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Die Grenzboten. Jg. 24, 1865, II. Semester. I. Band.

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italienischen Schule liebäugelt', aus welcher sein Crociato und seine Emma ti
Resburga hervorgegangen waren. In den Hugenotten und Struensee dagegen
ward der deutsche Theil seiner Bildung und Anlage in ihm lebendig, mittelst
dessen und einem strengeren Wollen beim Arbeiten es ihm gelang, das, was bei
den Schöpfungen trotz ihrer Überlegenheit in dieser Beziehung über den Pro¬
pheten und Robert noch an formaler Durchbildung gebricht, durch eine ein¬
heitliche Stimmung zu ersetzen, so daß wir hier fast den Eindruck empfangen,
vollendeten, d. h. classischen Kunstwerken gegenüberzustehen. Leider behaup¬
tete sich Meyerbeer in seinem nächsten Werke, dem Propheten, nicht auf
dieser Höhe, noch weniger aber that er einen weiteren Schritt dem Gipfel zu,
der schon nicht mehr fern. Wir begegnen im Phropheten wieder jenem Misch¬
masch von Stilproben, dessen wir schon beim Robert gedachten, nur hier noch
toller und lauter durcheinandergewürfelt, da mitunter auf ein Stückchen Re¬
citativ g, Is, Gluck eine italienische Cantilene g. Is, Bellini oder Donizetti oder
eine halsbrechende Cadenz französischer Manier und auf diese wieder ein rhyth¬
misch bizarr und barock gestaltetes Motiv in Meyerbeer's eigenster Weise folgt.
Eine solche Mosaiktafel hat neben der Zerstörung der einem Kunstwerke un¬
entbehrlichen Einheit der Stimmung auch die Vernichtung aller organischen und
formalen Gliederung der Motive zur Folge, die entweder schon im Keime er¬
stickt werden oder mitten in ihrer Entwickelung verkrüppeln. Dennoch enthält
auch der Prophet noch ganze Scenen, die ein abermaliges glänzendes Zeugniß
für Meyerbeers musikalische Darstellungskraft geschichtlicher oder wenigstens
durch einen bestimmten historischen Hintergrund poetisch gefärbter dramatischer
Situationen ablegen. Wir erinnern in dieser Beziehung nur an die gewaltige
Scene im Dom zu Münster, mit dem Krönungszuge beginnend bis zu deren
Abschlüsse u. s. w. u. s. w.

Wir müßten, um vollständig zu sein, vielleicht hier auch noch der auf an¬
deren Gebieten sich bewegenden Opern Meyerbeers, z. B. des Feldlagers in
Schlesien, des Nordsterns (zum Theil dem vorigen entnommen) und der Wall¬
fahrt nach Ploermel gedenken. Wenn aber auch in den beiden erstgenannten
jener historische Zug Meyerbeers hervortritt, so stehen sie doch in anderer
Beziehung zu weit hinter seinen besprochenen größeren Arbeiten zurück, um
hier als gleichberechtigt angeführt zu werden.

Mehr muß es uns interessiren, zu erfahren, in welchem Verhältniß zu den
Mittelpunkten der schöpferischen Thätigkeit Meyerbeers, zu Robert, den Huge¬
notten und dem Propheten das letzte große Werk verwandter Gattung, seine
Afrikanerin steht. Die Frage, ob diese Oper nach oder vor dem Propheten
entstanden, kann uns dabei nur als eine secundäre berühren, da sie an dem
Werthe oder Unwerthe des Werkes nichts ändern würde.

Nach cer gründlichen Bekanntschaft mit der Partitur der neuen Operin


italienischen Schule liebäugelt', aus welcher sein Crociato und seine Emma ti
Resburga hervorgegangen waren. In den Hugenotten und Struensee dagegen
ward der deutsche Theil seiner Bildung und Anlage in ihm lebendig, mittelst
dessen und einem strengeren Wollen beim Arbeiten es ihm gelang, das, was bei
den Schöpfungen trotz ihrer Überlegenheit in dieser Beziehung über den Pro¬
pheten und Robert noch an formaler Durchbildung gebricht, durch eine ein¬
heitliche Stimmung zu ersetzen, so daß wir hier fast den Eindruck empfangen,
vollendeten, d. h. classischen Kunstwerken gegenüberzustehen. Leider behaup¬
tete sich Meyerbeer in seinem nächsten Werke, dem Propheten, nicht auf
dieser Höhe, noch weniger aber that er einen weiteren Schritt dem Gipfel zu,
der schon nicht mehr fern. Wir begegnen im Phropheten wieder jenem Misch¬
masch von Stilproben, dessen wir schon beim Robert gedachten, nur hier noch
toller und lauter durcheinandergewürfelt, da mitunter auf ein Stückchen Re¬
citativ g, Is, Gluck eine italienische Cantilene g. Is, Bellini oder Donizetti oder
eine halsbrechende Cadenz französischer Manier und auf diese wieder ein rhyth¬
misch bizarr und barock gestaltetes Motiv in Meyerbeer's eigenster Weise folgt.
Eine solche Mosaiktafel hat neben der Zerstörung der einem Kunstwerke un¬
entbehrlichen Einheit der Stimmung auch die Vernichtung aller organischen und
formalen Gliederung der Motive zur Folge, die entweder schon im Keime er¬
stickt werden oder mitten in ihrer Entwickelung verkrüppeln. Dennoch enthält
auch der Prophet noch ganze Scenen, die ein abermaliges glänzendes Zeugniß
für Meyerbeers musikalische Darstellungskraft geschichtlicher oder wenigstens
durch einen bestimmten historischen Hintergrund poetisch gefärbter dramatischer
Situationen ablegen. Wir erinnern in dieser Beziehung nur an die gewaltige
Scene im Dom zu Münster, mit dem Krönungszuge beginnend bis zu deren
Abschlüsse u. s. w. u. s. w.

Wir müßten, um vollständig zu sein, vielleicht hier auch noch der auf an¬
deren Gebieten sich bewegenden Opern Meyerbeers, z. B. des Feldlagers in
Schlesien, des Nordsterns (zum Theil dem vorigen entnommen) und der Wall¬
fahrt nach Ploermel gedenken. Wenn aber auch in den beiden erstgenannten
jener historische Zug Meyerbeers hervortritt, so stehen sie doch in anderer
Beziehung zu weit hinter seinen besprochenen größeren Arbeiten zurück, um
hier als gleichberechtigt angeführt zu werden.

Mehr muß es uns interessiren, zu erfahren, in welchem Verhältniß zu den
Mittelpunkten der schöpferischen Thätigkeit Meyerbeers, zu Robert, den Huge¬
notten und dem Propheten das letzte große Werk verwandter Gattung, seine
Afrikanerin steht. Die Frage, ob diese Oper nach oder vor dem Propheten
entstanden, kann uns dabei nur als eine secundäre berühren, da sie an dem
Werthe oder Unwerthe des Werkes nichts ändern würde.

Nach cer gründlichen Bekanntschaft mit der Partitur der neuen Operin


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[0620] italienischen Schule liebäugelt', aus welcher sein Crociato und seine Emma ti Resburga hervorgegangen waren. In den Hugenotten und Struensee dagegen ward der deutsche Theil seiner Bildung und Anlage in ihm lebendig, mittelst dessen und einem strengeren Wollen beim Arbeiten es ihm gelang, das, was bei den Schöpfungen trotz ihrer Überlegenheit in dieser Beziehung über den Pro¬ pheten und Robert noch an formaler Durchbildung gebricht, durch eine ein¬ heitliche Stimmung zu ersetzen, so daß wir hier fast den Eindruck empfangen, vollendeten, d. h. classischen Kunstwerken gegenüberzustehen. Leider behaup¬ tete sich Meyerbeer in seinem nächsten Werke, dem Propheten, nicht auf dieser Höhe, noch weniger aber that er einen weiteren Schritt dem Gipfel zu, der schon nicht mehr fern. Wir begegnen im Phropheten wieder jenem Misch¬ masch von Stilproben, dessen wir schon beim Robert gedachten, nur hier noch toller und lauter durcheinandergewürfelt, da mitunter auf ein Stückchen Re¬ citativ g, Is, Gluck eine italienische Cantilene g. Is, Bellini oder Donizetti oder eine halsbrechende Cadenz französischer Manier und auf diese wieder ein rhyth¬ misch bizarr und barock gestaltetes Motiv in Meyerbeer's eigenster Weise folgt. Eine solche Mosaiktafel hat neben der Zerstörung der einem Kunstwerke un¬ entbehrlichen Einheit der Stimmung auch die Vernichtung aller organischen und formalen Gliederung der Motive zur Folge, die entweder schon im Keime er¬ stickt werden oder mitten in ihrer Entwickelung verkrüppeln. Dennoch enthält auch der Prophet noch ganze Scenen, die ein abermaliges glänzendes Zeugniß für Meyerbeers musikalische Darstellungskraft geschichtlicher oder wenigstens durch einen bestimmten historischen Hintergrund poetisch gefärbter dramatischer Situationen ablegen. Wir erinnern in dieser Beziehung nur an die gewaltige Scene im Dom zu Münster, mit dem Krönungszuge beginnend bis zu deren Abschlüsse u. s. w. u. s. w. Wir müßten, um vollständig zu sein, vielleicht hier auch noch der auf an¬ deren Gebieten sich bewegenden Opern Meyerbeers, z. B. des Feldlagers in Schlesien, des Nordsterns (zum Theil dem vorigen entnommen) und der Wall¬ fahrt nach Ploermel gedenken. Wenn aber auch in den beiden erstgenannten jener historische Zug Meyerbeers hervortritt, so stehen sie doch in anderer Beziehung zu weit hinter seinen besprochenen größeren Arbeiten zurück, um hier als gleichberechtigt angeführt zu werden. Mehr muß es uns interessiren, zu erfahren, in welchem Verhältniß zu den Mittelpunkten der schöpferischen Thätigkeit Meyerbeers, zu Robert, den Huge¬ notten und dem Propheten das letzte große Werk verwandter Gattung, seine Afrikanerin steht. Die Frage, ob diese Oper nach oder vor dem Propheten entstanden, kann uns dabei nur als eine secundäre berühren, da sie an dem Werthe oder Unwerthe des Werkes nichts ändern würde. Nach cer gründlichen Bekanntschaft mit der Partitur der neuen Operin

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 24, 1865, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341801_283352/620>, abgerufen am 15.01.2025.