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Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, I. Semester. I. Band.

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Auf Antrag der gewählten Vertreter des mecklenburgischen Volks war,
nachdem schon die am 28. December 1848 publicirten deutschen Grundrechte den
Grundsatz festgestellt hatten, im Jahre 1849 durch ein specielles Gesetz die
körperliche Züchtigung gänzlich abgeschafft worden, sowohl im gerichtlichen und
Polizeilicher Verfahren wie bei den Verwaltungsbehörden der Straf- und Arbeits¬
häuser. Dieses Gesetz war bereits zwei Jahre in Wirksamkeit gewesen, als die
nach Beseitigung des beschworner Staatsgrundgesetzes wieder zur Herrschaft
gelangte feudale Partei es plötzlich für ein Bedürfniß erklärte, die körperliche
Züchtigung zu rehabilitiren. Durch eine von den Ministern Graf v. Bülow,
v. Schröter und v. Brock gegengezeichnete großherzvgliche Verordnung wurde,
unter Zustimmung der getreuen Stände die körperliche Züchtigung für folgende
Fälle als Strafmittel wieder eingeführt: 1) zur Aufrechthaltung der Disciplin
in den Gefängnissen und Strafanstalten, so wie in den Arbeits- und Armen¬
häusern; 2) zur Ahndung von Lügen und "Aufzüglichkeiten" (Winkelzügen) in
gerichtlichen und polizeilichen Untersuchungen, unter gewissen Voraussetzungen;
3) zur Bestrafung des gewerbmäßigen Bettelns, der mit Unfug oder öffentlichem
Aergerniß verbundenen Trunkenheit, der Völlerei und Liederlichkeit, der Unzucht
und unzüchtiger Handlungen, der Beleidigung der Obrigkeit und ihrer Diener
so wie der thätlichen Widersetzlichkeit gegen dieselben, des Diebstahls, der Forst¬
frevel, des Betrugs und der Fälschung. Das Maximum wurde aus 50 Hiebe
festgesetzt. In Uebereinstimmung mit einer älteren Verordnung vom Jahre
1806 ward das Maß der zur Vollziehung der Strafe anzuwendenden "Röhrchen"
dahin bestimmt, daß dieselben "nicht über °/" der gewöhnlichen Elle lang und
nicht stärker als Z"it im Durchmesser" sein sollten.

Die Verordnung erschien am 29. Januar 1862. Nach Verlauf eines Jahres
stellte sich nach Ansicht der Urheber das Bedürfniß einer Verstärkung der "Röhr¬
chen" heraus. Es ward daher den Ständen zur Ergänzung dieses Mangels
eine besondere Vorlage gemacht, und am 27. Januar 1853 erschien die von
denselben Ministern gegengezeichnete großherzogliche Verordnung, durch welche
das Maß der "Röhrchen" auf die ganz unhistorische Länge von Ellen und
einen ebenso unhistorischen Durchmesser von Vs Zoll erweitert wurde. -

Eine neue Erweiterung erhielt die Gesetzgebung über die Prügelstrafe durch
die auf dem Landtage von den Vertretern der Städte abgekehrte und lediglich
von der Ritterschaft genehmigte großhcrzogliche Verordnung vom 2. April 1864.
betreffend die Bestrafung der Dienstvergehen der Gutsleute in den ritterschaft¬
lichen Gütern. Der § 2 dieser Verordnung bestimmte: "Die Ortsobrigkeit ist
nicht befugt, wegen der bezeichneten Dienstvergehen auf eine höhere
Strafe als eine Geldstrafe von 5 Thalern oder eine Gefängnißstrafe von einer
Woche oder, so weit nach den Verordnungen vom 29. Januar 1852 und vom
27. Januar 1853 körperliche Züchtigung statthaft ist. 25 Streiche polizeilich zu er-


Grenzboten I. 18KS. 29

Auf Antrag der gewählten Vertreter des mecklenburgischen Volks war,
nachdem schon die am 28. December 1848 publicirten deutschen Grundrechte den
Grundsatz festgestellt hatten, im Jahre 1849 durch ein specielles Gesetz die
körperliche Züchtigung gänzlich abgeschafft worden, sowohl im gerichtlichen und
Polizeilicher Verfahren wie bei den Verwaltungsbehörden der Straf- und Arbeits¬
häuser. Dieses Gesetz war bereits zwei Jahre in Wirksamkeit gewesen, als die
nach Beseitigung des beschworner Staatsgrundgesetzes wieder zur Herrschaft
gelangte feudale Partei es plötzlich für ein Bedürfniß erklärte, die körperliche
Züchtigung zu rehabilitiren. Durch eine von den Ministern Graf v. Bülow,
v. Schröter und v. Brock gegengezeichnete großherzvgliche Verordnung wurde,
unter Zustimmung der getreuen Stände die körperliche Züchtigung für folgende
Fälle als Strafmittel wieder eingeführt: 1) zur Aufrechthaltung der Disciplin
in den Gefängnissen und Strafanstalten, so wie in den Arbeits- und Armen¬
häusern; 2) zur Ahndung von Lügen und „Aufzüglichkeiten" (Winkelzügen) in
gerichtlichen und polizeilichen Untersuchungen, unter gewissen Voraussetzungen;
3) zur Bestrafung des gewerbmäßigen Bettelns, der mit Unfug oder öffentlichem
Aergerniß verbundenen Trunkenheit, der Völlerei und Liederlichkeit, der Unzucht
und unzüchtiger Handlungen, der Beleidigung der Obrigkeit und ihrer Diener
so wie der thätlichen Widersetzlichkeit gegen dieselben, des Diebstahls, der Forst¬
frevel, des Betrugs und der Fälschung. Das Maximum wurde aus 50 Hiebe
festgesetzt. In Uebereinstimmung mit einer älteren Verordnung vom Jahre
1806 ward das Maß der zur Vollziehung der Strafe anzuwendenden „Röhrchen"
dahin bestimmt, daß dieselben „nicht über °/» der gewöhnlichen Elle lang und
nicht stärker als Z"it im Durchmesser" sein sollten.

Die Verordnung erschien am 29. Januar 1862. Nach Verlauf eines Jahres
stellte sich nach Ansicht der Urheber das Bedürfniß einer Verstärkung der „Röhr¬
chen" heraus. Es ward daher den Ständen zur Ergänzung dieses Mangels
eine besondere Vorlage gemacht, und am 27. Januar 1853 erschien die von
denselben Ministern gegengezeichnete großherzogliche Verordnung, durch welche
das Maß der „Röhrchen" auf die ganz unhistorische Länge von Ellen und
einen ebenso unhistorischen Durchmesser von Vs Zoll erweitert wurde. -

Eine neue Erweiterung erhielt die Gesetzgebung über die Prügelstrafe durch
die auf dem Landtage von den Vertretern der Städte abgekehrte und lediglich
von der Ritterschaft genehmigte großhcrzogliche Verordnung vom 2. April 1864.
betreffend die Bestrafung der Dienstvergehen der Gutsleute in den ritterschaft¬
lichen Gütern. Der § 2 dieser Verordnung bestimmte: „Die Ortsobrigkeit ist
nicht befugt, wegen der bezeichneten Dienstvergehen auf eine höhere
Strafe als eine Geldstrafe von 5 Thalern oder eine Gefängnißstrafe von einer
Woche oder, so weit nach den Verordnungen vom 29. Januar 1852 und vom
27. Januar 1853 körperliche Züchtigung statthaft ist. 25 Streiche polizeilich zu er-


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[0241] Auf Antrag der gewählten Vertreter des mecklenburgischen Volks war, nachdem schon die am 28. December 1848 publicirten deutschen Grundrechte den Grundsatz festgestellt hatten, im Jahre 1849 durch ein specielles Gesetz die körperliche Züchtigung gänzlich abgeschafft worden, sowohl im gerichtlichen und Polizeilicher Verfahren wie bei den Verwaltungsbehörden der Straf- und Arbeits¬ häuser. Dieses Gesetz war bereits zwei Jahre in Wirksamkeit gewesen, als die nach Beseitigung des beschworner Staatsgrundgesetzes wieder zur Herrschaft gelangte feudale Partei es plötzlich für ein Bedürfniß erklärte, die körperliche Züchtigung zu rehabilitiren. Durch eine von den Ministern Graf v. Bülow, v. Schröter und v. Brock gegengezeichnete großherzvgliche Verordnung wurde, unter Zustimmung der getreuen Stände die körperliche Züchtigung für folgende Fälle als Strafmittel wieder eingeführt: 1) zur Aufrechthaltung der Disciplin in den Gefängnissen und Strafanstalten, so wie in den Arbeits- und Armen¬ häusern; 2) zur Ahndung von Lügen und „Aufzüglichkeiten" (Winkelzügen) in gerichtlichen und polizeilichen Untersuchungen, unter gewissen Voraussetzungen; 3) zur Bestrafung des gewerbmäßigen Bettelns, der mit Unfug oder öffentlichem Aergerniß verbundenen Trunkenheit, der Völlerei und Liederlichkeit, der Unzucht und unzüchtiger Handlungen, der Beleidigung der Obrigkeit und ihrer Diener so wie der thätlichen Widersetzlichkeit gegen dieselben, des Diebstahls, der Forst¬ frevel, des Betrugs und der Fälschung. Das Maximum wurde aus 50 Hiebe festgesetzt. In Uebereinstimmung mit einer älteren Verordnung vom Jahre 1806 ward das Maß der zur Vollziehung der Strafe anzuwendenden „Röhrchen" dahin bestimmt, daß dieselben „nicht über °/» der gewöhnlichen Elle lang und nicht stärker als Z"it im Durchmesser" sein sollten. Die Verordnung erschien am 29. Januar 1862. Nach Verlauf eines Jahres stellte sich nach Ansicht der Urheber das Bedürfniß einer Verstärkung der „Röhr¬ chen" heraus. Es ward daher den Ständen zur Ergänzung dieses Mangels eine besondere Vorlage gemacht, und am 27. Januar 1853 erschien die von denselben Ministern gegengezeichnete großherzogliche Verordnung, durch welche das Maß der „Röhrchen" auf die ganz unhistorische Länge von Ellen und einen ebenso unhistorischen Durchmesser von Vs Zoll erweitert wurde. - Eine neue Erweiterung erhielt die Gesetzgebung über die Prügelstrafe durch die auf dem Landtage von den Vertretern der Städte abgekehrte und lediglich von der Ritterschaft genehmigte großhcrzogliche Verordnung vom 2. April 1864. betreffend die Bestrafung der Dienstvergehen der Gutsleute in den ritterschaft¬ lichen Gütern. Der § 2 dieser Verordnung bestimmte: „Die Ortsobrigkeit ist nicht befugt, wegen der bezeichneten Dienstvergehen auf eine höhere Strafe als eine Geldstrafe von 5 Thalern oder eine Gefängnißstrafe von einer Woche oder, so weit nach den Verordnungen vom 29. Januar 1852 und vom 27. Januar 1853 körperliche Züchtigung statthaft ist. 25 Streiche polizeilich zu er- Grenzboten I. 18KS. 29

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341803_284469/241>, abgerufen am 23.07.2024.