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Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, I. Semester. I. Band.

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entsetzlich an die Thür geklopft wurde. Wie ich aufmachte, stand ein Soldat
mit Ober- und Untergewehr von einem regulären Regimente als Schildwache
vor mir und sagte mir, daß drei Offiziere von dem Regiment, welches soeben
eingerückt wäre, bei mir Quartier nehmen würden. Sogleich erschien der Vor¬
nehmste, welches ohngefähr ein Capitän war, besah die untersten Stuben und
wie sie alle voll waren. Er fragte, ob ich mit diesen Leuten zufrieden wäre,
ohne Zweifel, daß sie hätten weichen müssen, wenn ich gesagt haben würde,
nein! ich sägte aber ja und bot ihm, wenn der Offiziere nicht mehr als drei
wären, eine Stube im obern Stocke an. Nachdem er diese angesehen, blieb
er und die Andern kamen auch, und nun forderten sie auch Essen. Da ich
ihnen aber sagte, daß alles aufgezehrt sei, wie sie wohl vermuthen könnten,
und nur noch einige bereits gesottene Kartoffeln vorhanden wären, so mußten
diese gebracht werden. Während sie aßen, fragten sie nach Mehl; da dieses
vorhanden, so mußten ihnen Pfannkuchen in dickem Nahm gebacken werden und
Kartoffelsalat dazu, und hinterdrein noch Kaffee, und mit solchem Küchenzettel
brachten sie bis gegen el" Uhr in der Nacht zu. Unterdeß hatte ihr Bedienter
die übrigen Hühner der Reiter in der Küche zurecht machen sehen und gefragt,
ob diese für seine Herren sollten. Da ihm geantwortet, sie gehörten den Rei¬
tern, so hatte er gedroht, wenn seine Herren nicht noch dergleichen bekämen,
so würde ein großes Unglück entstehen. Ich ließ daher zwei Puthühner aus
dem Hühnerhause nehmen, abschlachten und mit jenen Hühnern braten. Mit
dieser Arbeit hatten sich die Meinigen die ganze Nacht beschäftigt. Früh sechs
Uhr war alles auf, aß Suppe und trank Kaffee; die Reiter setzten sich zu
Pferde und hatten eine von den Puthühnern der Offiziere mitgenommen und
ein miserables Huhn liegen lassen. Das sollte ehrlich sein.

Ich hatte bei meinen eigenen Sorgen mich nicht viel um die Anderen be¬
kümmern können, aber mein Gott! welche Verwüstung im Orte. Ein einziges
Mal trat ich an das Saalsenster und erblickte in der Ferne ein Feuer, dessen
Flamme bis an die Wolken zu schlagen schien. Ich hielt es für einen Brand
in Tonna, allein es war, wie ich den andern Morgen vernahm, zwischen hier
und Gierstädt gewesen, wo der Theil von den 20,000 Mann, die der Marschall
Ney commandirte, und die nicht in den Dörfern hatten unterkommen können,
ein Bivouac gehabt hatte. Solch einen Zustand hatte ich auch in dem so¬
genannten siebenjährigen preußischen Krieg, mit Oestreich, den ich ganz erlebte,
nicht gesehen. Man sah ein Lager unter freiem Himmel. Dazu waren keine
Zelte gebraucht worden. Man hatte die Einwohner von hier und in Gierstädt
gezwungen, ihr Geschirr anzuspannen und ihre Erntefrüchte in ihren Scheuern,
Korn, Weizen, Gerste, Hafer:c. aufzuladen und dahin zu fahren. Von diesen
Garben hatte man erst Schauer gegen den Wind gemacht, indem man die Gar¬
ben in doppelten Reihen rund herum in die Höhe gestellt hatte; von den übrigen


entsetzlich an die Thür geklopft wurde. Wie ich aufmachte, stand ein Soldat
mit Ober- und Untergewehr von einem regulären Regimente als Schildwache
vor mir und sagte mir, daß drei Offiziere von dem Regiment, welches soeben
eingerückt wäre, bei mir Quartier nehmen würden. Sogleich erschien der Vor¬
nehmste, welches ohngefähr ein Capitän war, besah die untersten Stuben und
wie sie alle voll waren. Er fragte, ob ich mit diesen Leuten zufrieden wäre,
ohne Zweifel, daß sie hätten weichen müssen, wenn ich gesagt haben würde,
nein! ich sägte aber ja und bot ihm, wenn der Offiziere nicht mehr als drei
wären, eine Stube im obern Stocke an. Nachdem er diese angesehen, blieb
er und die Andern kamen auch, und nun forderten sie auch Essen. Da ich
ihnen aber sagte, daß alles aufgezehrt sei, wie sie wohl vermuthen könnten,
und nur noch einige bereits gesottene Kartoffeln vorhanden wären, so mußten
diese gebracht werden. Während sie aßen, fragten sie nach Mehl; da dieses
vorhanden, so mußten ihnen Pfannkuchen in dickem Nahm gebacken werden und
Kartoffelsalat dazu, und hinterdrein noch Kaffee, und mit solchem Küchenzettel
brachten sie bis gegen el» Uhr in der Nacht zu. Unterdeß hatte ihr Bedienter
die übrigen Hühner der Reiter in der Küche zurecht machen sehen und gefragt,
ob diese für seine Herren sollten. Da ihm geantwortet, sie gehörten den Rei¬
tern, so hatte er gedroht, wenn seine Herren nicht noch dergleichen bekämen,
so würde ein großes Unglück entstehen. Ich ließ daher zwei Puthühner aus
dem Hühnerhause nehmen, abschlachten und mit jenen Hühnern braten. Mit
dieser Arbeit hatten sich die Meinigen die ganze Nacht beschäftigt. Früh sechs
Uhr war alles auf, aß Suppe und trank Kaffee; die Reiter setzten sich zu
Pferde und hatten eine von den Puthühnern der Offiziere mitgenommen und
ein miserables Huhn liegen lassen. Das sollte ehrlich sein.

Ich hatte bei meinen eigenen Sorgen mich nicht viel um die Anderen be¬
kümmern können, aber mein Gott! welche Verwüstung im Orte. Ein einziges
Mal trat ich an das Saalsenster und erblickte in der Ferne ein Feuer, dessen
Flamme bis an die Wolken zu schlagen schien. Ich hielt es für einen Brand
in Tonna, allein es war, wie ich den andern Morgen vernahm, zwischen hier
und Gierstädt gewesen, wo der Theil von den 20,000 Mann, die der Marschall
Ney commandirte, und die nicht in den Dörfern hatten unterkommen können,
ein Bivouac gehabt hatte. Solch einen Zustand hatte ich auch in dem so¬
genannten siebenjährigen preußischen Krieg, mit Oestreich, den ich ganz erlebte,
nicht gesehen. Man sah ein Lager unter freiem Himmel. Dazu waren keine
Zelte gebraucht worden. Man hatte die Einwohner von hier und in Gierstädt
gezwungen, ihr Geschirr anzuspannen und ihre Erntefrüchte in ihren Scheuern,
Korn, Weizen, Gerste, Hafer:c. aufzuladen und dahin zu fahren. Von diesen
Garben hatte man erst Schauer gegen den Wind gemacht, indem man die Gar¬
ben in doppelten Reihen rund herum in die Höhe gestellt hatte; von den übrigen


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341803_284469/152>, abgerufen am 29.09.2024.