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Die Grenzboten. Jg. 24, 1865, II. Semester. I. Band.

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Glieder der Nation wirthschaftlich eint, rückgängig zu machen. Diese Reform
erweist sich glücklicherweise stärker als die vereinigten Kräfte ihrer Widersacher.
So verzweifeln diese endlich am Erfolg des Kampfes für ein alle umfassendes
Zoll- und Handelssystem. Sie schließen Verträge von Staat zu Staat unter
sich; nur an einen Vertrag mit dem obstinaten Gegner des Artikels 19 ist,
wie es scheint, durchaus nicht zu denken -- eher an einen mit Frankreich oder
der Schweiz. Das preußische System aber wird durch jene Uebereinkünfte nicht
erschüttert, die Noth nur sehr unwesentlich gehoben. Der Berg kommt nicht
zu Mohammad, da muß wohl Mohammad zum Berge kommen. Die Preußen
nehmen, ihrer Sache sicher, keine Rücksicht auf die Gegenmaßregeln der übrigen
Deutschen gegen ihr neues Zoll- und Steuerwesen, da nehmen endlich die
Deutschen, Staat nach Staat, nothgedrungen das Preußische Zoll- und Steuer¬
wesen als das ihrige an, und siehe da, allgemeine Befriedigung folgt auf die
allgemeine Entrüstung: das "Haupthinderniß" der Einigung wird die Grundlage
der deutschen volkswirtschaftlichen Zukunft.

Die Moral hiervon ist zu Anfang dieser Aufsätze gegeben. Die Anwendung
derselben auf die gegenwärtig allmälig in den Vordergrund rückender Fragen
weiterer Forderung Deutschlands zur Einheit und zunächst auf die schleswig¬
holsteinische Frage wollen wir denen anheimgeben, die sich jetzt "die besten
Männer Deutschlands" nennen lassen, jetzt auf dem deutschen Patriotismus,
der politischen Sittlichkeit und dem Verständniß des wcchren Wohles der Nation
in Erbpacht sitzen und jetzt fast genau so wie damals gegen den Egoismus
Preußens und seine Verkennung des rechten Weges zur Einheit declamiren.
Die Zukunft wird auch sie als gute Leute, aber schlechte Musikanten erkennen
lassen.

Nachschr. d. Red.

Wenn der Verfasser, wie uns scheint, bei den letzten
Worten vorzüglich an die "besten Männer Deutschlands" gedacht haben sollte,
welche in diesen Tagen zu Frankfurt wieder einmal die allgemach ziemlich aus
der Mode gekommene Resolutionsposaune bliesen, so hat sich seine Vorhersagung
schon erfüllt. Man hatte einen "deutschen Abgeordnetentag" berufen, und als
unser Herrgott den Schaden besah, hatten sich aus die Einladung etwas mehr
als dritthalbhundert Herren zusammengefunden, von denen die bei weitem
größere Hälfte nur die Stimmung der südwestdeutschen Ecke vertrat. Die Redner
und Antragsteller perorirten mit gewohnter gesinnungstüchtiger Geschwollenheit
im Namen deutscher Nation, und die achtzehn Millionen Deutschen in der
preußischen Monarchie waren durch volle sieben Mann repräsentirt. Der frank¬
furter Club wollte dem Staate Preußen seine Pflicht vorschreiben und vergaß,
daß von allen deutschen Staaten bis heute nur Preußen in der Schleswig-hol-
steinischen Sache seiner Pflicht mit Besserem als Redensarten nachgekommen ist.
Man befürwortete einen Kompromiß, über den die Geschichte längst zur Tages-


Glieder der Nation wirthschaftlich eint, rückgängig zu machen. Diese Reform
erweist sich glücklicherweise stärker als die vereinigten Kräfte ihrer Widersacher.
So verzweifeln diese endlich am Erfolg des Kampfes für ein alle umfassendes
Zoll- und Handelssystem. Sie schließen Verträge von Staat zu Staat unter
sich; nur an einen Vertrag mit dem obstinaten Gegner des Artikels 19 ist,
wie es scheint, durchaus nicht zu denken — eher an einen mit Frankreich oder
der Schweiz. Das preußische System aber wird durch jene Uebereinkünfte nicht
erschüttert, die Noth nur sehr unwesentlich gehoben. Der Berg kommt nicht
zu Mohammad, da muß wohl Mohammad zum Berge kommen. Die Preußen
nehmen, ihrer Sache sicher, keine Rücksicht auf die Gegenmaßregeln der übrigen
Deutschen gegen ihr neues Zoll- und Steuerwesen, da nehmen endlich die
Deutschen, Staat nach Staat, nothgedrungen das Preußische Zoll- und Steuer¬
wesen als das ihrige an, und siehe da, allgemeine Befriedigung folgt auf die
allgemeine Entrüstung: das „Haupthinderniß" der Einigung wird die Grundlage
der deutschen volkswirtschaftlichen Zukunft.

Die Moral hiervon ist zu Anfang dieser Aufsätze gegeben. Die Anwendung
derselben auf die gegenwärtig allmälig in den Vordergrund rückender Fragen
weiterer Forderung Deutschlands zur Einheit und zunächst auf die schleswig¬
holsteinische Frage wollen wir denen anheimgeben, die sich jetzt „die besten
Männer Deutschlands" nennen lassen, jetzt auf dem deutschen Patriotismus,
der politischen Sittlichkeit und dem Verständniß des wcchren Wohles der Nation
in Erbpacht sitzen und jetzt fast genau so wie damals gegen den Egoismus
Preußens und seine Verkennung des rechten Weges zur Einheit declamiren.
Die Zukunft wird auch sie als gute Leute, aber schlechte Musikanten erkennen
lassen.

Nachschr. d. Red.

Wenn der Verfasser, wie uns scheint, bei den letzten
Worten vorzüglich an die „besten Männer Deutschlands" gedacht haben sollte,
welche in diesen Tagen zu Frankfurt wieder einmal die allgemach ziemlich aus
der Mode gekommene Resolutionsposaune bliesen, so hat sich seine Vorhersagung
schon erfüllt. Man hatte einen „deutschen Abgeordnetentag" berufen, und als
unser Herrgott den Schaden besah, hatten sich aus die Einladung etwas mehr
als dritthalbhundert Herren zusammengefunden, von denen die bei weitem
größere Hälfte nur die Stimmung der südwestdeutschen Ecke vertrat. Die Redner
und Antragsteller perorirten mit gewohnter gesinnungstüchtiger Geschwollenheit
im Namen deutscher Nation, und die achtzehn Millionen Deutschen in der
preußischen Monarchie waren durch volle sieben Mann repräsentirt. Der frank¬
furter Club wollte dem Staate Preußen seine Pflicht vorschreiben und vergaß,
daß von allen deutschen Staaten bis heute nur Preußen in der Schleswig-hol-
steinischen Sache seiner Pflicht mit Besserem als Redensarten nachgekommen ist.
Man befürwortete einen Kompromiß, über den die Geschichte längst zur Tages-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 24, 1865, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341801_283352/582>, abgerufen am 15.01.2025.