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Die Grenzboten. Jg. 24, 1865, II. Semester. I. Band.

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sehn genießen werde, so ließ es sich doch nicht verbürgen, daß sie auf eine
ausnahmslose Zustimmung und Geltung zu rechnen habe.

Dies war der Stand der Gesetzgebung in Betreff der politischen Vereine,
als der Minister dem Rath der Stadt Rostock den Befehl ertheilte, gegen die
dortigen Mitglieder des Nationalvereins. -- welche bis dahin, unbehelligt von der
Behörde, die mit allem sehr wohl bekannt war, meistens schon Jahre lang
demselben angehört und für dessen Zwecke gewirkt hatten, ohne daraus irgend¬
ein Geheimniß zu machen, -- eine Untersuchung einzuleiten.

Nach der Rostocker Gerichtsverfassung war das dortige Polizeiamt, dessen
Präses der durch seine praktisch bethätigte Vorliebe für die Strafe der körper¬
lichen Züchtigung zu einem nicht beneidenswerthen Ruf gelangte Senator
Di-. Bläuel ist, als Untersuchungs- und Spruchbehörde in erster Instanz com-
petent. Da die Mitglieder des Nationalvereins, nachdem die Untersuchung
gegen eines derselben eingeleitet war, sich alle selbst anzeigten und in den mit
ihnen angestellten Verhören über alles offne Auskunft gaben, so war die Fest¬
stellung des Thatbestandes nicht schwierig. Die Verhöre wurden sehr summarisch
und meistens gruppenweise betrieben. Eine Vertheidigung, außer dem, was
etwa der Einzelne mündlich zu Protokoll gab, war in dieser Instanz noch nicht
statthaft. Der Inquirent behandelte die Sache wenig eingehend und mit so
großer Eile, daß er einen der Angeklagten, Moritz Wiggers, sich nicht einmal
die Mühe gab zur Vernehmung zu laden, und verurtheilte am 16. December 1863
sämmtliche Angeklagte, 43 an der Zahl, in Geldstrafen resp. 20. 15. 10 und
5 Thlr. Unter den Verurtheilten befand sich auch Moritz Wiggers, gegen
welchen die Untersuchung demnach mit der Publication des Straferkenntnisses
begann. In den Entscheidungsgründen wurde zwar die Tendenz des National¬
vereins als keinem Tadel unterliegende und sogar löbliche anerkannt; weil
aber auf den ministeriellen Erlaß vom 1. October 1859 ein demselben nicht
zukommendes Gewicht gelegt wurde, und vielleicht auch der Wunsch mitwirkte,
einem Conflict mit dem Minister aus dem Wege zu gehen, glaubte der Richter
die Angeklagten von Schuld und Strafe nicht ganz freisprechen zu können.

Die letzteren legten gegen dieses Erkenntniß Recurs ein, und die Sache
gelangte dadurch, in zweiter Instanz, vor den rostocker Stadtrath, bestehend
aus zwei Rechtsgelehrten und einem kaufmännischen Bürgermeister, zwei rechts¬
gelehrten Syndicis und 11 Senatoren, von denen 6 !l!echtsgelehrte sind und
5 dem Kaufmannsstande angehören. Die Angeklagten hatten einen aus ihrer
Mitte, den Advocaten Behm. zu ihrem Vertheidiger erwählt, welcher in einer
gründlichen und umfassenden Defensionsschrift die Schwäche der vom Senator
Bläuel seinem Strafertenntniß beigefügten Entscheidungsgründe und die voll¬
kommene Gesetzlichkeit der Betheiligung am Nationalvereine nachwies. Nach sorgsamer
und lange fortgesetzter Erwägung sprach der Rath, in einem ausführlich motivirten


sehn genießen werde, so ließ es sich doch nicht verbürgen, daß sie auf eine
ausnahmslose Zustimmung und Geltung zu rechnen habe.

Dies war der Stand der Gesetzgebung in Betreff der politischen Vereine,
als der Minister dem Rath der Stadt Rostock den Befehl ertheilte, gegen die
dortigen Mitglieder des Nationalvereins. — welche bis dahin, unbehelligt von der
Behörde, die mit allem sehr wohl bekannt war, meistens schon Jahre lang
demselben angehört und für dessen Zwecke gewirkt hatten, ohne daraus irgend¬
ein Geheimniß zu machen, — eine Untersuchung einzuleiten.

Nach der Rostocker Gerichtsverfassung war das dortige Polizeiamt, dessen
Präses der durch seine praktisch bethätigte Vorliebe für die Strafe der körper¬
lichen Züchtigung zu einem nicht beneidenswerthen Ruf gelangte Senator
Di-. Bläuel ist, als Untersuchungs- und Spruchbehörde in erster Instanz com-
petent. Da die Mitglieder des Nationalvereins, nachdem die Untersuchung
gegen eines derselben eingeleitet war, sich alle selbst anzeigten und in den mit
ihnen angestellten Verhören über alles offne Auskunft gaben, so war die Fest¬
stellung des Thatbestandes nicht schwierig. Die Verhöre wurden sehr summarisch
und meistens gruppenweise betrieben. Eine Vertheidigung, außer dem, was
etwa der Einzelne mündlich zu Protokoll gab, war in dieser Instanz noch nicht
statthaft. Der Inquirent behandelte die Sache wenig eingehend und mit so
großer Eile, daß er einen der Angeklagten, Moritz Wiggers, sich nicht einmal
die Mühe gab zur Vernehmung zu laden, und verurtheilte am 16. December 1863
sämmtliche Angeklagte, 43 an der Zahl, in Geldstrafen resp. 20. 15. 10 und
5 Thlr. Unter den Verurtheilten befand sich auch Moritz Wiggers, gegen
welchen die Untersuchung demnach mit der Publication des Straferkenntnisses
begann. In den Entscheidungsgründen wurde zwar die Tendenz des National¬
vereins als keinem Tadel unterliegende und sogar löbliche anerkannt; weil
aber auf den ministeriellen Erlaß vom 1. October 1859 ein demselben nicht
zukommendes Gewicht gelegt wurde, und vielleicht auch der Wunsch mitwirkte,
einem Conflict mit dem Minister aus dem Wege zu gehen, glaubte der Richter
die Angeklagten von Schuld und Strafe nicht ganz freisprechen zu können.

Die letzteren legten gegen dieses Erkenntniß Recurs ein, und die Sache
gelangte dadurch, in zweiter Instanz, vor den rostocker Stadtrath, bestehend
aus zwei Rechtsgelehrten und einem kaufmännischen Bürgermeister, zwei rechts¬
gelehrten Syndicis und 11 Senatoren, von denen 6 !l!echtsgelehrte sind und
5 dem Kaufmannsstande angehören. Die Angeklagten hatten einen aus ihrer
Mitte, den Advocaten Behm. zu ihrem Vertheidiger erwählt, welcher in einer
gründlichen und umfassenden Defensionsschrift die Schwäche der vom Senator
Bläuel seinem Strafertenntniß beigefügten Entscheidungsgründe und die voll¬
kommene Gesetzlichkeit der Betheiligung am Nationalvereine nachwies. Nach sorgsamer
und lange fortgesetzter Erwägung sprach der Rath, in einem ausführlich motivirten


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 24, 1865, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341801_283352/74>, abgerufen am 15.01.2025.