proselyten ge¬
winnt man durch die Waisenhäuser, die sich auf vielen ostindischen Missions¬
anstalten befinden. Auch in Ghcizipur wurde ein Anfang mit einem solchen
gemacht, und das war wohl das Beste, was unsre frommen Herren thun
konnten. Theuerung und Hungersnoth führen den Missionären sehr viele
Kinder zu. deren Eltern gestorben, und die dann, von ihren erwachsenen Ge¬
schwistern oder andern Anverwandten unbarmherzig verstoßen, so lange bettelnd
umhergezogen sind, bis die Polizei sie aufgriff und sie auf die Ortswache brachte,
von wo sie entweder der nächste englische Geistliche oder ein andrer Engländer
abholt und sie vorläufig bei sich aufnimmt, bis er sie einem Missionär über¬
geben kann. Sind sie noch sehr jung, so werden sie von diesem sofort getauft,
sind sie etwas älter, so erhalten sie vorher eine kurze Unterweisung in der
Religion. Kinder der Eingebornen, welche sich in den Waisenanstalten befinden,
sind daher immer dem Namen nach Christen. Sie nehmen häufig den Namen
derer an, welche sie auf ihre Kosten erziehen lassen, erhalten guten Unterricht
in allerhand nützlichen Gegenständen und werden meist achtbare Menschen.

Zu b.eklagen ist nur, daß mit den Mitteln, welche auf die Waisenhäuser
verwendet werden, „nicht haushälterischer umgegangen wird". „Oft haben
Misstonäre von ein und derselben Gesellschaft, deren Stationen nicht weit von
einander liegen, an jedem Orte ein Waisenhaus, während es gerathner wäre,
dieselben zusammenzulegen; denn der Missionär oder die Frau, welche eine
solche Anstalt mit zwanzig Kindern leitet, könnte recht Wohl vierzig und mehr
beaufsichtigen." Man findet aber Freude daran, sein besondres Institut zu
haben, und betrachtet es „gleichsam als Gewächshaus für seltene Pflanzen, die
man dann dem christlichen Publikum als Raritäten zeigt". Auch schwellen diese
leicht gewonnenen Christen das Register der Täuflinge, deren viele Missionäre
sonst gar keine aufzuweisen haben würden, und verdecken so die^tißerfolge auf
andern Gebieten der Thätigkeit derselben vor den Augen der Gesellschaft, welche
für ihr schweres Geld doch wenigstens etwas zu haben wünscht.




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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341803_284469/293>, abgerufen am 22.12.2024.