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Die Grenzboten. Jg. 24, 1865, II. Semester. I. Band.

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Scheune geschafft, der auf untergelegten Balken ruht; auf diesen schlagen nun
alle mit ohrzerreißenden Scandal los. und der Bauer beeilt sich, den so nach,
drücklich verlangten Wein herbeizuschaffen, damit ihm nicht Flegel und Blut¬
bann gar zu Schanden gehen.

Wird nun endlich das Korn zur Mühle geschafft, dann verrathen die Jungen
auf der Gasse unzweideutig die Meinung der Alten in Hinsicht auf des Müllers
Schelmengelüste; sie rufen im Tone des Mühlegeklappers:

Um so vorsichtiger geht man zu Hause mit Mehl und Getreide um. Mehl-
und Fruchtkasten werden niemals völlig geleert, "damit der Segen nicht aus'
geht". Ein beispielsweises Verfahren des älteren Aberglaubens, von dem auf¬
bewahrten Getreide für sieben Jahre das Ungeziefer fern zu halten, war dieses:
der "Bindknebel" für die Garben ward von einer Stechpalme genommen, welche
am Charfreitag Nachts 12 Uhr abgeschnitten werden mußte; wer die Palme
schnitt, dürfte auf seinem Gange weder zurücksehen noch Begegnende grüßen;
das Holz mußte mit Einem Streich abgehauen werden, und zwar in den drei
höchsten Namen; und während des Abschreibens mußte man ein in einem Jahr
gewachsenes Doppclschoß von einer Haselstaude im Munde halten. -- Wie der
Bauer mit seinem Mehl umgehen soll, sagt ihm übrigens sein alter Spruch:
"Mühlewarm und Ofewarm -- macht die riche Buren arm" -- d. h. wenn
das Mehl, sobald es aus der Mühle kommt, gebacken, und das Brot, sobald
es aus dem Ofen kommt, verzehrt wird, so gereicht das dem Bauern zum em¬
pfindlichen Schaden. Beim Backen ist es der Mutter alter Brauch, daß sie
den Mehlsack, während das Brot im Ofen ist. entweder aufhängt oder sonst
sorgfältig aufthürmt. Je höher er steht, desto höher wird das Brot. Und
eine strenge Strafe hat das Kind zu gewärtigen, welches das Unglück hat, den
Sack etwa "herunterzufallen" oder zusammenzudrücken.

Der jeweilige Kornpreis ist für den Bauersmann selbstverständlich eine
Lebensfrage; kein Wunder darum, daß er ehemals, da er noch auf Hauswart
und Dachbalken, über Thür und Treppe des neuerrichteten Hauses seinen frommen
oder launigen Spruch setzte, selten vergaß, den Ansatz des Getreidepreises aus
dem laufenden Jahrgang mit hineinzureimen. "Mit Gottes Hilf ward ich aus-
gestallt -- da ein Müde Kernen 3 Guldi galt -- und ein Viertel Haber mit
4 Vtz. zahlt" -- so lautet z. B. die Inschrift an einem Hause in Russikon,
welches die Jahreszahl 1697 trägt. --

Zahlreiche Sagen haben bis auf die Gegenwart herab den uralten Glauben
unsrer Vorfahren aufbewahrt, "daß Wuotan, der Erntegvtt, und seine Begleiter
in mancherlei Gestalten fordernd und befreundet bei dem dankbaren Landmann


Scheune geschafft, der auf untergelegten Balken ruht; auf diesen schlagen nun
alle mit ohrzerreißenden Scandal los. und der Bauer beeilt sich, den so nach,
drücklich verlangten Wein herbeizuschaffen, damit ihm nicht Flegel und Blut¬
bann gar zu Schanden gehen.

Wird nun endlich das Korn zur Mühle geschafft, dann verrathen die Jungen
auf der Gasse unzweideutig die Meinung der Alten in Hinsicht auf des Müllers
Schelmengelüste; sie rufen im Tone des Mühlegeklappers:

Um so vorsichtiger geht man zu Hause mit Mehl und Getreide um. Mehl-
und Fruchtkasten werden niemals völlig geleert, „damit der Segen nicht aus'
geht". Ein beispielsweises Verfahren des älteren Aberglaubens, von dem auf¬
bewahrten Getreide für sieben Jahre das Ungeziefer fern zu halten, war dieses:
der „Bindknebel" für die Garben ward von einer Stechpalme genommen, welche
am Charfreitag Nachts 12 Uhr abgeschnitten werden mußte; wer die Palme
schnitt, dürfte auf seinem Gange weder zurücksehen noch Begegnende grüßen;
das Holz mußte mit Einem Streich abgehauen werden, und zwar in den drei
höchsten Namen; und während des Abschreibens mußte man ein in einem Jahr
gewachsenes Doppclschoß von einer Haselstaude im Munde halten. — Wie der
Bauer mit seinem Mehl umgehen soll, sagt ihm übrigens sein alter Spruch:
„Mühlewarm und Ofewarm — macht die riche Buren arm" — d. h. wenn
das Mehl, sobald es aus der Mühle kommt, gebacken, und das Brot, sobald
es aus dem Ofen kommt, verzehrt wird, so gereicht das dem Bauern zum em¬
pfindlichen Schaden. Beim Backen ist es der Mutter alter Brauch, daß sie
den Mehlsack, während das Brot im Ofen ist. entweder aufhängt oder sonst
sorgfältig aufthürmt. Je höher er steht, desto höher wird das Brot. Und
eine strenge Strafe hat das Kind zu gewärtigen, welches das Unglück hat, den
Sack etwa „herunterzufallen" oder zusammenzudrücken.

Der jeweilige Kornpreis ist für den Bauersmann selbstverständlich eine
Lebensfrage; kein Wunder darum, daß er ehemals, da er noch auf Hauswart
und Dachbalken, über Thür und Treppe des neuerrichteten Hauses seinen frommen
oder launigen Spruch setzte, selten vergaß, den Ansatz des Getreidepreises aus
dem laufenden Jahrgang mit hineinzureimen. „Mit Gottes Hilf ward ich aus-
gestallt — da ein Müde Kernen 3 Guldi galt — und ein Viertel Haber mit
4 Vtz. zahlt" — so lautet z. B. die Inschrift an einem Hause in Russikon,
welches die Jahreszahl 1697 trägt. —

Zahlreiche Sagen haben bis auf die Gegenwart herab den uralten Glauben
unsrer Vorfahren aufbewahrt, „daß Wuotan, der Erntegvtt, und seine Begleiter
in mancherlei Gestalten fordernd und befreundet bei dem dankbaren Landmann


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[0591] Scheune geschafft, der auf untergelegten Balken ruht; auf diesen schlagen nun alle mit ohrzerreißenden Scandal los. und der Bauer beeilt sich, den so nach, drücklich verlangten Wein herbeizuschaffen, damit ihm nicht Flegel und Blut¬ bann gar zu Schanden gehen. Wird nun endlich das Korn zur Mühle geschafft, dann verrathen die Jungen auf der Gasse unzweideutig die Meinung der Alten in Hinsicht auf des Müllers Schelmengelüste; sie rufen im Tone des Mühlegeklappers: Um so vorsichtiger geht man zu Hause mit Mehl und Getreide um. Mehl- und Fruchtkasten werden niemals völlig geleert, „damit der Segen nicht aus' geht". Ein beispielsweises Verfahren des älteren Aberglaubens, von dem auf¬ bewahrten Getreide für sieben Jahre das Ungeziefer fern zu halten, war dieses: der „Bindknebel" für die Garben ward von einer Stechpalme genommen, welche am Charfreitag Nachts 12 Uhr abgeschnitten werden mußte; wer die Palme schnitt, dürfte auf seinem Gange weder zurücksehen noch Begegnende grüßen; das Holz mußte mit Einem Streich abgehauen werden, und zwar in den drei höchsten Namen; und während des Abschreibens mußte man ein in einem Jahr gewachsenes Doppclschoß von einer Haselstaude im Munde halten. — Wie der Bauer mit seinem Mehl umgehen soll, sagt ihm übrigens sein alter Spruch: „Mühlewarm und Ofewarm — macht die riche Buren arm" — d. h. wenn das Mehl, sobald es aus der Mühle kommt, gebacken, und das Brot, sobald es aus dem Ofen kommt, verzehrt wird, so gereicht das dem Bauern zum em¬ pfindlichen Schaden. Beim Backen ist es der Mutter alter Brauch, daß sie den Mehlsack, während das Brot im Ofen ist. entweder aufhängt oder sonst sorgfältig aufthürmt. Je höher er steht, desto höher wird das Brot. Und eine strenge Strafe hat das Kind zu gewärtigen, welches das Unglück hat, den Sack etwa „herunterzufallen" oder zusammenzudrücken. Der jeweilige Kornpreis ist für den Bauersmann selbstverständlich eine Lebensfrage; kein Wunder darum, daß er ehemals, da er noch auf Hauswart und Dachbalken, über Thür und Treppe des neuerrichteten Hauses seinen frommen oder launigen Spruch setzte, selten vergaß, den Ansatz des Getreidepreises aus dem laufenden Jahrgang mit hineinzureimen. „Mit Gottes Hilf ward ich aus- gestallt — da ein Müde Kernen 3 Guldi galt — und ein Viertel Haber mit 4 Vtz. zahlt" — so lautet z. B. die Inschrift an einem Hause in Russikon, welches die Jahreszahl 1697 trägt. — Zahlreiche Sagen haben bis auf die Gegenwart herab den uralten Glauben unsrer Vorfahren aufbewahrt, „daß Wuotan, der Erntegvtt, und seine Begleiter in mancherlei Gestalten fordernd und befreundet bei dem dankbaren Landmann

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 24, 1865, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341801_283352/591>, abgerufen am 15.01.2025.