Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 24, 1865, II. Semester. I. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

Solche Gedanken vermehrten die Hitze des Wundfiebers, und meine Mit¬
gefangenen bestanden bei den Wächtern darauf, daß der Gesängnißarzt Dr. Tarde
noch einmal zu mir geholt werde. Zum Glück erschien dieser in Begleitung
des Präsidenten und fand sich nun gemüßigt, mich genauer zu untersuchen.
Es zeigten sich vier schwerere Kopfwunden, die stark eiterten. Die Haare
wurden mir kurz geschoren, und aus einer Wunde ein zolllanger dicker Holz¬
splitter herausgezogen; ein anderer lag hart an der Einbiegung der Schläfe
und hätte daher leicht tödtlich werden können. Nachdem ich gründlich bepflastert
war, versprach mir der Präsident wiederum baldige Untersuchung, resp. Frei¬
lassung, sowie auch die Gewährung meiner Bitte, an mein Haus Nachricht
gelangen zu lassen, wo ich sei. Beides geschah leider nicht.

Wenn ich jetzt bedenke, wie ich die damaligen Leiden überstanden habe,
muß ich mich über die Zähigkeit meiner Lebenskraft selbst wundern und dem
Bauern Recht geben, der mein Leben mit dem einer Katze Verglich. Und nun
bedenke man den Zustand der östreichischen Gefängnisse, wenigstens wie jenes
damals war, und die abscheuliche Manier der Beaufsichtigung. Der eiserne
Ofen verbreitete schnell Dunst und Hitze und war ebenso schnell wieder kalt.
Ein Nachtstuhl in der Zelle selbst strömte fürchterliche Gerüche aus, und dabei
durften wir das vergitterte Fenster nicht öffnen. Die Strohmatratzen und
"Aerarialdecken" aus grauweißem Drillich wimmelten von Ungeziefer, so.daß
wir uns durchaus nicht zu schützen vermochten. Gras und Koch, Actuar und
Kaufmann, Pole und Deutscher thaten sich daher nothgedrungen den Liebesdienst,
einander zu lausen. Die Wäsche, die ich mir in den ersten Tagen der Ge¬
fangenschaft bestellt hatte, erhielt ich nach drei Wochen! Während der ganzen
Zeit mußte ich mich mit meinem blutigen Hemde bedecken. Das Essen war
schlecht und vor allem unsauber. Natürlich wurde der Wächter bestochen, so
daß er uns allerhand verbotene Kleinigkeiten zukommen ließ. Um Schwefel-
Hölzer, die absolut verpönt waren, zu erhalten, boten wir ihm einmal Schnaps
an; er trank ihn. da er aus Furcht vor Ueberraschung nicht aufzumachen wagte,
durch das Gukloch der Thür vermittelst eines Strohhalmes.

In der Nacht hatten wir niemals Ruhe. Alle Augenblicke ertönte auf den
Gängen rücksichtslos das brüllende "Halt! wer da?" "Patrouille vorbei!"
der Runde; zweimal die Nacht rasselte man die Thüren aus, "um zu revi-
diren". Nur ein langwieriges Gefängnißleben kann an solche Störungen ge¬
wöhnen.

Endlich am 20. März wurde ich zum Verhör abgeholt! Schon vorher war
ich zwar hin und wieder im Gefängniß befragt worden; nun wurde noch einmal
ein Generalprotokoll über meine Schandthaten ausgenommen, ich aä sönerali"
und aä sxecialia über Herkunft, Geschäft, Religion, Revolution, Insurgenten
und Verschwörungen vernommen und ausgepreßt wie eine Citrone. Es wollte


Solche Gedanken vermehrten die Hitze des Wundfiebers, und meine Mit¬
gefangenen bestanden bei den Wächtern darauf, daß der Gesängnißarzt Dr. Tarde
noch einmal zu mir geholt werde. Zum Glück erschien dieser in Begleitung
des Präsidenten und fand sich nun gemüßigt, mich genauer zu untersuchen.
Es zeigten sich vier schwerere Kopfwunden, die stark eiterten. Die Haare
wurden mir kurz geschoren, und aus einer Wunde ein zolllanger dicker Holz¬
splitter herausgezogen; ein anderer lag hart an der Einbiegung der Schläfe
und hätte daher leicht tödtlich werden können. Nachdem ich gründlich bepflastert
war, versprach mir der Präsident wiederum baldige Untersuchung, resp. Frei¬
lassung, sowie auch die Gewährung meiner Bitte, an mein Haus Nachricht
gelangen zu lassen, wo ich sei. Beides geschah leider nicht.

Wenn ich jetzt bedenke, wie ich die damaligen Leiden überstanden habe,
muß ich mich über die Zähigkeit meiner Lebenskraft selbst wundern und dem
Bauern Recht geben, der mein Leben mit dem einer Katze Verglich. Und nun
bedenke man den Zustand der östreichischen Gefängnisse, wenigstens wie jenes
damals war, und die abscheuliche Manier der Beaufsichtigung. Der eiserne
Ofen verbreitete schnell Dunst und Hitze und war ebenso schnell wieder kalt.
Ein Nachtstuhl in der Zelle selbst strömte fürchterliche Gerüche aus, und dabei
durften wir das vergitterte Fenster nicht öffnen. Die Strohmatratzen und
„Aerarialdecken" aus grauweißem Drillich wimmelten von Ungeziefer, so.daß
wir uns durchaus nicht zu schützen vermochten. Gras und Koch, Actuar und
Kaufmann, Pole und Deutscher thaten sich daher nothgedrungen den Liebesdienst,
einander zu lausen. Die Wäsche, die ich mir in den ersten Tagen der Ge¬
fangenschaft bestellt hatte, erhielt ich nach drei Wochen! Während der ganzen
Zeit mußte ich mich mit meinem blutigen Hemde bedecken. Das Essen war
schlecht und vor allem unsauber. Natürlich wurde der Wächter bestochen, so
daß er uns allerhand verbotene Kleinigkeiten zukommen ließ. Um Schwefel-
Hölzer, die absolut verpönt waren, zu erhalten, boten wir ihm einmal Schnaps
an; er trank ihn. da er aus Furcht vor Ueberraschung nicht aufzumachen wagte,
durch das Gukloch der Thür vermittelst eines Strohhalmes.

In der Nacht hatten wir niemals Ruhe. Alle Augenblicke ertönte auf den
Gängen rücksichtslos das brüllende „Halt! wer da?" „Patrouille vorbei!"
der Runde; zweimal die Nacht rasselte man die Thüren aus, „um zu revi-
diren". Nur ein langwieriges Gefängnißleben kann an solche Störungen ge¬
wöhnen.

Endlich am 20. März wurde ich zum Verhör abgeholt! Schon vorher war
ich zwar hin und wieder im Gefängniß befragt worden; nun wurde noch einmal
ein Generalprotokoll über meine Schandthaten ausgenommen, ich aä sönerali»
und aä sxecialia über Herkunft, Geschäft, Religion, Revolution, Insurgenten
und Verschwörungen vernommen und ausgepreßt wie eine Citrone. Es wollte


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0062" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/283415"/>
          <p xml:id="ID_155"> Solche Gedanken vermehrten die Hitze des Wundfiebers, und meine Mit¬<lb/>
gefangenen bestanden bei den Wächtern darauf, daß der Gesängnißarzt Dr. Tarde<lb/>
noch einmal zu mir geholt werde. Zum Glück erschien dieser in Begleitung<lb/>
des Präsidenten und fand sich nun gemüßigt, mich genauer zu untersuchen.<lb/>
Es zeigten sich vier schwerere Kopfwunden, die stark eiterten. Die Haare<lb/>
wurden mir kurz geschoren, und aus einer Wunde ein zolllanger dicker Holz¬<lb/>
splitter herausgezogen; ein anderer lag hart an der Einbiegung der Schläfe<lb/>
und hätte daher leicht tödtlich werden können. Nachdem ich gründlich bepflastert<lb/>
war, versprach mir der Präsident wiederum baldige Untersuchung, resp. Frei¬<lb/>
lassung, sowie auch die Gewährung meiner Bitte, an mein Haus Nachricht<lb/>
gelangen zu lassen, wo ich sei. Beides geschah leider nicht.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_156"> Wenn ich jetzt bedenke, wie ich die damaligen Leiden überstanden habe,<lb/>
muß ich mich über die Zähigkeit meiner Lebenskraft selbst wundern und dem<lb/>
Bauern Recht geben, der mein Leben mit dem einer Katze Verglich. Und nun<lb/>
bedenke man den Zustand der östreichischen Gefängnisse, wenigstens wie jenes<lb/>
damals war, und die abscheuliche Manier der Beaufsichtigung. Der eiserne<lb/>
Ofen verbreitete schnell Dunst und Hitze und war ebenso schnell wieder kalt.<lb/>
Ein Nachtstuhl in der Zelle selbst strömte fürchterliche Gerüche aus, und dabei<lb/>
durften wir das vergitterte Fenster nicht öffnen. Die Strohmatratzen und<lb/>
&#x201E;Aerarialdecken" aus grauweißem Drillich wimmelten von Ungeziefer, so.daß<lb/>
wir uns durchaus nicht zu schützen vermochten. Gras und Koch, Actuar und<lb/>
Kaufmann, Pole und Deutscher thaten sich daher nothgedrungen den Liebesdienst,<lb/>
einander zu lausen. Die Wäsche, die ich mir in den ersten Tagen der Ge¬<lb/>
fangenschaft bestellt hatte, erhielt ich nach drei Wochen! Während der ganzen<lb/>
Zeit mußte ich mich mit meinem blutigen Hemde bedecken. Das Essen war<lb/>
schlecht und vor allem unsauber. Natürlich wurde der Wächter bestochen, so<lb/>
daß er uns allerhand verbotene Kleinigkeiten zukommen ließ. Um Schwefel-<lb/>
Hölzer, die absolut verpönt waren, zu erhalten, boten wir ihm einmal Schnaps<lb/>
an; er trank ihn. da er aus Furcht vor Ueberraschung nicht aufzumachen wagte,<lb/>
durch das Gukloch der Thür vermittelst eines Strohhalmes.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_157"> In der Nacht hatten wir niemals Ruhe. Alle Augenblicke ertönte auf den<lb/>
Gängen rücksichtslos das brüllende &#x201E;Halt! wer da?" &#x201E;Patrouille vorbei!"<lb/>
der Runde; zweimal die Nacht rasselte man die Thüren aus, &#x201E;um zu revi-<lb/>
diren". Nur ein langwieriges Gefängnißleben kann an solche Störungen ge¬<lb/>
wöhnen.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_158" next="#ID_159"> Endlich am 20. März wurde ich zum Verhör abgeholt! Schon vorher war<lb/>
ich zwar hin und wieder im Gefängniß befragt worden; nun wurde noch einmal<lb/>
ein Generalprotokoll über meine Schandthaten ausgenommen, ich aä sönerali»<lb/>
und aä sxecialia über Herkunft, Geschäft, Religion, Revolution, Insurgenten<lb/>
und Verschwörungen vernommen und ausgepreßt wie eine Citrone. Es wollte</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0062] Solche Gedanken vermehrten die Hitze des Wundfiebers, und meine Mit¬ gefangenen bestanden bei den Wächtern darauf, daß der Gesängnißarzt Dr. Tarde noch einmal zu mir geholt werde. Zum Glück erschien dieser in Begleitung des Präsidenten und fand sich nun gemüßigt, mich genauer zu untersuchen. Es zeigten sich vier schwerere Kopfwunden, die stark eiterten. Die Haare wurden mir kurz geschoren, und aus einer Wunde ein zolllanger dicker Holz¬ splitter herausgezogen; ein anderer lag hart an der Einbiegung der Schläfe und hätte daher leicht tödtlich werden können. Nachdem ich gründlich bepflastert war, versprach mir der Präsident wiederum baldige Untersuchung, resp. Frei¬ lassung, sowie auch die Gewährung meiner Bitte, an mein Haus Nachricht gelangen zu lassen, wo ich sei. Beides geschah leider nicht. Wenn ich jetzt bedenke, wie ich die damaligen Leiden überstanden habe, muß ich mich über die Zähigkeit meiner Lebenskraft selbst wundern und dem Bauern Recht geben, der mein Leben mit dem einer Katze Verglich. Und nun bedenke man den Zustand der östreichischen Gefängnisse, wenigstens wie jenes damals war, und die abscheuliche Manier der Beaufsichtigung. Der eiserne Ofen verbreitete schnell Dunst und Hitze und war ebenso schnell wieder kalt. Ein Nachtstuhl in der Zelle selbst strömte fürchterliche Gerüche aus, und dabei durften wir das vergitterte Fenster nicht öffnen. Die Strohmatratzen und „Aerarialdecken" aus grauweißem Drillich wimmelten von Ungeziefer, so.daß wir uns durchaus nicht zu schützen vermochten. Gras und Koch, Actuar und Kaufmann, Pole und Deutscher thaten sich daher nothgedrungen den Liebesdienst, einander zu lausen. Die Wäsche, die ich mir in den ersten Tagen der Ge¬ fangenschaft bestellt hatte, erhielt ich nach drei Wochen! Während der ganzen Zeit mußte ich mich mit meinem blutigen Hemde bedecken. Das Essen war schlecht und vor allem unsauber. Natürlich wurde der Wächter bestochen, so daß er uns allerhand verbotene Kleinigkeiten zukommen ließ. Um Schwefel- Hölzer, die absolut verpönt waren, zu erhalten, boten wir ihm einmal Schnaps an; er trank ihn. da er aus Furcht vor Ueberraschung nicht aufzumachen wagte, durch das Gukloch der Thür vermittelst eines Strohhalmes. In der Nacht hatten wir niemals Ruhe. Alle Augenblicke ertönte auf den Gängen rücksichtslos das brüllende „Halt! wer da?" „Patrouille vorbei!" der Runde; zweimal die Nacht rasselte man die Thüren aus, „um zu revi- diren". Nur ein langwieriges Gefängnißleben kann an solche Störungen ge¬ wöhnen. Endlich am 20. März wurde ich zum Verhör abgeholt! Schon vorher war ich zwar hin und wieder im Gefängniß befragt worden; nun wurde noch einmal ein Generalprotokoll über meine Schandthaten ausgenommen, ich aä sönerali» und aä sxecialia über Herkunft, Geschäft, Religion, Revolution, Insurgenten und Verschwörungen vernommen und ausgepreßt wie eine Citrone. Es wollte

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341801_283352
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341801_283352/62
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 24, 1865, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341801_283352/62>, abgerufen am 15.01.2025.