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Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, I. Semester. I. Band.

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genösse von Kiß (geboren zu Gleiwitz 1801), eine der echtesten und ursprüng¬
lichsten Künstlernaturen in der berliner- und speciell der rauchschen Bildhauer¬
schule, ist nie vom Glück begünstigt gewesen wie jener und hat sein großes
Talent nur an einer weit geringeren Anzahl bedeutender Werke zu bewähren
Gelegenheit gefunden. Sohn eines Inspectors im königlichen Hüttenwerk zu
Gleiwiiz, erwählte er den väterlichen Beruf auch als den seinigen. Bei der
Eisengießerei dieses Orts, in den Modellirwerkstätten derselben wurde aber seine
Neigung zur Bildhauerkunst frühe genug angeregt, und in Berlin ins Gewerbe¬
institut eingetreten, äußerte sich bald sein Talent im Modelliren so entschieden,
daß Schadow selbst ihn veranlaßte, sich gänzlich der Kunst zu widmen. Mit
großer praktischer Vorbildung, mit vielgeübtem mannigfachem technischen Geschick
bereits ausgerüstet, kam er dann in den ersten zwanziger Jahren in Rauchs
Werkstatt. Nach kurzer Lehrlingszeit konnte ihm der Meister schon zwei be¬
deutende monumentale Arbeiten zur selbständigen Ausführung übertragen, welche
gewöhnlich unter Rauchs Werten aufgeführt werden, aber in jedem Sinne
Kalides Schöpfungen sind: der ruhende und der schlafende Löwe, beide in
Eisen gegossen, dieser für das Grabdenkmal Scharnhorsts auf dem Jnvaliden-
kirchhof zu Berlin, jener für das in Gleiwitz errichtete Denkmal der im dor¬
tigen Feldlazarett) an ihren bei Bauherr erhaltenen Wunden Verstorbenen. In
diesen beiden Thiergestalten zeigte sich bereits seine mächtige eigenartige Gestal¬
tungskraft und das besondere Talent, Thierformen zu plastischem Adel, Größe
und ewiger Giltigkeit zu erheben, ohne darüber die individuell charakteristische
Bestimmtheit zu opfern. Das königliche Thier dort oben über dem Grabhügel
des edelsten deutschen Helden, wie es seine dräuenden Glieder im Schlafe
reckt und müde das gewaltige Haupt sinken läßt, wirkt auf unser Empfinden
immer mit der Macht einer erhabnen Symbolik, und es ist doch nichts Abstractes
darin, jede Form und Linie vollendete Natur. Aus Kalides eigner selbst¬
gegründeter Werkstats ging während der ersten dreißiger Jahre die schöne Bronce-
vase für Friedrich Wilhelm den Dritten hervor, ein Meisterwerk edler Gefä߬
form und ebenso phantasievoller als harmonisch sich anschmiegender sinnent¬
sprechender Ornamentik. Kleinere Arbeiten jener Zeit übergehend, haben wir dann
vor allem das Hauptwerk seines Kmistlerlebens, das ihm trotz aller spätern Ver-
irrungen den schönsten Ruhm in der Geschichte der modernen Plastik sichern
wird, die Gruppe des "Knaben mit dem Schwan" zu nennen. Mit vollendeter
Kunst ist hier einer idealen Phantasieanschauung das realste Leben, der kühnen
Laune der Einbildungskraft die überzeugende Möglichkeit und Wahrheit der
Natur gegeben. Wie glücklich ist hier die harmonische Verbindung so con-
trastirender Formenelemente, wie sie Schwan und Knabe bieten, zur einheit¬
lichen, in jeder Linie geschlossenen Gruppe durchgeführt; welch beivundcrns"
werther Verein von gewagter Kühnheit der Bewegung und feiner Grazie und


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genösse von Kiß (geboren zu Gleiwitz 1801), eine der echtesten und ursprüng¬
lichsten Künstlernaturen in der berliner- und speciell der rauchschen Bildhauer¬
schule, ist nie vom Glück begünstigt gewesen wie jener und hat sein großes
Talent nur an einer weit geringeren Anzahl bedeutender Werke zu bewähren
Gelegenheit gefunden. Sohn eines Inspectors im königlichen Hüttenwerk zu
Gleiwiiz, erwählte er den väterlichen Beruf auch als den seinigen. Bei der
Eisengießerei dieses Orts, in den Modellirwerkstätten derselben wurde aber seine
Neigung zur Bildhauerkunst frühe genug angeregt, und in Berlin ins Gewerbe¬
institut eingetreten, äußerte sich bald sein Talent im Modelliren so entschieden,
daß Schadow selbst ihn veranlaßte, sich gänzlich der Kunst zu widmen. Mit
großer praktischer Vorbildung, mit vielgeübtem mannigfachem technischen Geschick
bereits ausgerüstet, kam er dann in den ersten zwanziger Jahren in Rauchs
Werkstatt. Nach kurzer Lehrlingszeit konnte ihm der Meister schon zwei be¬
deutende monumentale Arbeiten zur selbständigen Ausführung übertragen, welche
gewöhnlich unter Rauchs Werten aufgeführt werden, aber in jedem Sinne
Kalides Schöpfungen sind: der ruhende und der schlafende Löwe, beide in
Eisen gegossen, dieser für das Grabdenkmal Scharnhorsts auf dem Jnvaliden-
kirchhof zu Berlin, jener für das in Gleiwitz errichtete Denkmal der im dor¬
tigen Feldlazarett) an ihren bei Bauherr erhaltenen Wunden Verstorbenen. In
diesen beiden Thiergestalten zeigte sich bereits seine mächtige eigenartige Gestal¬
tungskraft und das besondere Talent, Thierformen zu plastischem Adel, Größe
und ewiger Giltigkeit zu erheben, ohne darüber die individuell charakteristische
Bestimmtheit zu opfern. Das königliche Thier dort oben über dem Grabhügel
des edelsten deutschen Helden, wie es seine dräuenden Glieder im Schlafe
reckt und müde das gewaltige Haupt sinken läßt, wirkt auf unser Empfinden
immer mit der Macht einer erhabnen Symbolik, und es ist doch nichts Abstractes
darin, jede Form und Linie vollendete Natur. Aus Kalides eigner selbst¬
gegründeter Werkstats ging während der ersten dreißiger Jahre die schöne Bronce-
vase für Friedrich Wilhelm den Dritten hervor, ein Meisterwerk edler Gefä߬
form und ebenso phantasievoller als harmonisch sich anschmiegender sinnent¬
sprechender Ornamentik. Kleinere Arbeiten jener Zeit übergehend, haben wir dann
vor allem das Hauptwerk seines Kmistlerlebens, das ihm trotz aller spätern Ver-
irrungen den schönsten Ruhm in der Geschichte der modernen Plastik sichern
wird, die Gruppe des „Knaben mit dem Schwan" zu nennen. Mit vollendeter
Kunst ist hier einer idealen Phantasieanschauung das realste Leben, der kühnen
Laune der Einbildungskraft die überzeugende Möglichkeit und Wahrheit der
Natur gegeben. Wie glücklich ist hier die harmonische Verbindung so con-
trastirender Formenelemente, wie sie Schwan und Knabe bieten, zur einheit¬
lichen, in jeder Linie geschlossenen Gruppe durchgeführt; welch beivundcrns»
werther Verein von gewagter Kühnheit der Bewegung und feiner Grazie und


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341803_284469/143>, abgerufen am 29.09.2024.