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Die Grenzboten. Jg. 24, 1865, II. Semester. I. Band.

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1) sich jeder Intervention in die innern Angelegenheiten Frankreichs zu
enthalten, indem man sonst zu befürchten hätte, daß alle Parteien sich gegen
das Ausland vereinigen und einen höchst gefährlichen Krieg herbeiführen
würden;

2) den König Ludwig Philipp unverzüglich anzuerkennen, damit die der-
malige französische Regierung sich möglichst consolidire und der Anarchie vor¬
gebeugt werde;

3) eine Ministerconferenz zu etabliren. um die Maßregeln zu berathen,
welche zu ergreifen seien, wenn die Franzosen ihre Principien auf fremden Bo¬
den zu verpflanzen suchten, und so die Ruhe der Nachbarstaaten bedrohten.
Hierbei wurde bemerkt, daß Berlin der geeignetste Ort zu einer solchen Con-
ferenz sein dürfte, da dasselbe in der Mitte zwischen den verschiedenen Höfen
von Wien, Petersburg. London und Paris liege.

Graf Bernstorff. der preußische Ministerpräsident, erwiderte hierauf, daß
der k. preußische Hof mit den beiden ersten Punkten vollkommen einverstanden
sei. indem man allerdings alles vermeiden müsse, was die französische Nation
reizen oder Anarchie herbeiführen könnte. Aus demselben Grunde müsse er
sich aber gegen den dritten Vorschlag erklären, weil eine Ministerconferenz wie
die zu Paris und London etablirten,*) bei Frankreich den Verdacht erregen
müßte, Oestreich, Preußen und Rußland meinten es mit der Anerkennung
Frankreichs nicht aufrichtig und führten andere Absichten im Schilde. Gleich¬
wohl stehe nichts im Wege, daß die Gesandten von Oestreich, Preußen und
Nußland sich vertraulich die Ansichten ihrer Höfe über alle vorkommenden Fälle
mittheilten und so ein Zusammenwirken zu gleichen Zwecken herbeiführten.

Graf Nesselrode, der russische Minister, war mit dieser Ansicht Preußens
persönlich vollkommen einverstanden, und reiste sofort nach Petersburg ab, um
sie bei dem Kaiser geltend zu machen. Der Czar fuhr fort, der Idee der An¬
erkennung Ludwig Philipps zu widerstreben, den er nur als "Generallieute¬
nant des Königreichs" betrachten zu können erklärte. Aber die Entschiedenheit,
mit der in dieser Frage Oestreich und Preußen sich von seiner Politik lossag¬
ten, drängte auch ihn schließlich zu dem ungern vollzogenen Schritte. Am
18. September sprach Kaiser Nikolaus in einem von Zarskoe-Scio datirten
Schreiben die Anerkennung Ludwig Philipps aus, nachdem die beiden verbün¬
deten deutschen Staaten ihm mit diesem Acte vorangegangen waren. Das
Schreiben ist charakteristisch genug, um der vollständigen Mittheilung werth zu
zu sein. Es lautet:

"5'al re?u als oans an Z6ri6rai ^etain 1a lettrs, aeine it a 6t6 xor-



") Zur Regelung der niederländisch. belgischen Frage.

1) sich jeder Intervention in die innern Angelegenheiten Frankreichs zu
enthalten, indem man sonst zu befürchten hätte, daß alle Parteien sich gegen
das Ausland vereinigen und einen höchst gefährlichen Krieg herbeiführen
würden;

2) den König Ludwig Philipp unverzüglich anzuerkennen, damit die der-
malige französische Regierung sich möglichst consolidire und der Anarchie vor¬
gebeugt werde;

3) eine Ministerconferenz zu etabliren. um die Maßregeln zu berathen,
welche zu ergreifen seien, wenn die Franzosen ihre Principien auf fremden Bo¬
den zu verpflanzen suchten, und so die Ruhe der Nachbarstaaten bedrohten.
Hierbei wurde bemerkt, daß Berlin der geeignetste Ort zu einer solchen Con-
ferenz sein dürfte, da dasselbe in der Mitte zwischen den verschiedenen Höfen
von Wien, Petersburg. London und Paris liege.

Graf Bernstorff. der preußische Ministerpräsident, erwiderte hierauf, daß
der k. preußische Hof mit den beiden ersten Punkten vollkommen einverstanden
sei. indem man allerdings alles vermeiden müsse, was die französische Nation
reizen oder Anarchie herbeiführen könnte. Aus demselben Grunde müsse er
sich aber gegen den dritten Vorschlag erklären, weil eine Ministerconferenz wie
die zu Paris und London etablirten,*) bei Frankreich den Verdacht erregen
müßte, Oestreich, Preußen und Rußland meinten es mit der Anerkennung
Frankreichs nicht aufrichtig und führten andere Absichten im Schilde. Gleich¬
wohl stehe nichts im Wege, daß die Gesandten von Oestreich, Preußen und
Nußland sich vertraulich die Ansichten ihrer Höfe über alle vorkommenden Fälle
mittheilten und so ein Zusammenwirken zu gleichen Zwecken herbeiführten.

Graf Nesselrode, der russische Minister, war mit dieser Ansicht Preußens
persönlich vollkommen einverstanden, und reiste sofort nach Petersburg ab, um
sie bei dem Kaiser geltend zu machen. Der Czar fuhr fort, der Idee der An¬
erkennung Ludwig Philipps zu widerstreben, den er nur als „Generallieute¬
nant des Königreichs" betrachten zu können erklärte. Aber die Entschiedenheit,
mit der in dieser Frage Oestreich und Preußen sich von seiner Politik lossag¬
ten, drängte auch ihn schließlich zu dem ungern vollzogenen Schritte. Am
18. September sprach Kaiser Nikolaus in einem von Zarskoe-Scio datirten
Schreiben die Anerkennung Ludwig Philipps aus, nachdem die beiden verbün¬
deten deutschen Staaten ihm mit diesem Acte vorangegangen waren. Das
Schreiben ist charakteristisch genug, um der vollständigen Mittheilung werth zu
zu sein. Es lautet:

„5'al re?u als oans an Z6ri6rai ^etain 1a lettrs, aeine it a 6t6 xor-



") Zur Regelung der niederländisch. belgischen Frage.
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[0069] 1) sich jeder Intervention in die innern Angelegenheiten Frankreichs zu enthalten, indem man sonst zu befürchten hätte, daß alle Parteien sich gegen das Ausland vereinigen und einen höchst gefährlichen Krieg herbeiführen würden; 2) den König Ludwig Philipp unverzüglich anzuerkennen, damit die der- malige französische Regierung sich möglichst consolidire und der Anarchie vor¬ gebeugt werde; 3) eine Ministerconferenz zu etabliren. um die Maßregeln zu berathen, welche zu ergreifen seien, wenn die Franzosen ihre Principien auf fremden Bo¬ den zu verpflanzen suchten, und so die Ruhe der Nachbarstaaten bedrohten. Hierbei wurde bemerkt, daß Berlin der geeignetste Ort zu einer solchen Con- ferenz sein dürfte, da dasselbe in der Mitte zwischen den verschiedenen Höfen von Wien, Petersburg. London und Paris liege. Graf Bernstorff. der preußische Ministerpräsident, erwiderte hierauf, daß der k. preußische Hof mit den beiden ersten Punkten vollkommen einverstanden sei. indem man allerdings alles vermeiden müsse, was die französische Nation reizen oder Anarchie herbeiführen könnte. Aus demselben Grunde müsse er sich aber gegen den dritten Vorschlag erklären, weil eine Ministerconferenz wie die zu Paris und London etablirten,*) bei Frankreich den Verdacht erregen müßte, Oestreich, Preußen und Rußland meinten es mit der Anerkennung Frankreichs nicht aufrichtig und führten andere Absichten im Schilde. Gleich¬ wohl stehe nichts im Wege, daß die Gesandten von Oestreich, Preußen und Nußland sich vertraulich die Ansichten ihrer Höfe über alle vorkommenden Fälle mittheilten und so ein Zusammenwirken zu gleichen Zwecken herbeiführten. Graf Nesselrode, der russische Minister, war mit dieser Ansicht Preußens persönlich vollkommen einverstanden, und reiste sofort nach Petersburg ab, um sie bei dem Kaiser geltend zu machen. Der Czar fuhr fort, der Idee der An¬ erkennung Ludwig Philipps zu widerstreben, den er nur als „Generallieute¬ nant des Königreichs" betrachten zu können erklärte. Aber die Entschiedenheit, mit der in dieser Frage Oestreich und Preußen sich von seiner Politik lossag¬ ten, drängte auch ihn schließlich zu dem ungern vollzogenen Schritte. Am 18. September sprach Kaiser Nikolaus in einem von Zarskoe-Scio datirten Schreiben die Anerkennung Ludwig Philipps aus, nachdem die beiden verbün¬ deten deutschen Staaten ihm mit diesem Acte vorangegangen waren. Das Schreiben ist charakteristisch genug, um der vollständigen Mittheilung werth zu zu sein. Es lautet: „5'al re?u als oans an Z6ri6rai ^etain 1a lettrs, aeine it a 6t6 xor- ") Zur Regelung der niederländisch. belgischen Frage.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 24, 1865, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341801_283352/69>, abgerufen am 15.01.2025.