Die Grenzboten. Jg. 24, 1865, II. Semester. I. Band.Mittel des Maschinisten, wie durch die mit Raffinement ausgesuchten und dra¬ Demungeachtet war der Respect vor dem Großen und Bedeutenden in der Mittel des Maschinisten, wie durch die mit Raffinement ausgesuchten und dra¬ Demungeachtet war der Respect vor dem Großen und Bedeutenden in der <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0618" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/284445"/> <p xml:id="ID_1796" prev="#ID_1795"> Mittel des Maschinisten, wie durch die mit Raffinement ausgesuchten und dra¬<lb/> matisch zugespitzten Stoffe und Texte wirkt, unmöglich zu den classischen Meistern<lb/> zählen, deren keuscher Genius sich von solchen künstlerischen Vorwürfen mit<lb/> Antipathie abgewandt haben, oder wenigstens an ihnen nicht zur Entwickelung<lb/> kommen würde. Seien wir also nach beiden Seiten hin gerecht. Wir werden<lb/> dann nicht läugnen können, daß Meyerbeer, ein Tondichter von eminenter na¬<lb/> türlicher Begabung und von nach vielen Seiten hin gründlichem musikalischen<lb/> Wissen, zugleich aber auch ein Mann von feiner und seltener allgemeiner Bil¬<lb/> dung war, der jedoch dabei nicht jene Strenge gegen sich selber und seine Ar¬<lb/> beiten zu entwickeln stark genug war. aus der allein erst der ganze vollendete Künst¬<lb/> ler und das classische Kunstwerk hervorzugehen vermögen. So ist es denn ge¬<lb/> kommen, daß wir uns einerseits von dem unwidersprechlichen Ausdruck seines<lb/> großen, gewaltigen Talentes fortgerissen, dann aber wieder von dessen Ermat¬<lb/> tung auf halbem Wege und Versuchen auf eine weniger mühevolle Weise wie<lb/> seine classischen Vorgänger, die Krone der Unsterblichkeit zu erringen, abgestoßen,<lb/> ja verletzt fühlen. Hätte Meyerbeer die Theorie seiner Kunst nach allen Seiten<lb/> hin mit der Gründlichkeit studirt und mit der Genialität aufgefaßt, wie er dies<lb/> z. B. mit der Instrumentirung gethan, obgleich er auch hier dem Effect zu<lb/> Liebe noch übertreibt, so würden wir ihn wahrscheinlich zu unseren Classikern im<lb/> höchsten Sinne des Wortes zählen dürfen. So aber waltete in ihm ein Geist,<lb/> der ihm den Wunsch unwiderstehlich werden ließ, seinen Ruhm mit Ueber-<lb/> springung weit aussehender mühsamer Studien, die besonders im Punkte der<lb/> musikalischen Formenlehre und einheitlichen Stils noch zu absolviren waren,<lb/> bei Lebzeiten schon zu pflücken, und so verfiel er endlich auf jenes von Goethe<lb/> Gesagte:</p><lb/> <lg xml:id="POEMID_4" type="poem"> <l/> </lg><lb/> <p xml:id="ID_1797" next="#ID_1798"> Demungeachtet war der Respect vor dem Großen und Bedeutenden in der<lb/> Kunst und wohl auch vor der Verantwortung, die ihm das eigene bedeutende<lb/> Talent auferlegte, immer noch groß genug, um ihn nicht völlig zum Diener<lb/> der Menge oder eines Zeitgeschmackes werden zu lassen, ja ihn sogar in dem<lb/> bedeutendsten seiner Werke, den Hugenotten, wo er mehr wie irgendwo sonst<lb/> seine Kraft in ernstem Sinne concentrirt. sich fast zu jener kühnen Höhe erhe¬<lb/> ben zu lassen, auf welcher der wahre Genius zu verweilen Pflegt. Auch dazu<lb/> blieb er noch stark genug, aus sich selber, trotz aller Anleihen bei den verschie¬<lb/> denen Stilen und Meistern verschiedener Nationen, eine musikalische Individua¬<lb/> lität zu entwickeln, die eben Meyerbeer heißt und weder vor ihm dagewesen<lb/> ist, noch nach ihm anders als höchstens in der Form blos sklavischer Ausbeu¬<lb/> tung seiner Manier wieder erstehen wird. Aus allem geht hervor, daß der<lb/> Zwiespalt, der sich im Publikum seinethalb aufthat, auch in ihm selbst vorhanden</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0618]
Mittel des Maschinisten, wie durch die mit Raffinement ausgesuchten und dra¬
matisch zugespitzten Stoffe und Texte wirkt, unmöglich zu den classischen Meistern
zählen, deren keuscher Genius sich von solchen künstlerischen Vorwürfen mit
Antipathie abgewandt haben, oder wenigstens an ihnen nicht zur Entwickelung
kommen würde. Seien wir also nach beiden Seiten hin gerecht. Wir werden
dann nicht läugnen können, daß Meyerbeer, ein Tondichter von eminenter na¬
türlicher Begabung und von nach vielen Seiten hin gründlichem musikalischen
Wissen, zugleich aber auch ein Mann von feiner und seltener allgemeiner Bil¬
dung war, der jedoch dabei nicht jene Strenge gegen sich selber und seine Ar¬
beiten zu entwickeln stark genug war. aus der allein erst der ganze vollendete Künst¬
ler und das classische Kunstwerk hervorzugehen vermögen. So ist es denn ge¬
kommen, daß wir uns einerseits von dem unwidersprechlichen Ausdruck seines
großen, gewaltigen Talentes fortgerissen, dann aber wieder von dessen Ermat¬
tung auf halbem Wege und Versuchen auf eine weniger mühevolle Weise wie
seine classischen Vorgänger, die Krone der Unsterblichkeit zu erringen, abgestoßen,
ja verletzt fühlen. Hätte Meyerbeer die Theorie seiner Kunst nach allen Seiten
hin mit der Gründlichkeit studirt und mit der Genialität aufgefaßt, wie er dies
z. B. mit der Instrumentirung gethan, obgleich er auch hier dem Effect zu
Liebe noch übertreibt, so würden wir ihn wahrscheinlich zu unseren Classikern im
höchsten Sinne des Wortes zählen dürfen. So aber waltete in ihm ein Geist,
der ihm den Wunsch unwiderstehlich werden ließ, seinen Ruhm mit Ueber-
springung weit aussehender mühsamer Studien, die besonders im Punkte der
musikalischen Formenlehre und einheitlichen Stils noch zu absolviren waren,
bei Lebzeiten schon zu pflücken, und so verfiel er endlich auf jenes von Goethe
Gesagte:
Demungeachtet war der Respect vor dem Großen und Bedeutenden in der
Kunst und wohl auch vor der Verantwortung, die ihm das eigene bedeutende
Talent auferlegte, immer noch groß genug, um ihn nicht völlig zum Diener
der Menge oder eines Zeitgeschmackes werden zu lassen, ja ihn sogar in dem
bedeutendsten seiner Werke, den Hugenotten, wo er mehr wie irgendwo sonst
seine Kraft in ernstem Sinne concentrirt. sich fast zu jener kühnen Höhe erhe¬
ben zu lassen, auf welcher der wahre Genius zu verweilen Pflegt. Auch dazu
blieb er noch stark genug, aus sich selber, trotz aller Anleihen bei den verschie¬
denen Stilen und Meistern verschiedener Nationen, eine musikalische Individua¬
lität zu entwickeln, die eben Meyerbeer heißt und weder vor ihm dagewesen
ist, noch nach ihm anders als höchstens in der Form blos sklavischer Ausbeu¬
tung seiner Manier wieder erstehen wird. Aus allem geht hervor, daß der
Zwiespalt, der sich im Publikum seinethalb aufthat, auch in ihm selbst vorhanden
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