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Die Grenzboten. Jg. 24, 1865, II. Semester. I. Band.

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stehende Bestimmung keine Anwendung". Und der König von Sachsen trug
darauf an, daß hinzugesetzt werde: "Gegenwärtig in anerkannter Wirksamkeit
stehende Verfassungen können durch Klagführung bei dem Bundesgericht nicht
angefochten werden". Die Absicht dieser Anträge lag ans der Hand. Es
galt das Capital zu sichern, welches die Staatsstreiche der Reaction nach 1849
eingebracht hatten.

Genug und zum Schluß. Was unsere Mittheilungen über die ersten drei
Sitzungen, vorzüglich die über die dritte, deutlich gezeigt, trat auch in den
folgenden bei jeder Gelegenheit hervor. Nur wenige von den versammelten
hohen Herren hatten eine klare Vorstellung von der Nothwendigkeit geschäft¬
licher Formen, kaum zwei oder drei von ihnen ein deutliches Bewußt¬
sein von dem, was die Mehrheit des politisch strebenden Theils der Nation
bedarf und wünscht, die meisten waren zwar bereit, mit Oestreich eine gute
Strecke zu gehen, aber nicht über die Grenze hinaus, die ihr Selbstgefühl ihnen
zog, Nebensachen endlich interessirten mehr als Hauptfragen. Man mußte in
der dritten Sitzung sich schon klar darüber sein, daß man mit einer wörtlichen
Feststellung der Reformacte vergebens Schweiß vergießen werde, man mußte
sich das mit jedem neuauftauchenden Vorbehalt in stärkerem Grade sagen, und
und wenn man trotzdem weiter arbeitete, so war das bei den meisten der hohen
Herren, oder, da die Minister zur Aufklärung bei der Hand waren, bei allen
wohl nur artige Rücksichtnahme auf den erhabenen Convocanten und Präsidenten
des Fürstentags.

Endlich aber mußte das doch einmal aufhören. Die Schlußabstimmung
nahte heran. Am 28. August, dem Tage vor der neunten Sitzung, ließ der
Kaiser ein zweites Promemoria vertheilen, in welchem der Wunsch ausgesprochen
wurde, "daß die nunmehr bevorstehende Gesammtabstimmung von der Stärke
und Macht edler Einmüthigkeit ein entscheidendes Zeugniß ablegen werde", in
welchem der Kaiser ferner erwähnte, daß nach seiner Auffassung "die Schlu߬
abstimmung eine Entschließung der einzelnen Betheiligten darüber, ob sie
angesichts des Gesammtresultats die zu den Specialpunkten gemachten Vorbe¬
halte fallen lassen wollen oder nicht, voraussetze, somit nur in einer einfachen
Erklärung über Annahme oder Ablehnung des Gesammtresultats werde bestehen
können", und in welchem der Kaiser "ein allseitiges EinVerständniß darüber
voraussetzen zu können hoffte, daß der Gesammtbeschluß der Souveräne für
deren Bevollmächtigte unbedingt bindend und den Ministern in keinem Fall das
Recht eingeräumt sein werde, gelegentlich der Berathung der mit Vorbehalt der
Ratifikation durch sie festzustellenden Artikel die bereits von der Fürstenconferenz
erledigten Punkte von Neuem zu discutiren."

In der neunten Sitzung selbst trat der Kaiser mündlich für seinen
Wunsch auf. Der Großherzog von Mecklenburg-Schwerin hatte unumwunden


Grenzboten III. 186S. 33

stehende Bestimmung keine Anwendung". Und der König von Sachsen trug
darauf an, daß hinzugesetzt werde: „Gegenwärtig in anerkannter Wirksamkeit
stehende Verfassungen können durch Klagführung bei dem Bundesgericht nicht
angefochten werden". Die Absicht dieser Anträge lag ans der Hand. Es
galt das Capital zu sichern, welches die Staatsstreiche der Reaction nach 1849
eingebracht hatten.

Genug und zum Schluß. Was unsere Mittheilungen über die ersten drei
Sitzungen, vorzüglich die über die dritte, deutlich gezeigt, trat auch in den
folgenden bei jeder Gelegenheit hervor. Nur wenige von den versammelten
hohen Herren hatten eine klare Vorstellung von der Nothwendigkeit geschäft¬
licher Formen, kaum zwei oder drei von ihnen ein deutliches Bewußt¬
sein von dem, was die Mehrheit des politisch strebenden Theils der Nation
bedarf und wünscht, die meisten waren zwar bereit, mit Oestreich eine gute
Strecke zu gehen, aber nicht über die Grenze hinaus, die ihr Selbstgefühl ihnen
zog, Nebensachen endlich interessirten mehr als Hauptfragen. Man mußte in
der dritten Sitzung sich schon klar darüber sein, daß man mit einer wörtlichen
Feststellung der Reformacte vergebens Schweiß vergießen werde, man mußte
sich das mit jedem neuauftauchenden Vorbehalt in stärkerem Grade sagen, und
und wenn man trotzdem weiter arbeitete, so war das bei den meisten der hohen
Herren, oder, da die Minister zur Aufklärung bei der Hand waren, bei allen
wohl nur artige Rücksichtnahme auf den erhabenen Convocanten und Präsidenten
des Fürstentags.

Endlich aber mußte das doch einmal aufhören. Die Schlußabstimmung
nahte heran. Am 28. August, dem Tage vor der neunten Sitzung, ließ der
Kaiser ein zweites Promemoria vertheilen, in welchem der Wunsch ausgesprochen
wurde, „daß die nunmehr bevorstehende Gesammtabstimmung von der Stärke
und Macht edler Einmüthigkeit ein entscheidendes Zeugniß ablegen werde", in
welchem der Kaiser ferner erwähnte, daß nach seiner Auffassung „die Schlu߬
abstimmung eine Entschließung der einzelnen Betheiligten darüber, ob sie
angesichts des Gesammtresultats die zu den Specialpunkten gemachten Vorbe¬
halte fallen lassen wollen oder nicht, voraussetze, somit nur in einer einfachen
Erklärung über Annahme oder Ablehnung des Gesammtresultats werde bestehen
können", und in welchem der Kaiser „ein allseitiges EinVerständniß darüber
voraussetzen zu können hoffte, daß der Gesammtbeschluß der Souveräne für
deren Bevollmächtigte unbedingt bindend und den Ministern in keinem Fall das
Recht eingeräumt sein werde, gelegentlich der Berathung der mit Vorbehalt der
Ratifikation durch sie festzustellenden Artikel die bereits von der Fürstenconferenz
erledigten Punkte von Neuem zu discutiren."

In der neunten Sitzung selbst trat der Kaiser mündlich für seinen
Wunsch auf. Der Großherzog von Mecklenburg-Schwerin hatte unumwunden


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 24, 1865, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341801_283352/613>, abgerufen am 15.01.2025.