Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, I. Semester. I. Band.sie doch zugleich eine politische Nothwendigkeit. Jene selbst hätten sich nicht In der neuesten Zeit nun hat die Volkspartei abermals einen ihrer energi¬ Noch habe ich von einer kleinen nichtpolitischen Agitation zu berichten, die sie doch zugleich eine politische Nothwendigkeit. Jene selbst hätten sich nicht In der neuesten Zeit nun hat die Volkspartei abermals einen ihrer energi¬ Noch habe ich von einer kleinen nichtpolitischen Agitation zu berichten, die <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0164" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/284634"/> <p xml:id="ID_564" prev="#ID_563"> sie doch zugleich eine politische Nothwendigkeit. Jene selbst hätten sich nicht<lb/> so verschärfen können, wenn nicht ein tieferer politischer Gegensatz zu Grund<lb/> läge zwischen einer Richtung, welche wesentlich die Einheit will, und einer<lb/> solchen, die vor allem an einer doctrinären Form festhält, welche noch über¬<lb/> dies das Gegentheil der Einheit ist. Es stände ohne Zweifel um unsere<lb/> Fortschrittspartei besser, wenn sie die Weite dieses Gegensatzes früher erkannt<lb/> und energischer darnach gehandelt hätte.</p><lb/> <p xml:id="ID_565"> In der neuesten Zeit nun hat die Volkspartei abermals einen ihrer energi¬<lb/> schen Anläufe zur „Organisation der Partei" genommen und in einer geheimen<lb/> Volksversammlung am 6. Januar „ernst und gehoben" Resolutionen für die<lb/> Ausbreitung von Volksvereinen im Lande gefaßt. Es geschah dies, wie ver¬<lb/> lautet, in Ausführung eines Beschlusses der bamberger Versammlung und ist<lb/> im Uebrigen eine Reminiscenz aus dem Jahr 1848. Aber eben diese Naivetät,<lb/> ein Agitatiousmittcl, das sich in Zeiten der Bewegung ganz von selbst macht,<lb/> künstlich ins Werk zu setzen, beweist den doctrinären Charakter dieser Bewegung<lb/> und ihre Unfähigkeit, etwas Ernsthaftes zu treiben. Fragt man nach dem Zweck<lb/> dieser Parteiorganisation, so ist kein anderer erfindlich als eben der, daß die<lb/> Partei organisirt werde. Die ganze Wichtigthuerei ist rein Selbstzweck. Als<lb/> auf dieser Stuttgarter Versammlung ein Mann vom Lande, der noch so harmlos<lb/> war, Ernsthaftes hinter der Sache vorauszusetzen, vorschlug, die" Volkspartei<lb/> möge sich die Verbreitung populärer Schriften angelegen sein lassen, erwiderte<lb/> einer der Leiter: Ganz gut, und als erste solcher Volksschriften würde ich<lb/> empfehlen eine Schrift — über die Bildung von Volksvereinen! Sonst ist nur<lb/> noch zu erwähnen, daß die verlegene Waare des Triasprojects, die sonst immer<lb/> mit dabei sein mußte, aus dem allerneusten Programm dieser Stuttgarter Volks¬<lb/> partei endlich beseitigt worden ist und damit seine letzte Burg verloren hat.</p><lb/> <p xml:id="ID_566" next="#ID_567"> Noch habe ich von einer kleinen nichtpolitischen Agitation zu berichten, die<lb/> mit dem neuen Jahr sich bei uns eingestellt hat; schon um deswillen, weil sie<lb/> das erste Anzeichen ist, daß die kirchliche Frage auch in Schwaben Einlaß be¬<lb/> gehrt. Am 3. Januar tagte in Stuttgart eine Versammlung von Geistlichen<lb/> und Laien, welche die Einführung einer Synodalverfassung besprach und Reso¬<lb/> lutionen in diesem Sinne faßte. Die Vortrefflichkeit unsrer Kirchenverfassung<lb/> ist es keineswegs, was die bisherige Abwesenheit jeder kirchlichen Bewegung<lb/> erklärt. Im Gegentheil, wir haben ein Consistorialregiment, das als Muster<lb/> der unnatürlichen Verbindung von Kirche und Staat gelten kann: unsere Lan¬<lb/> deskirche ist eine ganz gewöhnliche Staatsanstalt, die wie andere Zweige<lb/> des öffentlichen Dienstes von königlichen Dienern besorgt wird. Dieses Regi¬<lb/> ment hat sich aber so sehr bei uns eingelebt, seine Wirkung auf die Ertödtung<lb/> des kirchlichen Gemeindelebens ist so vollständig gewesen, daß es als etwas<lb/> ganz Natürliches, Selbstverständliches hingenommen wurde, und noch jetzt die auf</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0164]
sie doch zugleich eine politische Nothwendigkeit. Jene selbst hätten sich nicht
so verschärfen können, wenn nicht ein tieferer politischer Gegensatz zu Grund
läge zwischen einer Richtung, welche wesentlich die Einheit will, und einer
solchen, die vor allem an einer doctrinären Form festhält, welche noch über¬
dies das Gegentheil der Einheit ist. Es stände ohne Zweifel um unsere
Fortschrittspartei besser, wenn sie die Weite dieses Gegensatzes früher erkannt
und energischer darnach gehandelt hätte.
In der neuesten Zeit nun hat die Volkspartei abermals einen ihrer energi¬
schen Anläufe zur „Organisation der Partei" genommen und in einer geheimen
Volksversammlung am 6. Januar „ernst und gehoben" Resolutionen für die
Ausbreitung von Volksvereinen im Lande gefaßt. Es geschah dies, wie ver¬
lautet, in Ausführung eines Beschlusses der bamberger Versammlung und ist
im Uebrigen eine Reminiscenz aus dem Jahr 1848. Aber eben diese Naivetät,
ein Agitatiousmittcl, das sich in Zeiten der Bewegung ganz von selbst macht,
künstlich ins Werk zu setzen, beweist den doctrinären Charakter dieser Bewegung
und ihre Unfähigkeit, etwas Ernsthaftes zu treiben. Fragt man nach dem Zweck
dieser Parteiorganisation, so ist kein anderer erfindlich als eben der, daß die
Partei organisirt werde. Die ganze Wichtigthuerei ist rein Selbstzweck. Als
auf dieser Stuttgarter Versammlung ein Mann vom Lande, der noch so harmlos
war, Ernsthaftes hinter der Sache vorauszusetzen, vorschlug, die" Volkspartei
möge sich die Verbreitung populärer Schriften angelegen sein lassen, erwiderte
einer der Leiter: Ganz gut, und als erste solcher Volksschriften würde ich
empfehlen eine Schrift — über die Bildung von Volksvereinen! Sonst ist nur
noch zu erwähnen, daß die verlegene Waare des Triasprojects, die sonst immer
mit dabei sein mußte, aus dem allerneusten Programm dieser Stuttgarter Volks¬
partei endlich beseitigt worden ist und damit seine letzte Burg verloren hat.
Noch habe ich von einer kleinen nichtpolitischen Agitation zu berichten, die
mit dem neuen Jahr sich bei uns eingestellt hat; schon um deswillen, weil sie
das erste Anzeichen ist, daß die kirchliche Frage auch in Schwaben Einlaß be¬
gehrt. Am 3. Januar tagte in Stuttgart eine Versammlung von Geistlichen
und Laien, welche die Einführung einer Synodalverfassung besprach und Reso¬
lutionen in diesem Sinne faßte. Die Vortrefflichkeit unsrer Kirchenverfassung
ist es keineswegs, was die bisherige Abwesenheit jeder kirchlichen Bewegung
erklärt. Im Gegentheil, wir haben ein Consistorialregiment, das als Muster
der unnatürlichen Verbindung von Kirche und Staat gelten kann: unsere Lan¬
deskirche ist eine ganz gewöhnliche Staatsanstalt, die wie andere Zweige
des öffentlichen Dienstes von königlichen Dienern besorgt wird. Dieses Regi¬
ment hat sich aber so sehr bei uns eingelebt, seine Wirkung auf die Ertödtung
des kirchlichen Gemeindelebens ist so vollständig gewesen, daß es als etwas
ganz Natürliches, Selbstverständliches hingenommen wurde, und noch jetzt die auf
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