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Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, I. Semester. I. Band.

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daß alles was spanisch auch normal sei, der Haß und Abscheu gegen alles
Fremde ließ, wenigstens in den obern Schichten der Gesellschaft, einigermaßen
nach, man fing an. sich mit andern Völkern zu vergleichen und sich selbst bis
zu einem gewissen Grade zu erkennen, wovon die volkswmhschaftliche Literatur
jener Zeit reichliche Zeugnisse enthält. An die Stelle des alten phantastischen
Traumlebens trat sehr langsam zwar, aber unaufhaltsam kalte Ueberlegung und
kritische Prosa, und vielfach wurden Andeutungen laut, daß die Gebildeten im
Begriff waren, die Traditionen des spanischen Stolzes und des spanischen
Fanatismus dahinten lassend, ein neues Leben nach dem'Beispiel der übrigen
Welt zu beginnen.

Ferdinand der Sechste, sparsam und friedliebend, war der geeignete
Mann, die unterbrochen Reformen seines Vorgängers wieder aufzunehmen
und weiter zu führen. Fast auf allen Gebieten des öffentlichen Lebens ging
es jetzt in erfreulicher Weise vorwärts: der Staatshaushalt wurde geordnet,
das Steuerwesen nach dem Interesse der Bevölkerung umgestaltet, Regelmäßigkeit
in der Besoldung der Beamten und der Verzinsung der Staatsschuld eingeführt,
Straßen gebaut, Häfen hergestellt, die Marine vermehrt, die Ausgaben für das
Heer auf die Hälfte vermindert, und die erfreulichsten Resultate lohnten diese
Bemühungen. Nur an eine durchgreifende Reform der kirchlichen Mißbräuche,
an eine Beschränkung der Klöster und des geistlichen Besitzes wurde auch jetzt
nicht gedacht. Der König war ein Beichtkind, sein Minister Ensenada ein Zög¬
ling der Jesuiten, und in allen wichtigen Staatsfragen sprachen nach wie vor
Bischöfe und Ordensvorsteher das entscheidende Wort. 1749 gab es in Spanien
nicht weniger als 180,000 Personen geistlichen Standes, darunter 112,000
Mönche und Nonnen. Dagegen befreite man sich durch das Concordat von
1763 wenigstens einigermaßen von dem Einfluß Roms auf die Besetzung der
Kirchenstellen und von der Ausbeutung des Landes durch die Curie, welche
bisher ein Drittel ihres Gesammteintommens aus Spanien bezogen hatte.
Daneben begann die Aufklärung in den gebildeten Classen zu wachsen, die
Scheu vor jeder Kritik mehr und mehr abzunehmen, das wissenschaftliche Leben,
namentlich auch auf dem Gebiet der Naturkunde, sich breiter zu entfalten und
ZU vertiefen. Satiren auf das Mönchswesen, freiere Sprache überhaupt ließen
steh hören. Das moralische Ansehen der Inquisition sank, und während sie
unter den vorigen Regierungen ihrem Moloch noch sehr zahlreiche Opfer ver¬
brannt, mußte sie sich in den dreizehn Jahren der Herrschaft Ferdinands mit
der Kleinigkeit von zehn Autodafes begnügen.

Karl der Dritte, zwar ein frommer Katholik, aber vielfach gebildet,
mit den politischen Grundsätzen des Jahrhunderts erfüllt, dazu voll souveränen
Selbstgefühls, schritt sofort nach seinem Regierungsantritt energisch gegen die
sein fürstliches Ansehen, und das Staatswohl beeinträchtigenden Ansprüche Roms


daß alles was spanisch auch normal sei, der Haß und Abscheu gegen alles
Fremde ließ, wenigstens in den obern Schichten der Gesellschaft, einigermaßen
nach, man fing an. sich mit andern Völkern zu vergleichen und sich selbst bis
zu einem gewissen Grade zu erkennen, wovon die volkswmhschaftliche Literatur
jener Zeit reichliche Zeugnisse enthält. An die Stelle des alten phantastischen
Traumlebens trat sehr langsam zwar, aber unaufhaltsam kalte Ueberlegung und
kritische Prosa, und vielfach wurden Andeutungen laut, daß die Gebildeten im
Begriff waren, die Traditionen des spanischen Stolzes und des spanischen
Fanatismus dahinten lassend, ein neues Leben nach dem'Beispiel der übrigen
Welt zu beginnen.

Ferdinand der Sechste, sparsam und friedliebend, war der geeignete
Mann, die unterbrochen Reformen seines Vorgängers wieder aufzunehmen
und weiter zu führen. Fast auf allen Gebieten des öffentlichen Lebens ging
es jetzt in erfreulicher Weise vorwärts: der Staatshaushalt wurde geordnet,
das Steuerwesen nach dem Interesse der Bevölkerung umgestaltet, Regelmäßigkeit
in der Besoldung der Beamten und der Verzinsung der Staatsschuld eingeführt,
Straßen gebaut, Häfen hergestellt, die Marine vermehrt, die Ausgaben für das
Heer auf die Hälfte vermindert, und die erfreulichsten Resultate lohnten diese
Bemühungen. Nur an eine durchgreifende Reform der kirchlichen Mißbräuche,
an eine Beschränkung der Klöster und des geistlichen Besitzes wurde auch jetzt
nicht gedacht. Der König war ein Beichtkind, sein Minister Ensenada ein Zög¬
ling der Jesuiten, und in allen wichtigen Staatsfragen sprachen nach wie vor
Bischöfe und Ordensvorsteher das entscheidende Wort. 1749 gab es in Spanien
nicht weniger als 180,000 Personen geistlichen Standes, darunter 112,000
Mönche und Nonnen. Dagegen befreite man sich durch das Concordat von
1763 wenigstens einigermaßen von dem Einfluß Roms auf die Besetzung der
Kirchenstellen und von der Ausbeutung des Landes durch die Curie, welche
bisher ein Drittel ihres Gesammteintommens aus Spanien bezogen hatte.
Daneben begann die Aufklärung in den gebildeten Classen zu wachsen, die
Scheu vor jeder Kritik mehr und mehr abzunehmen, das wissenschaftliche Leben,
namentlich auch auf dem Gebiet der Naturkunde, sich breiter zu entfalten und
ZU vertiefen. Satiren auf das Mönchswesen, freiere Sprache überhaupt ließen
steh hören. Das moralische Ansehen der Inquisition sank, und während sie
unter den vorigen Regierungen ihrem Moloch noch sehr zahlreiche Opfer ver¬
brannt, mußte sie sich in den dreizehn Jahren der Herrschaft Ferdinands mit
der Kleinigkeit von zehn Autodafes begnügen.

Karl der Dritte, zwar ein frommer Katholik, aber vielfach gebildet,
mit den politischen Grundsätzen des Jahrhunderts erfüllt, dazu voll souveränen
Selbstgefühls, schritt sofort nach seinem Regierungsantritt energisch gegen die
sein fürstliches Ansehen, und das Staatswohl beeinträchtigenden Ansprüche Roms


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341803_284469/187>, abgerufen am 29.09.2024.