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Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, I. Semester. I. Band.

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war, die alte Gefühlsseligfeit, die frivole Opposition, in welche kraftloses
Schaffen zu deutscher Zucht und Sitte getreten war, forderten einen eifrigen
und strengen Richter. Oft hat er die behagliche Eitelkeit der Schriftsteller ge¬
kränkt, Vielen war die radicale Behandlung liebgewordener Autoritäten unbequem,
die Einen zürnten, daß er Lob und Tadel ungleich temperire, Andere, daß er
auch grünes Reis mit dem welken Gestrüpp niederschlage. Alle diese Beschwerden
hatten damals wenig zu bedeuten; denn es galt in der That, gründlich aufzu¬
räumen mit schlechten literarischen Richtungen und streng zu sein gegen die
selbstgefällige Schwäche eines jüngeren Geschlechts, welches in Patronage und
Cliquenwesen unserer kleinen Blätter ganz verlernt hatte, ein mannhaftes Urtheil
zu hören und an die eigene Arbeit einen, großen Maßstab zu legen.

Das Publikum empfand sehr wohl deu Werth, welchen solche Kritik hatte.
Als die Literaturgeschichte erschien, begrüßte man freudig die entschlossene Energie
des Urtheils und die hohen ethischen Gesichtspunkte des Verfassers; das Werk
wurde ein werther Besitz des Publikums, und dieser warme Antheil, zumal der
männlichen Jugend, rief eine Auflage nach der andern hervor. Die erste war
entstanden aus einem Zusammenarbeiten einzelner Essays und Charakteristiken,
der Verfasser selbst empfand lebhaft die Lücken und das Ungleichmäßige in der
Behandlung, welches bei solchem Ursprung des Werkes schwer zu vermeiden
war. In jeder der späteren Auflagen bemühte er sich, diesen Uebelstand zu
mindern, weitere Perspectiven zu geben und Fehlendes zu ergänzen.

Maßgebend für sein Urtheil war in den früheren Auflagen vorzugsweise
der bildende Einfluß gewesen, den die Dichter und andere schöpferische Reprä¬
sentanten des deutschen Geistes auf ihre Zeit ausgeübt hatten. Nicht wie ein
Moralprediger, aber als warmherziger Patriot hatte er sie beurtheilt, stärker
als ein Anderer hatte er hervorgehoben, daß schon in manchen der großen Dich¬
tungen Goethes und Schillers etwas Unfertiges oder Veraltetes zu erkennen
sei, wie sehr den Charakteren die fröhliche Kraft fehle, wie auch in der Erzäh¬
lung oder Handlung ihrer Kunstwerke der innere Zusammenhang zuweilen schwäch¬
lich sei, die Bewältigung des Stoffes trotz der hohen Kunst unvollständig. Und
er hatte sehr gut nachgewiesen, daß diese Schwäche in großen Dichterwerken her¬
rühre aus der Schwäche des deutschen Lebens in jener Zeit. Vollends bei den
Romantikern und bei den Jungdeutschen hatte er die innere Unsicherheit, die
Haltlosigkeit der Dichter und den Mangel an fester Gestaltungskraft bis ins
Einzelne aus den elenden Zuständen des Staates abgeleitet, in dem sie lebten,
und aus dem MißVerhältniß zwischen den neuen, ans der Wissenschaft überreich
einströmenden Culturelementen und der Enge des realen Lebens. Wenn er
zürnend die Einzelnen verurtheilte, immer meinte er die Zeit, als deren Vertreter
und Bildner sie sich geberdeten.

Man hat ihm vorgeworfen, daß ihm auch i" seinem Werke der Tadel leichter


war, die alte Gefühlsseligfeit, die frivole Opposition, in welche kraftloses
Schaffen zu deutscher Zucht und Sitte getreten war, forderten einen eifrigen
und strengen Richter. Oft hat er die behagliche Eitelkeit der Schriftsteller ge¬
kränkt, Vielen war die radicale Behandlung liebgewordener Autoritäten unbequem,
die Einen zürnten, daß er Lob und Tadel ungleich temperire, Andere, daß er
auch grünes Reis mit dem welken Gestrüpp niederschlage. Alle diese Beschwerden
hatten damals wenig zu bedeuten; denn es galt in der That, gründlich aufzu¬
räumen mit schlechten literarischen Richtungen und streng zu sein gegen die
selbstgefällige Schwäche eines jüngeren Geschlechts, welches in Patronage und
Cliquenwesen unserer kleinen Blätter ganz verlernt hatte, ein mannhaftes Urtheil
zu hören und an die eigene Arbeit einen, großen Maßstab zu legen.

Das Publikum empfand sehr wohl deu Werth, welchen solche Kritik hatte.
Als die Literaturgeschichte erschien, begrüßte man freudig die entschlossene Energie
des Urtheils und die hohen ethischen Gesichtspunkte des Verfassers; das Werk
wurde ein werther Besitz des Publikums, und dieser warme Antheil, zumal der
männlichen Jugend, rief eine Auflage nach der andern hervor. Die erste war
entstanden aus einem Zusammenarbeiten einzelner Essays und Charakteristiken,
der Verfasser selbst empfand lebhaft die Lücken und das Ungleichmäßige in der
Behandlung, welches bei solchem Ursprung des Werkes schwer zu vermeiden
war. In jeder der späteren Auflagen bemühte er sich, diesen Uebelstand zu
mindern, weitere Perspectiven zu geben und Fehlendes zu ergänzen.

Maßgebend für sein Urtheil war in den früheren Auflagen vorzugsweise
der bildende Einfluß gewesen, den die Dichter und andere schöpferische Reprä¬
sentanten des deutschen Geistes auf ihre Zeit ausgeübt hatten. Nicht wie ein
Moralprediger, aber als warmherziger Patriot hatte er sie beurtheilt, stärker
als ein Anderer hatte er hervorgehoben, daß schon in manchen der großen Dich¬
tungen Goethes und Schillers etwas Unfertiges oder Veraltetes zu erkennen
sei, wie sehr den Charakteren die fröhliche Kraft fehle, wie auch in der Erzäh¬
lung oder Handlung ihrer Kunstwerke der innere Zusammenhang zuweilen schwäch¬
lich sei, die Bewältigung des Stoffes trotz der hohen Kunst unvollständig. Und
er hatte sehr gut nachgewiesen, daß diese Schwäche in großen Dichterwerken her¬
rühre aus der Schwäche des deutschen Lebens in jener Zeit. Vollends bei den
Romantikern und bei den Jungdeutschen hatte er die innere Unsicherheit, die
Haltlosigkeit der Dichter und den Mangel an fester Gestaltungskraft bis ins
Einzelne aus den elenden Zuständen des Staates abgeleitet, in dem sie lebten,
und aus dem MißVerhältniß zwischen den neuen, ans der Wissenschaft überreich
einströmenden Culturelementen und der Enge des realen Lebens. Wenn er
zürnend die Einzelnen verurtheilte, immer meinte er die Zeit, als deren Vertreter
und Bildner sie sich geberdeten.

Man hat ihm vorgeworfen, daß ihm auch i» seinem Werke der Tadel leichter


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[0260] war, die alte Gefühlsseligfeit, die frivole Opposition, in welche kraftloses Schaffen zu deutscher Zucht und Sitte getreten war, forderten einen eifrigen und strengen Richter. Oft hat er die behagliche Eitelkeit der Schriftsteller ge¬ kränkt, Vielen war die radicale Behandlung liebgewordener Autoritäten unbequem, die Einen zürnten, daß er Lob und Tadel ungleich temperire, Andere, daß er auch grünes Reis mit dem welken Gestrüpp niederschlage. Alle diese Beschwerden hatten damals wenig zu bedeuten; denn es galt in der That, gründlich aufzu¬ räumen mit schlechten literarischen Richtungen und streng zu sein gegen die selbstgefällige Schwäche eines jüngeren Geschlechts, welches in Patronage und Cliquenwesen unserer kleinen Blätter ganz verlernt hatte, ein mannhaftes Urtheil zu hören und an die eigene Arbeit einen, großen Maßstab zu legen. Das Publikum empfand sehr wohl deu Werth, welchen solche Kritik hatte. Als die Literaturgeschichte erschien, begrüßte man freudig die entschlossene Energie des Urtheils und die hohen ethischen Gesichtspunkte des Verfassers; das Werk wurde ein werther Besitz des Publikums, und dieser warme Antheil, zumal der männlichen Jugend, rief eine Auflage nach der andern hervor. Die erste war entstanden aus einem Zusammenarbeiten einzelner Essays und Charakteristiken, der Verfasser selbst empfand lebhaft die Lücken und das Ungleichmäßige in der Behandlung, welches bei solchem Ursprung des Werkes schwer zu vermeiden war. In jeder der späteren Auflagen bemühte er sich, diesen Uebelstand zu mindern, weitere Perspectiven zu geben und Fehlendes zu ergänzen. Maßgebend für sein Urtheil war in den früheren Auflagen vorzugsweise der bildende Einfluß gewesen, den die Dichter und andere schöpferische Reprä¬ sentanten des deutschen Geistes auf ihre Zeit ausgeübt hatten. Nicht wie ein Moralprediger, aber als warmherziger Patriot hatte er sie beurtheilt, stärker als ein Anderer hatte er hervorgehoben, daß schon in manchen der großen Dich¬ tungen Goethes und Schillers etwas Unfertiges oder Veraltetes zu erkennen sei, wie sehr den Charakteren die fröhliche Kraft fehle, wie auch in der Erzäh¬ lung oder Handlung ihrer Kunstwerke der innere Zusammenhang zuweilen schwäch¬ lich sei, die Bewältigung des Stoffes trotz der hohen Kunst unvollständig. Und er hatte sehr gut nachgewiesen, daß diese Schwäche in großen Dichterwerken her¬ rühre aus der Schwäche des deutschen Lebens in jener Zeit. Vollends bei den Romantikern und bei den Jungdeutschen hatte er die innere Unsicherheit, die Haltlosigkeit der Dichter und den Mangel an fester Gestaltungskraft bis ins Einzelne aus den elenden Zuständen des Staates abgeleitet, in dem sie lebten, und aus dem MißVerhältniß zwischen den neuen, ans der Wissenschaft überreich einströmenden Culturelementen und der Enge des realen Lebens. Wenn er zürnend die Einzelnen verurtheilte, immer meinte er die Zeit, als deren Vertreter und Bildner sie sich geberdeten. Man hat ihm vorgeworfen, daß ihm auch i» seinem Werke der Tadel leichter

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341803_284469/260>, abgerufen am 22.07.2024.