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Die Grenzboten. Jg. 24, 1865, II. Semester. I. Band.

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viele werden; jeder einzelne Sammler, der ihm zur Hand ginge, dürfte in seiner
eigenen kleinen Mühe auch schon reichlichen Lohn finden.*)

Der Verfasser dieser Zeilen selbst hat sich in seiner Umgebung gemäß der
Anleitung Mannhardts umgesehen und in kurzer Zeit unerwartete Entdeckungen
gemacht. Es sind ihm aus dem Volksmunde eine Menge erbthümlicher
Sitten und Sagen zur Kenntniß gebracht worden, die anderweitige Mittheilungen
theils bestätigen, theils erklären oder auch um Wesentliches vermehren. Indem
er hier einige solche aushebt, die auch ohne sprach- und sittengeschichtlichen oder
mythologischen Kommentar ziemlich verständlich lauten werden, bemerkt er nur,
daß dieselben aus der Landschaft Zürich stammen, derjenigen Schweizer¬
landschaft, welche unter allen, infolge der ausgedehntesten Volksbildung, ver¬
hältnißmäßig vielleicht die wenigsten Ueberreste alten Volkslebens mehr ausweist.
Und doch leben, wie sowohl eigene Anschauung als die zuverlässigsten Gewährs¬
leute bezeugen, von den hier verzeichneten Zügen die meisten noch heute; den
Reichthum des anderwärts noch Vorhandenen mag man darnach bemessen.

Wie der Säemann in die "Art" (den neugepflügten Boden) den Samen
im Namen der h. Dreifaltigkeit ausgestreut oder auch wohl mit dem Spruche:
"Was i schaffe, das thun i mi't Fuß -- Mög 's Herrgvtte Gnad si bi us";
und wie er seine Arbeit mit den Worten beschlossen hat: "Nun gebe der liebe
Herrgott den Segen darein" -- so wird nun auch beim Ernten aus dem ersten
Acker gesprochen: "Walt Gott, well (wolle) Gott, daß es wohl ausgebe!" und
wenn Abends die "Betzeitglocke" ertönt, so schneidet nach uralter Sitte jeder
Schnitter noch drei Handvoll Getreide und verläßt dann das Feld mit dem
kurzen Gebetworte: "Walt Gott truii" (treulich).

Man unterscheidet eine weiße Ernte., die Kornelle, und eine schwarze, die
Roggenernte. Die sogenannte Sommerfrucht, Gerste und Hafer, wird meistens
mit der Sense, die Winterfrucht dagegen, Weizen, Roggen und Korn (Dinkel),
noch immer mit der Sichel geschnitten. Ein Geschulte besteht gewöhnlich
aus einem Mann und drei bis vier Frauen oder aus einem Schnittermeister
und drei bis fünf Schnittermädchen, die sich in das Geschäft des Schneidens,
des Antragens (Sammelns) und Bindens theilen. Oefters sind dabei fremde,
von Würtemberg oder aus dem Schwarzwald herübergekommene Arbeiter; von
diesen übernimmt jedoch keiner das Binden; dies ist eine Ehrenarbeit, die ent¬
weder der Bauer selbst oder mindestens ein Einheimischer, jedenfalls immer
eine männliche Person beansprucht. "Geschrill" ist indessen auch der Name
für jede größere Gesammtheit der Schnitter auf einem großen Hofe. Diese
ziehen mit einem Geiger an der Spitze auf das Feld, und nun wird hier nach
dem Takt der Musik gearbeitet. Hatte bei der Aussaat der Säemann die drei



") Ganz neuerlich hat die Akademie in Wien dem Staatsministerium empfohlen, Mann¬
hardts Fragen in allen Theilen des Kaiserreiches amtlich zu verbreiten.

viele werden; jeder einzelne Sammler, der ihm zur Hand ginge, dürfte in seiner
eigenen kleinen Mühe auch schon reichlichen Lohn finden.*)

Der Verfasser dieser Zeilen selbst hat sich in seiner Umgebung gemäß der
Anleitung Mannhardts umgesehen und in kurzer Zeit unerwartete Entdeckungen
gemacht. Es sind ihm aus dem Volksmunde eine Menge erbthümlicher
Sitten und Sagen zur Kenntniß gebracht worden, die anderweitige Mittheilungen
theils bestätigen, theils erklären oder auch um Wesentliches vermehren. Indem
er hier einige solche aushebt, die auch ohne sprach- und sittengeschichtlichen oder
mythologischen Kommentar ziemlich verständlich lauten werden, bemerkt er nur,
daß dieselben aus der Landschaft Zürich stammen, derjenigen Schweizer¬
landschaft, welche unter allen, infolge der ausgedehntesten Volksbildung, ver¬
hältnißmäßig vielleicht die wenigsten Ueberreste alten Volkslebens mehr ausweist.
Und doch leben, wie sowohl eigene Anschauung als die zuverlässigsten Gewährs¬
leute bezeugen, von den hier verzeichneten Zügen die meisten noch heute; den
Reichthum des anderwärts noch Vorhandenen mag man darnach bemessen.

Wie der Säemann in die „Art" (den neugepflügten Boden) den Samen
im Namen der h. Dreifaltigkeit ausgestreut oder auch wohl mit dem Spruche:
„Was i schaffe, das thun i mi't Fuß — Mög 's Herrgvtte Gnad si bi us";
und wie er seine Arbeit mit den Worten beschlossen hat: „Nun gebe der liebe
Herrgott den Segen darein" — so wird nun auch beim Ernten aus dem ersten
Acker gesprochen: „Walt Gott, well (wolle) Gott, daß es wohl ausgebe!" und
wenn Abends die „Betzeitglocke" ertönt, so schneidet nach uralter Sitte jeder
Schnitter noch drei Handvoll Getreide und verläßt dann das Feld mit dem
kurzen Gebetworte: „Walt Gott truii" (treulich).

Man unterscheidet eine weiße Ernte., die Kornelle, und eine schwarze, die
Roggenernte. Die sogenannte Sommerfrucht, Gerste und Hafer, wird meistens
mit der Sense, die Winterfrucht dagegen, Weizen, Roggen und Korn (Dinkel),
noch immer mit der Sichel geschnitten. Ein Geschulte besteht gewöhnlich
aus einem Mann und drei bis vier Frauen oder aus einem Schnittermeister
und drei bis fünf Schnittermädchen, die sich in das Geschäft des Schneidens,
des Antragens (Sammelns) und Bindens theilen. Oefters sind dabei fremde,
von Würtemberg oder aus dem Schwarzwald herübergekommene Arbeiter; von
diesen übernimmt jedoch keiner das Binden; dies ist eine Ehrenarbeit, die ent¬
weder der Bauer selbst oder mindestens ein Einheimischer, jedenfalls immer
eine männliche Person beansprucht. „Geschrill" ist indessen auch der Name
für jede größere Gesammtheit der Schnitter auf einem großen Hofe. Diese
ziehen mit einem Geiger an der Spitze auf das Feld, und nun wird hier nach
dem Takt der Musik gearbeitet. Hatte bei der Aussaat der Säemann die drei



") Ganz neuerlich hat die Akademie in Wien dem Staatsministerium empfohlen, Mann¬
hardts Fragen in allen Theilen des Kaiserreiches amtlich zu verbreiten.
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 24, 1865, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341801_283352/584>, abgerufen am 15.01.2025.