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Die Grenzboten. Jg. 24, 1865, II. Semester. I. Band.

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macht ihn erbeben", der ganz unverblümt das Motiv des Se. Bris im vierten
Act der Hugenotten bringt, auf eigenen Füßen steht.

Die Introduction des dritten Actes schildert in sehr reizender Weise den
frühen Morgen auf dem Ocean, durch dessen leise und schmeichelnd spielende
Wellen das Schiff Don Petros ruhig dahinzieht. Ein höchst graziöser Frauen¬
chor in ^s-moll: "Der Morgen kommt herauf", schließt sich unmittelbar an.
Ihm folgt ein Quartett und Chor der Matrosen, der zum Frischesten und Ge¬
sundesten gehört, was je aus Meyerbeers Feder geflossen. Es weht daraus in
Wahrheit die Luft und Freiheit der weiten offenen See. Auch das Gebet
auf dem Schiffe, gemischtes Quartett und Chor, ist wirkungsvoll. Sehr hu¬
moristisch ist das kleine Sätzchen für Piccolo mit piquanter Begleitung, welches
die Schiffspfeife nachahmt, die die Mannschaft zum Frühstück ruft. Ein düster
unheimliches und dabei doch schaurig schönes Stück ist des wilden Nelusco
Ballade: "Hei Adamastor, der König der Wellen", in welchem der Chor der
Matrosen mit einem diabolischen "Ha, ha, ha!" den Refrain bildet. Das Duett
zwischen Pedro und Vasco. besonders von den Worten an: "Junger Thor, der
wohl hat vergessen" ist voll Feuer und dramatisches Leben. Nicht minder daS
große Septett zu der Scene, in welcher Selica der Ines den Dolch auf die
Brust setzt, und das Finale mit dem wild hereinbrechenden Chor der indischen
Krieger, so daß eigentlich der ganze dritte Act in frischem musikalischen Zug
und Zusammenhang bleibt.

Der vierte Act zeigt gleich im Eingang, den ein großer indianischer Marsch
ausfüllt, jene strengere Einheit in Form und Gehalt, die wir, im Gegensatze
zum Propheten und Robert dem Teufel, der Afrikanerin nachrühmten. Die
verschiedenen Motive und der. je nach den im Aufzuge auftretenden Gruppen
der Braminen. Gaukler. Amazonen, Krieger und der Königin mit ihrem ganzen
Hofstaate wechselnde Ausdruck derselben erscheinen hier nicht mosaikartig aneinander¬
gereiht, sondern zu einer höhern Einheit verschmolzen. Auch sind die Themata
meist edel gehalten und nie auf die Spitze getrieben, wie sonst mitunter von
Meyerbeer bei solchen Gelegenheiten geschehen. Der folgende Gesang des Ober-
Braminen: "Wir schwören bei Brahma, bei Wischnu und Schiwa" ist so edel
gehalten, daß wir bedauern müssen, dies schöne Motiv ohne jede Entwickelung
nur so mi Passant, an uns vorüberrauschen zu hören. Dramatisch wirksam,
obgleich in der Führung der Chorstimmen an die verwandte Scene im vierten
Acte des Propheten erinnernd, ist das Ensemble mit Chor, das den innern
Kampf Ncluscos und die Spannung der Menge schildert, der erbezeugen soll,
daß Vasco, wie Selica verkündete, ihr Gatte. Die nach den geheimnißvoll
tönenden Anrufungen der Götter durch die Braminen folgende große Liebes¬
scene endlich zwischen Selica und Vasco gehört entschieden zum Innigsten und
Leidenschaftlichsten, was Meyerbeer im Erotischen geschrieben. Selbst das große


macht ihn erbeben", der ganz unverblümt das Motiv des Se. Bris im vierten
Act der Hugenotten bringt, auf eigenen Füßen steht.

Die Introduction des dritten Actes schildert in sehr reizender Weise den
frühen Morgen auf dem Ocean, durch dessen leise und schmeichelnd spielende
Wellen das Schiff Don Petros ruhig dahinzieht. Ein höchst graziöser Frauen¬
chor in ^s-moll: „Der Morgen kommt herauf", schließt sich unmittelbar an.
Ihm folgt ein Quartett und Chor der Matrosen, der zum Frischesten und Ge¬
sundesten gehört, was je aus Meyerbeers Feder geflossen. Es weht daraus in
Wahrheit die Luft und Freiheit der weiten offenen See. Auch das Gebet
auf dem Schiffe, gemischtes Quartett und Chor, ist wirkungsvoll. Sehr hu¬
moristisch ist das kleine Sätzchen für Piccolo mit piquanter Begleitung, welches
die Schiffspfeife nachahmt, die die Mannschaft zum Frühstück ruft. Ein düster
unheimliches und dabei doch schaurig schönes Stück ist des wilden Nelusco
Ballade: „Hei Adamastor, der König der Wellen", in welchem der Chor der
Matrosen mit einem diabolischen „Ha, ha, ha!" den Refrain bildet. Das Duett
zwischen Pedro und Vasco. besonders von den Worten an: „Junger Thor, der
wohl hat vergessen" ist voll Feuer und dramatisches Leben. Nicht minder daS
große Septett zu der Scene, in welcher Selica der Ines den Dolch auf die
Brust setzt, und das Finale mit dem wild hereinbrechenden Chor der indischen
Krieger, so daß eigentlich der ganze dritte Act in frischem musikalischen Zug
und Zusammenhang bleibt.

Der vierte Act zeigt gleich im Eingang, den ein großer indianischer Marsch
ausfüllt, jene strengere Einheit in Form und Gehalt, die wir, im Gegensatze
zum Propheten und Robert dem Teufel, der Afrikanerin nachrühmten. Die
verschiedenen Motive und der. je nach den im Aufzuge auftretenden Gruppen
der Braminen. Gaukler. Amazonen, Krieger und der Königin mit ihrem ganzen
Hofstaate wechselnde Ausdruck derselben erscheinen hier nicht mosaikartig aneinander¬
gereiht, sondern zu einer höhern Einheit verschmolzen. Auch sind die Themata
meist edel gehalten und nie auf die Spitze getrieben, wie sonst mitunter von
Meyerbeer bei solchen Gelegenheiten geschehen. Der folgende Gesang des Ober-
Braminen: „Wir schwören bei Brahma, bei Wischnu und Schiwa" ist so edel
gehalten, daß wir bedauern müssen, dies schöne Motiv ohne jede Entwickelung
nur so mi Passant, an uns vorüberrauschen zu hören. Dramatisch wirksam,
obgleich in der Führung der Chorstimmen an die verwandte Scene im vierten
Acte des Propheten erinnernd, ist das Ensemble mit Chor, das den innern
Kampf Ncluscos und die Spannung der Menge schildert, der erbezeugen soll,
daß Vasco, wie Selica verkündete, ihr Gatte. Die nach den geheimnißvoll
tönenden Anrufungen der Götter durch die Braminen folgende große Liebes¬
scene endlich zwischen Selica und Vasco gehört entschieden zum Innigsten und
Leidenschaftlichsten, was Meyerbeer im Erotischen geschrieben. Selbst das große


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 24, 1865, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341801_283352/628>, abgerufen am 15.01.2025.