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Die Grenzboten. Jg. 24, 1865, II. Semester. I. Band.

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für Schlesien und Breslau"in der Selbständigkeit Krakaus lag, Welches die Oest-
reicher damals -- was jetzt vergessen zu sein scheint, aber nicht vergessen sein
sollte -- unbehindert annectirten.




Eindrücke der Julirevolution in Deutschland.

Die nachhaltigen Einwirkungen der Julirevolution auf das öffentliche Leben
unseres Vaterlandes sind nie geläugnet worden. Wir sind aber besser über die
Art und Weise, wie sich die französischen Einflüsse auf die liberalen Parteien
äußerten, unterrichtet, als über die Stimmung, welche die pariser Nachrichten,
der Wechsel der Dinge jenseits des Rheins in den regierenden Kreisen der
größeren deutschen Staaten hervorriefen. Darum dürfte es nicht uninteressant
sein, aus Aufzeichnungen wohlunterrichteter Männer über die Gesinnungen, Pläne
und Wünsche der Höfe in Berlin, Wien. Stuttgart und München einige Mit¬
theilungen zu machen, die uns recht lebendig und deutlich die Anschauungen
jener Kreise vorführen, von denen damals doch noch in viel höherem Maße als
heute, nach fünfunddreißig Jahren, die Stellung Deutschlands zu einer so wichtigen
Frage abhing. Die Wucht und Bedeutung des eminent nationalen und
liberalen Charakters der französischen Bewegung gab hauptsächlich in der
Beurtheilung derselben für Aristokraten und Liberale in Deutschland den Aus¬
schlag. Wie sich die Volkspartei, man möchte sagen instinctiv, von den pariser
Ereignissen begeistern ließ, fühlten ihre Gegner ebenso lebhaft die Gefahr,
die für sie in dem verführerischen Beispiel lag, das jenen von dem linken
Rheinufer her gegeben wurde.

Am kühlsten und nüchternsten, freilich auch mit dem größten Unbehagen, weil
man sich der eigenen Schwäche wohl bewußt war, sah man in Wien die
Lage der Dinge an. Auf den sehr kriegerischen Brief eines kleinstaatlichen
Generals antwortet am 24. August 1830 ein östreichischer Staatsmann: "Ihr
Brief vom 19. trägt das Gepräge Ihrer Seele. Ich begreife, daß die Begeben-
heiten in Frankreich so und nicht anders auf Sie wirkten. Diesmal aber, mein
theuerster Freund, muß die praktische Vernunft unsere einzige Führerin sein.
Die letzte und feierlichste aller Revolutionen ist nur angefangen, keineswegs
beendigt. Hinter den ^igen Machthabern steht eine andere Partei, die diesen


für Schlesien und Breslau"in der Selbständigkeit Krakaus lag, Welches die Oest-
reicher damals — was jetzt vergessen zu sein scheint, aber nicht vergessen sein
sollte — unbehindert annectirten.




Eindrücke der Julirevolution in Deutschland.

Die nachhaltigen Einwirkungen der Julirevolution auf das öffentliche Leben
unseres Vaterlandes sind nie geläugnet worden. Wir sind aber besser über die
Art und Weise, wie sich die französischen Einflüsse auf die liberalen Parteien
äußerten, unterrichtet, als über die Stimmung, welche die pariser Nachrichten,
der Wechsel der Dinge jenseits des Rheins in den regierenden Kreisen der
größeren deutschen Staaten hervorriefen. Darum dürfte es nicht uninteressant
sein, aus Aufzeichnungen wohlunterrichteter Männer über die Gesinnungen, Pläne
und Wünsche der Höfe in Berlin, Wien. Stuttgart und München einige Mit¬
theilungen zu machen, die uns recht lebendig und deutlich die Anschauungen
jener Kreise vorführen, von denen damals doch noch in viel höherem Maße als
heute, nach fünfunddreißig Jahren, die Stellung Deutschlands zu einer so wichtigen
Frage abhing. Die Wucht und Bedeutung des eminent nationalen und
liberalen Charakters der französischen Bewegung gab hauptsächlich in der
Beurtheilung derselben für Aristokraten und Liberale in Deutschland den Aus¬
schlag. Wie sich die Volkspartei, man möchte sagen instinctiv, von den pariser
Ereignissen begeistern ließ, fühlten ihre Gegner ebenso lebhaft die Gefahr,
die für sie in dem verführerischen Beispiel lag, das jenen von dem linken
Rheinufer her gegeben wurde.

Am kühlsten und nüchternsten, freilich auch mit dem größten Unbehagen, weil
man sich der eigenen Schwäche wohl bewußt war, sah man in Wien die
Lage der Dinge an. Auf den sehr kriegerischen Brief eines kleinstaatlichen
Generals antwortet am 24. August 1830 ein östreichischer Staatsmann: „Ihr
Brief vom 19. trägt das Gepräge Ihrer Seele. Ich begreife, daß die Begeben-
heiten in Frankreich so und nicht anders auf Sie wirkten. Diesmal aber, mein
theuerster Freund, muß die praktische Vernunft unsere einzige Führerin sein.
Die letzte und feierlichste aller Revolutionen ist nur angefangen, keineswegs
beendigt. Hinter den ^igen Machthabern steht eine andere Partei, die diesen


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[0064] für Schlesien und Breslau"in der Selbständigkeit Krakaus lag, Welches die Oest- reicher damals — was jetzt vergessen zu sein scheint, aber nicht vergessen sein sollte — unbehindert annectirten. Eindrücke der Julirevolution in Deutschland. Die nachhaltigen Einwirkungen der Julirevolution auf das öffentliche Leben unseres Vaterlandes sind nie geläugnet worden. Wir sind aber besser über die Art und Weise, wie sich die französischen Einflüsse auf die liberalen Parteien äußerten, unterrichtet, als über die Stimmung, welche die pariser Nachrichten, der Wechsel der Dinge jenseits des Rheins in den regierenden Kreisen der größeren deutschen Staaten hervorriefen. Darum dürfte es nicht uninteressant sein, aus Aufzeichnungen wohlunterrichteter Männer über die Gesinnungen, Pläne und Wünsche der Höfe in Berlin, Wien. Stuttgart und München einige Mit¬ theilungen zu machen, die uns recht lebendig und deutlich die Anschauungen jener Kreise vorführen, von denen damals doch noch in viel höherem Maße als heute, nach fünfunddreißig Jahren, die Stellung Deutschlands zu einer so wichtigen Frage abhing. Die Wucht und Bedeutung des eminent nationalen und liberalen Charakters der französischen Bewegung gab hauptsächlich in der Beurtheilung derselben für Aristokraten und Liberale in Deutschland den Aus¬ schlag. Wie sich die Volkspartei, man möchte sagen instinctiv, von den pariser Ereignissen begeistern ließ, fühlten ihre Gegner ebenso lebhaft die Gefahr, die für sie in dem verführerischen Beispiel lag, das jenen von dem linken Rheinufer her gegeben wurde. Am kühlsten und nüchternsten, freilich auch mit dem größten Unbehagen, weil man sich der eigenen Schwäche wohl bewußt war, sah man in Wien die Lage der Dinge an. Auf den sehr kriegerischen Brief eines kleinstaatlichen Generals antwortet am 24. August 1830 ein östreichischer Staatsmann: „Ihr Brief vom 19. trägt das Gepräge Ihrer Seele. Ich begreife, daß die Begeben- heiten in Frankreich so und nicht anders auf Sie wirkten. Diesmal aber, mein theuerster Freund, muß die praktische Vernunft unsere einzige Führerin sein. Die letzte und feierlichste aller Revolutionen ist nur angefangen, keineswegs beendigt. Hinter den ^igen Machthabern steht eine andere Partei, die diesen

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 24, 1865, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341801_283352/64>, abgerufen am 15.01.2025.