Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, I. Semester. I. Band.Anmuth, die solche Verwegenheit aufs reizendste bändigt; und welches Ver¬ Anmuth, die solche Verwegenheit aufs reizendste bändigt; und welches Ver¬ <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0144" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/284614"/> <p xml:id="ID_500" prev="#ID_499"> Anmuth, die solche Verwegenheit aufs reizendste bändigt; und welches Ver¬<lb/> ständniß, welche plastische Beherrschung, welche Durchbildung der Form in<lb/> Vogel und Knaben! Dies Meisterwerk hat auch no.es vor andern Bronce-<lb/> arbeiten unsrer Zeit den großen Vorzug, daß sein Urheber selbst den Guß leitete<lb/> und die Bronce eigenhändig ciselirte, so daß keines fremden mechanischen Hand¬<lb/> werkers Feile die zarte Oberhaut geschädigt hat. Hier in diesem Werk hielten<lb/> sich Kalides stürmisches Naturell und edles künstlerisches Maß noch völlig das<lb/> Gleichgewicht. Aber leider sehen wir ihn von da ab mehr und mehr den<lb/> Lockungen des ersteren nachgeben und die Grenzen des künstlerisch Schönen<lb/> und Rechten gewaltsam verletzen. Schon trifft dieser Vorwurf die höchst geniale<lb/> Schöpfung seiner Bachantin mit dem Panther, die er 1844—51 nach einer<lb/> kurzen römischen Reise in Marmor meißelte. Die üppige nackte Gestalt des<lb/> jungen Weibes wälzt sich in ausgelassenem Uebermuth auf dem Rücken eines<lb/> Panthers, der wollüstig aus einer von ihren Fingern niederhängenden Schale<lb/> das süße Gift zu lecken strebt, das seine Herrin berauschte. Die seltsamsten,<lb/> gewaltsamsten Gliederstellungen, die complicirtesten Linien mußten sich aus der<lb/> so gestellten Aufgabe ergeben; aber dabei fand sein Talent Gelegenheit, in der<lb/> Darstellung des Nackten, speciell in der plastischen Behandlung des Fleisches<lb/> den höchsten Triumph zu feiern. Hierin überbot er seinen Meister und seine<lb/> Studiengenossen weitaus. Die strenge Zucht, das tactvolle Maßhalten der<lb/> Schule hatte er aber sür immer abgeworfen. Sein 1830 — 51 modellirtes<lb/> Standbild des Ministers Grafen Reden für Königshütte, ob auch großartig im<lb/> Entwurf, blieb von einer gewissen Rohheit und Jncorrectheit nicht frei; in der<lb/> Gruppe des Knaben mit dem Ziegenbock (1853) verfiel er völlig ins Outrirte,<lb/> Gewaltsame, absichtlich Absonderliche, so prächtig auch darin wieder die Be¬<lb/> handlung der Thierformen sich zeigte; und die in Marmor ausgeführte Ma¬<lb/> donna mit dem Kinde für die katholische Kirche in Miechowitz, das letzte fertig<lb/> gewordne Werk seines Lebens, bezeichnet mit ihrer zerflossenen Drapirung, eine<lb/> gänzliche Verirrung seines Geschmacks und das Verlieren jedes festen künst¬<lb/> lerischen Haltes in der Sculptur. Wo er sich in den letzten Lebensjahren an<lb/> den Dcnkmalsconcurrenzcn betheiligte, geschah es ohne Erfolg. Verbittert von<lb/> solchen, wie von sonstigen peinlichen Lebenserfahrungen, fand er keinen neuen<lb/> Aufschwung mehr. Ein plötzlicher Tod raffte ihn im August 1863 in seinem<lb/> Geburtsort Gleiwitz dahin. Seine großartig angelegte leidenschaftliche Natur,<lb/> die viel Verwandtes im Stil mit der manches berühmten Meisters der Re¬<lb/> naissance hatte, brachte ihn mit den complicirten modernen Verhältnissen oft<lb/> genug in Conflicte, die denn auch auf seine Kunstübung zurückwirken mußten, und<lb/> so behauptete er in späterer Zeit nicht mehr jene Stellung innerhalb der berliner<lb/> Schule, zu welcher ihn die Schöpfungen seiner früheren Jahre erhoben hatten.</p><lb/> <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0144]
Anmuth, die solche Verwegenheit aufs reizendste bändigt; und welches Ver¬
ständniß, welche plastische Beherrschung, welche Durchbildung der Form in
Vogel und Knaben! Dies Meisterwerk hat auch no.es vor andern Bronce-
arbeiten unsrer Zeit den großen Vorzug, daß sein Urheber selbst den Guß leitete
und die Bronce eigenhändig ciselirte, so daß keines fremden mechanischen Hand¬
werkers Feile die zarte Oberhaut geschädigt hat. Hier in diesem Werk hielten
sich Kalides stürmisches Naturell und edles künstlerisches Maß noch völlig das
Gleichgewicht. Aber leider sehen wir ihn von da ab mehr und mehr den
Lockungen des ersteren nachgeben und die Grenzen des künstlerisch Schönen
und Rechten gewaltsam verletzen. Schon trifft dieser Vorwurf die höchst geniale
Schöpfung seiner Bachantin mit dem Panther, die er 1844—51 nach einer
kurzen römischen Reise in Marmor meißelte. Die üppige nackte Gestalt des
jungen Weibes wälzt sich in ausgelassenem Uebermuth auf dem Rücken eines
Panthers, der wollüstig aus einer von ihren Fingern niederhängenden Schale
das süße Gift zu lecken strebt, das seine Herrin berauschte. Die seltsamsten,
gewaltsamsten Gliederstellungen, die complicirtesten Linien mußten sich aus der
so gestellten Aufgabe ergeben; aber dabei fand sein Talent Gelegenheit, in der
Darstellung des Nackten, speciell in der plastischen Behandlung des Fleisches
den höchsten Triumph zu feiern. Hierin überbot er seinen Meister und seine
Studiengenossen weitaus. Die strenge Zucht, das tactvolle Maßhalten der
Schule hatte er aber sür immer abgeworfen. Sein 1830 — 51 modellirtes
Standbild des Ministers Grafen Reden für Königshütte, ob auch großartig im
Entwurf, blieb von einer gewissen Rohheit und Jncorrectheit nicht frei; in der
Gruppe des Knaben mit dem Ziegenbock (1853) verfiel er völlig ins Outrirte,
Gewaltsame, absichtlich Absonderliche, so prächtig auch darin wieder die Be¬
handlung der Thierformen sich zeigte; und die in Marmor ausgeführte Ma¬
donna mit dem Kinde für die katholische Kirche in Miechowitz, das letzte fertig
gewordne Werk seines Lebens, bezeichnet mit ihrer zerflossenen Drapirung, eine
gänzliche Verirrung seines Geschmacks und das Verlieren jedes festen künst¬
lerischen Haltes in der Sculptur. Wo er sich in den letzten Lebensjahren an
den Dcnkmalsconcurrenzcn betheiligte, geschah es ohne Erfolg. Verbittert von
solchen, wie von sonstigen peinlichen Lebenserfahrungen, fand er keinen neuen
Aufschwung mehr. Ein plötzlicher Tod raffte ihn im August 1863 in seinem
Geburtsort Gleiwitz dahin. Seine großartig angelegte leidenschaftliche Natur,
die viel Verwandtes im Stil mit der manches berühmten Meisters der Re¬
naissance hatte, brachte ihn mit den complicirten modernen Verhältnissen oft
genug in Conflicte, die denn auch auf seine Kunstübung zurückwirken mußten, und
so behauptete er in späterer Zeit nicht mehr jene Stellung innerhalb der berliner
Schule, zu welcher ihn die Schöpfungen seiner früheren Jahre erhoben hatten.
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