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Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, I. Semester. I. Band.

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dreister hervorragenden Freisinnigen feindlich entgegen. Sie hatte endlich in
Betreff des letzteren Verlangens nachgegeben, als ein neuer siegreicher Ansturm
Napoleons die Erhebung Spaniens für einige Zeit beinahe allenthalben nieder¬
warf. Die Junta flüchtete nach der Löweninsel bei Cadiz und wurde hier zur
Abdankung und Einsetzung einer Regentschaft genöthigt, die ebenso wenig liberal
war als sie. Das Zugeständniß hinsichtlich der Cortes wurde zurückgenommen,
und damit verwandelte sich der größere Theil der Liberalen in Radicale,
die Berufung außerordentlicher Cortes wurde erzwungen, die Volkssouveränetät
feierlich proclcnnirt.

Seit fast drei Jahrhunderten ein unbedingt bildsamer Stoff in der Hand
seiner Souveräne, ihnen in schrankenloser Untertänigkeit ergeben, hatte sich
das spanische Volk durch eine eigenthümliche Verkettung königlicher Unthaten
mit der Welterschütterung, welche die französische Revolution zur Folge hatte,
genöthigt gesehen, sich auf seinen eignen Willen zu stellen, die Selbstvernichtung
seiner Dynastie durch einen Act nationaler Selbstherrlichkeit zu annulliren, das
alte Spanien durch eine wesentlich revolutionäre Erhebung zu retten. Nichts
von den Mängeln dieses alten Spanien, weder die unbeschränkte Königsgewalt,
noch die Macht der Kirche, noch die Willkür einer entsetzlich corrumpirten Ver>
Waldung sollte anfänglich angetastet werden. Aber man wurde allmälig durch
die Erfahrung belehrt, daß jenes alte Spanien nicht im Stande sei. sich selbst
ZU helfen, ein Versuch, den Thron Ferdinands so herzustellen, wie er gewesen,
scheiterte nach dem andern, und die äußerste Noth zwang zuletzt, die Ueber-
Lieferung preiszugeben. Die Nation sandte ihre Vertreter, und deren erster
Act war, das revolutionäre Princip der Volkssouveränetät, aus dem man von
Anfang der Erhebung an unbewußt gehandelt hatte, als Fundament des neuen
Spanien hinzustellen.

Auf diese Kundgebung folgte im Jahre 1812 eine nach radicalen Grund¬
sätzen entworfene Verfassung. Gemäßigte gab es in der Versammlung, welche
dieselbe beschloß, nur wenige. Auf der einen Seite standen fanatische Verehrer
des alten Despotismus und der alten Kirchengewalt, denen jede Reform ein
Greuel war. Auf der andern kämpften Männer, deren Geist von den Grund¬
gedanken der französischen Revolution beherrscht und von den Erinnerungen an
die Rechte der Cortes im Mittelalter erfüllt war. Letztere bildeten die Mehr,
heit. Hätten die Anhänger der unbedingten Wiederherstellung des früheren
Unwesens ihren Standpunkt offen bekannt, so würde das Veranlassung für die
Majorität gewesen sein, sich in ihren Beschlüssen zu mäßigen; da die Absolutisten
aber, von der Macht der grade herrschenden Strömung bedrängt, den Forde¬
rungen der Radicalen im Ganzen nachgaben und nur gegen offenbare Ueber¬
treibung sprachen, so brachten sie die Politik der Besonnenheit in den schlimmsten
Mißcredit. Die Radicalen wußten, wonach die servilen begehrten, und so


Greiijboten I. 1866. 23

dreister hervorragenden Freisinnigen feindlich entgegen. Sie hatte endlich in
Betreff des letzteren Verlangens nachgegeben, als ein neuer siegreicher Ansturm
Napoleons die Erhebung Spaniens für einige Zeit beinahe allenthalben nieder¬
warf. Die Junta flüchtete nach der Löweninsel bei Cadiz und wurde hier zur
Abdankung und Einsetzung einer Regentschaft genöthigt, die ebenso wenig liberal
war als sie. Das Zugeständniß hinsichtlich der Cortes wurde zurückgenommen,
und damit verwandelte sich der größere Theil der Liberalen in Radicale,
die Berufung außerordentlicher Cortes wurde erzwungen, die Volkssouveränetät
feierlich proclcnnirt.

Seit fast drei Jahrhunderten ein unbedingt bildsamer Stoff in der Hand
seiner Souveräne, ihnen in schrankenloser Untertänigkeit ergeben, hatte sich
das spanische Volk durch eine eigenthümliche Verkettung königlicher Unthaten
mit der Welterschütterung, welche die französische Revolution zur Folge hatte,
genöthigt gesehen, sich auf seinen eignen Willen zu stellen, die Selbstvernichtung
seiner Dynastie durch einen Act nationaler Selbstherrlichkeit zu annulliren, das
alte Spanien durch eine wesentlich revolutionäre Erhebung zu retten. Nichts
von den Mängeln dieses alten Spanien, weder die unbeschränkte Königsgewalt,
noch die Macht der Kirche, noch die Willkür einer entsetzlich corrumpirten Ver>
Waldung sollte anfänglich angetastet werden. Aber man wurde allmälig durch
die Erfahrung belehrt, daß jenes alte Spanien nicht im Stande sei. sich selbst
ZU helfen, ein Versuch, den Thron Ferdinands so herzustellen, wie er gewesen,
scheiterte nach dem andern, und die äußerste Noth zwang zuletzt, die Ueber-
Lieferung preiszugeben. Die Nation sandte ihre Vertreter, und deren erster
Act war, das revolutionäre Princip der Volkssouveränetät, aus dem man von
Anfang der Erhebung an unbewußt gehandelt hatte, als Fundament des neuen
Spanien hinzustellen.

Auf diese Kundgebung folgte im Jahre 1812 eine nach radicalen Grund¬
sätzen entworfene Verfassung. Gemäßigte gab es in der Versammlung, welche
dieselbe beschloß, nur wenige. Auf der einen Seite standen fanatische Verehrer
des alten Despotismus und der alten Kirchengewalt, denen jede Reform ein
Greuel war. Auf der andern kämpften Männer, deren Geist von den Grund¬
gedanken der französischen Revolution beherrscht und von den Erinnerungen an
die Rechte der Cortes im Mittelalter erfüllt war. Letztere bildeten die Mehr,
heit. Hätten die Anhänger der unbedingten Wiederherstellung des früheren
Unwesens ihren Standpunkt offen bekannt, so würde das Veranlassung für die
Majorität gewesen sein, sich in ihren Beschlüssen zu mäßigen; da die Absolutisten
aber, von der Macht der grade herrschenden Strömung bedrängt, den Forde¬
rungen der Radicalen im Ganzen nachgaben und nur gegen offenbare Ueber¬
treibung sprachen, so brachten sie die Politik der Besonnenheit in den schlimmsten
Mißcredit. Die Radicalen wußten, wonach die servilen begehrten, und so


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[0191] dreister hervorragenden Freisinnigen feindlich entgegen. Sie hatte endlich in Betreff des letzteren Verlangens nachgegeben, als ein neuer siegreicher Ansturm Napoleons die Erhebung Spaniens für einige Zeit beinahe allenthalben nieder¬ warf. Die Junta flüchtete nach der Löweninsel bei Cadiz und wurde hier zur Abdankung und Einsetzung einer Regentschaft genöthigt, die ebenso wenig liberal war als sie. Das Zugeständniß hinsichtlich der Cortes wurde zurückgenommen, und damit verwandelte sich der größere Theil der Liberalen in Radicale, die Berufung außerordentlicher Cortes wurde erzwungen, die Volkssouveränetät feierlich proclcnnirt. Seit fast drei Jahrhunderten ein unbedingt bildsamer Stoff in der Hand seiner Souveräne, ihnen in schrankenloser Untertänigkeit ergeben, hatte sich das spanische Volk durch eine eigenthümliche Verkettung königlicher Unthaten mit der Welterschütterung, welche die französische Revolution zur Folge hatte, genöthigt gesehen, sich auf seinen eignen Willen zu stellen, die Selbstvernichtung seiner Dynastie durch einen Act nationaler Selbstherrlichkeit zu annulliren, das alte Spanien durch eine wesentlich revolutionäre Erhebung zu retten. Nichts von den Mängeln dieses alten Spanien, weder die unbeschränkte Königsgewalt, noch die Macht der Kirche, noch die Willkür einer entsetzlich corrumpirten Ver> Waldung sollte anfänglich angetastet werden. Aber man wurde allmälig durch die Erfahrung belehrt, daß jenes alte Spanien nicht im Stande sei. sich selbst ZU helfen, ein Versuch, den Thron Ferdinands so herzustellen, wie er gewesen, scheiterte nach dem andern, und die äußerste Noth zwang zuletzt, die Ueber- Lieferung preiszugeben. Die Nation sandte ihre Vertreter, und deren erster Act war, das revolutionäre Princip der Volkssouveränetät, aus dem man von Anfang der Erhebung an unbewußt gehandelt hatte, als Fundament des neuen Spanien hinzustellen. Auf diese Kundgebung folgte im Jahre 1812 eine nach radicalen Grund¬ sätzen entworfene Verfassung. Gemäßigte gab es in der Versammlung, welche dieselbe beschloß, nur wenige. Auf der einen Seite standen fanatische Verehrer des alten Despotismus und der alten Kirchengewalt, denen jede Reform ein Greuel war. Auf der andern kämpften Männer, deren Geist von den Grund¬ gedanken der französischen Revolution beherrscht und von den Erinnerungen an die Rechte der Cortes im Mittelalter erfüllt war. Letztere bildeten die Mehr, heit. Hätten die Anhänger der unbedingten Wiederherstellung des früheren Unwesens ihren Standpunkt offen bekannt, so würde das Veranlassung für die Majorität gewesen sein, sich in ihren Beschlüssen zu mäßigen; da die Absolutisten aber, von der Macht der grade herrschenden Strömung bedrängt, den Forde¬ rungen der Radicalen im Ganzen nachgaben und nur gegen offenbare Ueber¬ treibung sprachen, so brachten sie die Politik der Besonnenheit in den schlimmsten Mißcredit. Die Radicalen wußten, wonach die servilen begehrten, und so Greiijboten I. 1866. 23

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341803_284469/191>, abgerufen am 29.09.2024.