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Die Grenzboten. Jg. 24, 1865, II. Semester. I. Band.

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von den pariser Ereignissen und den Gefahren, die sie möglicherweise im Ge>
folge haben könnten, sehr unangenehm berührt. Bei der ersten Nachricht soll
der König gesagt haben: "Nachdem ich die Greuel der ersten Revolution er¬
lebt, ihre Folgen gesehen und verderbliche Kriege zu führen gezwungen war,
hätte ich gerne mein Alter in Frieden zugebracht, da die gewöhnlichen Ange¬
legenheiten Sorge genug gewahren." Die Worte erinnern an Steins Ausruf:
"Also noch einmal soll das böse Volk Verwirrung über Europa bringen!
Wenn sie einmal losbrechen wollten und mußten, so wollt' ich doch, sie hätten
gewartet, bis ich todt wäre!" Den Ausbruch eines Rheinkrieges hielt man in
Berlin, wenn auch nicht für die nächste Zeit, für sehr wohl möglich und rüstete
sich im Stillen, damit er den Staat nicht unvorbereitet treffe. Je mehr man
sich aller Einmischung und alles dessen enthielt, was einer Herausforderung
ähnlich sehen konnte, um so mehr rechnete man auch auf den Enthusiasmus
der Nation, wenn ein Vertheidigungskrieg nöthig würde; in den alten Provinzen
durfte man wohl mit Gewißheit darauf zählen.

Das Schreiben eines wohlunterrichteten Mannes (aus Berlin vom 20. August)
mag hier Platz finden, da es die Stimmung der verschiedenen Kreise des Landes
sehr 'klar zur Anschauung bringt und in seiner unbedingten Anerkennung der
preußischen Schlagfertigkeit um so unbefangener erscheint, als der Verfasser ein
Süddeutscher ist. "Abgesehen davon" -- heißt es nach dem für unser Thema
gleichgiltigen Eingang -- "daß ein Angriffskrieg Preußens gegen Frankreich
unter den gegenwärt-igen Verhältnissen unpopulär wäre, indem unverkennbar
auch im preußischen Volke die Stimmung für die Pariser und gegen die Bour-
bonen ist, ist auch die ganze bekannte preußische Militärverfassung mit ihrer
dreijährigen Dienstzeit und dem Landwehrsystem mehr auf einen Vertheidigungs¬
krieg als auf einen Angriffskrieg berechnet. Will Preußen einen Krieg mit
Glück führen, so muß es ein Volkskrieg sein, ein blos politischer Krieg ließe
die Nation kalt. Dagegen sind die militärischen Streitkräfte Preußens bedeutend,
die Mittel in gutem Zustande und zahlreich, ein Vorzug, den es vor Rußland
in diesem Augenblicke hat, dem ein Krieg sehr ungelegen käme, da es durch
den Türkenkrieg mehr erschöpft ist. als man glauben sollte. Wie Oestreich an
einem Zehrfieber darniederliegt, wie dessen Militärkräfte durch Vernachlässigung
in Verfall gerathen, ist bekannt. Preußen steht dagegen jung und kräftig da.
Die Arsenale sind alle gefüllt, die Regimenter, ja selbst die Landwehr, haben
alle zwei complete Anzüge auf den Kammern; die Festungen sind in dem
besten Zustande, und in ihnen befinden sich beträchliche Magazine von Getreide
und Mehl, in wohlfeilen Jahren aufgekauft und stets gut erhalten. Zur
Mobilmachung sämmtlicher Armeecorps bedarf man etwa neun Millionen Thaler,
und diese liegen, nur für diesen Zweck, stets im ^Staatsschatz reservirt. In
vierzehn Tagen bis drei Wochen kann jedes Armeecorps auf den Kriegsfuß


von den pariser Ereignissen und den Gefahren, die sie möglicherweise im Ge>
folge haben könnten, sehr unangenehm berührt. Bei der ersten Nachricht soll
der König gesagt haben: „Nachdem ich die Greuel der ersten Revolution er¬
lebt, ihre Folgen gesehen und verderbliche Kriege zu führen gezwungen war,
hätte ich gerne mein Alter in Frieden zugebracht, da die gewöhnlichen Ange¬
legenheiten Sorge genug gewahren." Die Worte erinnern an Steins Ausruf:
„Also noch einmal soll das böse Volk Verwirrung über Europa bringen!
Wenn sie einmal losbrechen wollten und mußten, so wollt' ich doch, sie hätten
gewartet, bis ich todt wäre!" Den Ausbruch eines Rheinkrieges hielt man in
Berlin, wenn auch nicht für die nächste Zeit, für sehr wohl möglich und rüstete
sich im Stillen, damit er den Staat nicht unvorbereitet treffe. Je mehr man
sich aller Einmischung und alles dessen enthielt, was einer Herausforderung
ähnlich sehen konnte, um so mehr rechnete man auch auf den Enthusiasmus
der Nation, wenn ein Vertheidigungskrieg nöthig würde; in den alten Provinzen
durfte man wohl mit Gewißheit darauf zählen.

Das Schreiben eines wohlunterrichteten Mannes (aus Berlin vom 20. August)
mag hier Platz finden, da es die Stimmung der verschiedenen Kreise des Landes
sehr 'klar zur Anschauung bringt und in seiner unbedingten Anerkennung der
preußischen Schlagfertigkeit um so unbefangener erscheint, als der Verfasser ein
Süddeutscher ist. „Abgesehen davon" — heißt es nach dem für unser Thema
gleichgiltigen Eingang — „daß ein Angriffskrieg Preußens gegen Frankreich
unter den gegenwärt-igen Verhältnissen unpopulär wäre, indem unverkennbar
auch im preußischen Volke die Stimmung für die Pariser und gegen die Bour-
bonen ist, ist auch die ganze bekannte preußische Militärverfassung mit ihrer
dreijährigen Dienstzeit und dem Landwehrsystem mehr auf einen Vertheidigungs¬
krieg als auf einen Angriffskrieg berechnet. Will Preußen einen Krieg mit
Glück führen, so muß es ein Volkskrieg sein, ein blos politischer Krieg ließe
die Nation kalt. Dagegen sind die militärischen Streitkräfte Preußens bedeutend,
die Mittel in gutem Zustande und zahlreich, ein Vorzug, den es vor Rußland
in diesem Augenblicke hat, dem ein Krieg sehr ungelegen käme, da es durch
den Türkenkrieg mehr erschöpft ist. als man glauben sollte. Wie Oestreich an
einem Zehrfieber darniederliegt, wie dessen Militärkräfte durch Vernachlässigung
in Verfall gerathen, ist bekannt. Preußen steht dagegen jung und kräftig da.
Die Arsenale sind alle gefüllt, die Regimenter, ja selbst die Landwehr, haben
alle zwei complete Anzüge auf den Kammern; die Festungen sind in dem
besten Zustande, und in ihnen befinden sich beträchliche Magazine von Getreide
und Mehl, in wohlfeilen Jahren aufgekauft und stets gut erhalten. Zur
Mobilmachung sämmtlicher Armeecorps bedarf man etwa neun Millionen Thaler,
und diese liegen, nur für diesen Zweck, stets im ^Staatsschatz reservirt. In
vierzehn Tagen bis drei Wochen kann jedes Armeecorps auf den Kriegsfuß


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 24, 1865, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341801_283352/66>, abgerufen am 15.01.2025.