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Die Grenzboten. Jg. 24, 1865, II. Semester. I. Band.

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ich, von dem Grundsatz ausgehend, sich in fremden Ländern nicht um fremde
Angelegenheiten zu kümmern, ihre Aeußerungen ein für alle Mal übergehe und
mich nur auf unsre gemeinsamen Erlebnisse beschränke.

Inzwischen hatte sich der Zustand mehrer meiner Wunden, namentlich derer
am Kopfe, dergestalt verschlimmert, daß ich von einem starken Wundfieber be¬
fallen wurde. Bald war mir glühend heiß, bald so eiskalt, daß ich mich trotz
der zeitweisen Hitze, die ein eiserner Ofen in unserm Kerker hervorbrachte, in
meinen Pelz wickeln mußte. Dazu kam das Nachdenken über mein trauriges
Loos, das mich sehr entmuthigte. Wer ein rechter Kaufmann ist, sinnt Tag
und Nacht, selbst mitten in Zerstreuungen, über sein Geschäft nach. Nun hatte
ich Muße, den sehr bedeutenden Schaden, den ich und durch mich das war¬
schauer Haus, dessen Bevollmächtigter ich war, erlitt, mir vorzurechnen. Ganz
abgesehen von dem allgemeinen Druck, den die schlechte Zeit auf alle Handels¬
unternehmungen in Galizien üben mußte, standen mir alle die Leute vor Augen,
Holzfäller, Flößer, Juden und Grundbesitzer, die alle auf mich warteten, um
besprochene Contracte abzuschließen, Lohn zu erhalten, Holz zu überweisen u. s. w.
ins Unendliche.

Ich muß hier einschicken, daß mein Geschäft ein außerordentlich aus¬
gedehntes war, sodaß ich nicht zu viel behaupte, wenn ich sage, daß mehr wie
tausend Menschen, namentlich Holzarbeiter, Fuhrleute und sogenannte Dschimken
lwas die Flößer übrigens für ein Schimpfwort ansehn) bei mir direct oder
durch Vermittler in Lohn standen. Mein warschauer Haus hatte mit großem
Kostenaufwand" und Risico damals zuerst den Versuch gemacht, ohne sich, so-
weit es ging, der Zwischenkunft der galizischen Juden, die Verkäufer und Käu¬
fer prellten, zu bedienen, direct durch seine Agenten in Galizien Holz zu kau¬
fen, Bearbeitung und Verstoßung selbst zu besorgen. .Diese Operationen
mußten aber mit dem Aufgehen der Flüsse im Frühjahr soweit beendet sein,
daß sofort mit dem Frühlingshochwasser das Holz den San und andere Neben¬
flüsse hinunterschwimmen konnte, um bei Zeiten in demselben Sommer Danzig
zu erreichen. Jeder Augenblick war somit kostbar, um wo möglich auf Schlit-
tenwegen das gefällte Holz an die Flüsse zu schleppen, es am Ufer großen-
theils zu Balken, Latten, Sleepern u. f. w. verarbeiten zu lassen und daraus
die Flöße zusammenzusetzen. Versäumt man den Augenblick des Hochwassers,
so wird der San oft so flach, daß die Flöße Schwierigkeiten finden, weiter¬
zukommen, was in dem zum Unglück trocknen Sommer 1846 später in der
That die ganze Flößerei hinderte.

Was sollte nun werden? Jeder Tag, den ich unthätig im Kerker lag,
konnte mir und meinem Hause unwiederbringlichen Schaden verursachen, um
so mehr, da auf den winterlichen Wegen so schnell keine Nachricht nach War¬
schau gebracht werden konnte.


ich, von dem Grundsatz ausgehend, sich in fremden Ländern nicht um fremde
Angelegenheiten zu kümmern, ihre Aeußerungen ein für alle Mal übergehe und
mich nur auf unsre gemeinsamen Erlebnisse beschränke.

Inzwischen hatte sich der Zustand mehrer meiner Wunden, namentlich derer
am Kopfe, dergestalt verschlimmert, daß ich von einem starken Wundfieber be¬
fallen wurde. Bald war mir glühend heiß, bald so eiskalt, daß ich mich trotz
der zeitweisen Hitze, die ein eiserner Ofen in unserm Kerker hervorbrachte, in
meinen Pelz wickeln mußte. Dazu kam das Nachdenken über mein trauriges
Loos, das mich sehr entmuthigte. Wer ein rechter Kaufmann ist, sinnt Tag
und Nacht, selbst mitten in Zerstreuungen, über sein Geschäft nach. Nun hatte
ich Muße, den sehr bedeutenden Schaden, den ich und durch mich das war¬
schauer Haus, dessen Bevollmächtigter ich war, erlitt, mir vorzurechnen. Ganz
abgesehen von dem allgemeinen Druck, den die schlechte Zeit auf alle Handels¬
unternehmungen in Galizien üben mußte, standen mir alle die Leute vor Augen,
Holzfäller, Flößer, Juden und Grundbesitzer, die alle auf mich warteten, um
besprochene Contracte abzuschließen, Lohn zu erhalten, Holz zu überweisen u. s. w.
ins Unendliche.

Ich muß hier einschicken, daß mein Geschäft ein außerordentlich aus¬
gedehntes war, sodaß ich nicht zu viel behaupte, wenn ich sage, daß mehr wie
tausend Menschen, namentlich Holzarbeiter, Fuhrleute und sogenannte Dschimken
lwas die Flößer übrigens für ein Schimpfwort ansehn) bei mir direct oder
durch Vermittler in Lohn standen. Mein warschauer Haus hatte mit großem
Kostenaufwand« und Risico damals zuerst den Versuch gemacht, ohne sich, so-
weit es ging, der Zwischenkunft der galizischen Juden, die Verkäufer und Käu¬
fer prellten, zu bedienen, direct durch seine Agenten in Galizien Holz zu kau¬
fen, Bearbeitung und Verstoßung selbst zu besorgen. .Diese Operationen
mußten aber mit dem Aufgehen der Flüsse im Frühjahr soweit beendet sein,
daß sofort mit dem Frühlingshochwasser das Holz den San und andere Neben¬
flüsse hinunterschwimmen konnte, um bei Zeiten in demselben Sommer Danzig
zu erreichen. Jeder Augenblick war somit kostbar, um wo möglich auf Schlit-
tenwegen das gefällte Holz an die Flüsse zu schleppen, es am Ufer großen-
theils zu Balken, Latten, Sleepern u. f. w. verarbeiten zu lassen und daraus
die Flöße zusammenzusetzen. Versäumt man den Augenblick des Hochwassers,
so wird der San oft so flach, daß die Flöße Schwierigkeiten finden, weiter¬
zukommen, was in dem zum Unglück trocknen Sommer 1846 später in der
That die ganze Flößerei hinderte.

Was sollte nun werden? Jeder Tag, den ich unthätig im Kerker lag,
konnte mir und meinem Hause unwiederbringlichen Schaden verursachen, um
so mehr, da auf den winterlichen Wegen so schnell keine Nachricht nach War¬
schau gebracht werden konnte.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 24, 1865, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341801_283352/61>, abgerufen am 15.01.2025.