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Die Grenzboten. Jg. 24, 1865, II. Semester. I. Band.

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Tisch gelehnt. "Wo hast du die Pistolen?" fragte er. "Ich habe sie nicht, die Bauern
haben sie genommen," antwortete ich. "Stillgeschwiegen, du Luder!" brüllte er,
schmetterte mich durch einen Faustschlag auf ein seitwärtsstehendes Sopha und be¬
arbeitete meinen Schädel mit einem Stocke. Ich war mit dem Kopf auf ein Stück
Leinwand das auf dem Sopha zusammengefaltet war, zu liegen gekommen und
tränkte es sofort Blut. "Meine Leinwand! Meine Leinwand!" kreischte die jüdische
Wirthin. Niezgoda gab mir mit dem Fuß einen Stoß, und ich flog zwischen
Tisch und Sopha an die Erde, worauf ich die Besinnung verlor und für todt
liegen gelassen wurde.

; ' Wie lange ich so gelegen, weiß ich nicht, aber es war stockfinster, als ich
erwachte. Keine Seele rührte sich in der Stube, und auch draußen war es still.
Ich war noch in einem traumähnlichen Zustand, in welchem ich wohl einmal
ein Geschrei draußen nach dem Krüger und nach neuen Stricken hörte. Darauf
aber vernahm ich wieder nichts und lag an den Händen gefesselt in einer
Sinncsdämmerung da. Da wurde ich ganz erweckt durch Hände, die an mir
herumtasteten und mich hinter dem Tisch hervorzogen. Ich gab Lebenszeichen
von mir, man brachte Licht, besah mich, und ein Bauer sagte: "Wie konnte
er wieder aufleben? Na, der hat ein Leben wie eine Katze!" Man richtete
mich auf und stieß mich vor die Thür des Kruges, wo mich Niezgoda mit dem
unvermeidlichen Faustschlag empfing, indem er triumphirte: "Siehst du, Hunde¬
blut! Du bist selbst Schuld daran!".

Vor dem Hause standen zwei Schlitten, der des Baruch Schlajen und einer
vom Grafen, In ersterem lag ein Mann gebunden und in der bittern Winter¬
kälte nur mit Hemd und Hosen bekleidet, wie ich später erfuhr, der Actuar
Roller aus Drikowiec. Aus einer Wunde, die ihm im Rücken mit einer Mist¬
forke beigebracht wär, blutete er stark. Im zweiten sah an den Füßen gebunden
Graf TrMewicz; neben ihm stand die Gräfin im Schlitten und sprach flehend
zu den umstehenden Bauern, die schweigend zuhörten, während die Weiber um
den Schlitten gedrängt zum Theil knieten und ihr demüthig antworteten.
Solche Gewalt hatte die Gewohnheit der Sklaverei über diese Bestien selbst
im Augenblick der Empörung. Doch die Bauern riefen, um die Bitten der
Gräfin abzuschneiden: "Wir müssen nach Rzeszow fahren; wir haben Befehl
vom Kreise." Darauf packte man mich in den vorderen Schlitten, nachdem
man vorher die Stricke an den Armen fester angezogen hatte, so daß die Ellen¬
bogen und Schulterngelenke furchtbar schmerzten und die Hände erstarben.
Neben mir lag der Actuar Roller, auf dem Kutschersitz saß, gleichfalls ge-
bunden, der gräfliche Koch Jankowski. 'Nun kam noch ein dritter Schlitten
aus dem Hofe heraus. Eine Anzahl betrunkener Bauern kletterte hinauf, einige
stiegen auf die Schlitten der Gefangenen als Kutscher und Wächter, und fort
ging es unter fürchterlichem Geschrei nach Rzeszow. Halbwegs lag eine Schenke.


Tisch gelehnt. „Wo hast du die Pistolen?" fragte er. „Ich habe sie nicht, die Bauern
haben sie genommen," antwortete ich. „Stillgeschwiegen, du Luder!" brüllte er,
schmetterte mich durch einen Faustschlag auf ein seitwärtsstehendes Sopha und be¬
arbeitete meinen Schädel mit einem Stocke. Ich war mit dem Kopf auf ein Stück
Leinwand das auf dem Sopha zusammengefaltet war, zu liegen gekommen und
tränkte es sofort Blut. „Meine Leinwand! Meine Leinwand!" kreischte die jüdische
Wirthin. Niezgoda gab mir mit dem Fuß einen Stoß, und ich flog zwischen
Tisch und Sopha an die Erde, worauf ich die Besinnung verlor und für todt
liegen gelassen wurde.

; ' Wie lange ich so gelegen, weiß ich nicht, aber es war stockfinster, als ich
erwachte. Keine Seele rührte sich in der Stube, und auch draußen war es still.
Ich war noch in einem traumähnlichen Zustand, in welchem ich wohl einmal
ein Geschrei draußen nach dem Krüger und nach neuen Stricken hörte. Darauf
aber vernahm ich wieder nichts und lag an den Händen gefesselt in einer
Sinncsdämmerung da. Da wurde ich ganz erweckt durch Hände, die an mir
herumtasteten und mich hinter dem Tisch hervorzogen. Ich gab Lebenszeichen
von mir, man brachte Licht, besah mich, und ein Bauer sagte: „Wie konnte
er wieder aufleben? Na, der hat ein Leben wie eine Katze!" Man richtete
mich auf und stieß mich vor die Thür des Kruges, wo mich Niezgoda mit dem
unvermeidlichen Faustschlag empfing, indem er triumphirte: „Siehst du, Hunde¬
blut! Du bist selbst Schuld daran!".

Vor dem Hause standen zwei Schlitten, der des Baruch Schlajen und einer
vom Grafen, In ersterem lag ein Mann gebunden und in der bittern Winter¬
kälte nur mit Hemd und Hosen bekleidet, wie ich später erfuhr, der Actuar
Roller aus Drikowiec. Aus einer Wunde, die ihm im Rücken mit einer Mist¬
forke beigebracht wär, blutete er stark. Im zweiten sah an den Füßen gebunden
Graf TrMewicz; neben ihm stand die Gräfin im Schlitten und sprach flehend
zu den umstehenden Bauern, die schweigend zuhörten, während die Weiber um
den Schlitten gedrängt zum Theil knieten und ihr demüthig antworteten.
Solche Gewalt hatte die Gewohnheit der Sklaverei über diese Bestien selbst
im Augenblick der Empörung. Doch die Bauern riefen, um die Bitten der
Gräfin abzuschneiden: „Wir müssen nach Rzeszow fahren; wir haben Befehl
vom Kreise." Darauf packte man mich in den vorderen Schlitten, nachdem
man vorher die Stricke an den Armen fester angezogen hatte, so daß die Ellen¬
bogen und Schulterngelenke furchtbar schmerzten und die Hände erstarben.
Neben mir lag der Actuar Roller, auf dem Kutschersitz saß, gleichfalls ge-
bunden, der gräfliche Koch Jankowski. 'Nun kam noch ein dritter Schlitten
aus dem Hofe heraus. Eine Anzahl betrunkener Bauern kletterte hinauf, einige
stiegen auf die Schlitten der Gefangenen als Kutscher und Wächter, und fort
ging es unter fürchterlichem Geschrei nach Rzeszow. Halbwegs lag eine Schenke.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 24, 1865, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341801_283352/56>, abgerufen am 15.01.2025.