Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 24, 1865, II. Semester. I. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

Euch sein. Wir sind zufrieden, wenn wir uns selber musterhaft 'vorkommen!
Und in dieser Richtung haben wir in Baden seit dem Frühling dieses
Jahres einen entschiedenen Fortschritt gemacht. Daß er mit großem Pomp
und vielem Lärm in Scene gesetzt wurde, verdankt die liberale Partei ihren
Gegnern, den Ultramontanen.

Die Schulfrage gab zunächst, nachdem die Ortsschulrathswahlen vollendet
waren, nachdem trotz den zahlreichen Petitionen der "wandernden Kasinos" die
beiden Kammern der Regierung ein Vertrauensvotum ertheilt und die Wüh¬
lereien und Angriffe der Schwarzen ruhig, aber sehr entschieden zurückgewiesen
hatten, keinen Anlaß zu einer Fortsetzung der klerikalen Agitation. Die uner¬
müdlichen Agitatoren fanden bald einen neuen Gegenstand, an den sie ihre
Bestrebungen anknüpfen konnten, und wenn sie selbst den Kampf in der Schul¬
srage uns als ein Scharmützel, als ein Vorpvstengesecht bezeichnet hatten, so
traten sie in dem neuen Feldzuge mit dem ganzen Apparat, der ihnen zu Ge¬
bote steht, mit regulären Truppen und mit dem "schwarzen Landsturm", wie
der Volkswitz ihre Anhänger in den großen Massen nannte, auf. Diesmal
war es eine Angelegenheit, die nicht nur mit der Religion, sondern, im strengen
Sinne des Worts genommen, eigentlich auch mit der Politik nichts zu thun
hat, an welche die ultramontane Hetzerei und Wühlerei sich herandrängte
die Wahl zu den Kreisversammlungen.

Durch die neue Organisation der innern Verwaltung ist in Baden der
Grundsatz der Selbstverwaltung zum ersten Male in Deutschland mit einer
Konsequenz durchgeführt worden, die nur der verständigen und redlichen Mit¬
wirkung der ganzen Bevölkerung bedarf, um auf allen Gebieten des staatlichen
Lebens die segenreichste Wirkung zu erzielen und das gesammte öffentliche Leben
erst recht mit der Verfassung in Einklang zu bringen, die eigentlich seit ihrem
Bestehen diese Gestalt der Landesverwaltung voraussetzte, der wir uns nun
seit einem Jahre erfreuen.

Eines der wichtigsten Glieder in dem Gefügt dieser Organisation ist die
Kreisgemeinde, welcher für einen größeren Komplex eine ähnliche Aufgabe zu¬
fällt, wie sie die eigentliche Gemeinde und die Bezirksgemeinde in ihrem Wir¬
kungsgebiete zu erfüllen haben. Diese Kreise bilden körperschaftliche Verbände,
besorgen ihre Angelegenheiten selbständig, können Vermögen erwerben und be¬
sitzen und haben die Ausgabe, über solche Einrichtungen und Anstalten zu be¬
schließen, welche die Entwicklung, Pflege und Förderung der Interessen des
ganzen Kreises betreffen. Die Kreisangehörigen werden durch die Kreisver-
sammlung vertreten; für Verwaltung der Kreisangelcgenheiten besteht ein Kreis¬
ausschuß. Die Kreisversammlungen werden durch die Großgrundbesitzer des
Kreises, durch Vertreter der Gemeinden und endlich durch Mitglieder gebildet,
welche von gewählten Kreiswahlmännern mit geheimer Stimmgebung (die auch


Euch sein. Wir sind zufrieden, wenn wir uns selber musterhaft 'vorkommen!
Und in dieser Richtung haben wir in Baden seit dem Frühling dieses
Jahres einen entschiedenen Fortschritt gemacht. Daß er mit großem Pomp
und vielem Lärm in Scene gesetzt wurde, verdankt die liberale Partei ihren
Gegnern, den Ultramontanen.

Die Schulfrage gab zunächst, nachdem die Ortsschulrathswahlen vollendet
waren, nachdem trotz den zahlreichen Petitionen der „wandernden Kasinos" die
beiden Kammern der Regierung ein Vertrauensvotum ertheilt und die Wüh¬
lereien und Angriffe der Schwarzen ruhig, aber sehr entschieden zurückgewiesen
hatten, keinen Anlaß zu einer Fortsetzung der klerikalen Agitation. Die uner¬
müdlichen Agitatoren fanden bald einen neuen Gegenstand, an den sie ihre
Bestrebungen anknüpfen konnten, und wenn sie selbst den Kampf in der Schul¬
srage uns als ein Scharmützel, als ein Vorpvstengesecht bezeichnet hatten, so
traten sie in dem neuen Feldzuge mit dem ganzen Apparat, der ihnen zu Ge¬
bote steht, mit regulären Truppen und mit dem „schwarzen Landsturm", wie
der Volkswitz ihre Anhänger in den großen Massen nannte, auf. Diesmal
war es eine Angelegenheit, die nicht nur mit der Religion, sondern, im strengen
Sinne des Worts genommen, eigentlich auch mit der Politik nichts zu thun
hat, an welche die ultramontane Hetzerei und Wühlerei sich herandrängte
die Wahl zu den Kreisversammlungen.

Durch die neue Organisation der innern Verwaltung ist in Baden der
Grundsatz der Selbstverwaltung zum ersten Male in Deutschland mit einer
Konsequenz durchgeführt worden, die nur der verständigen und redlichen Mit¬
wirkung der ganzen Bevölkerung bedarf, um auf allen Gebieten des staatlichen
Lebens die segenreichste Wirkung zu erzielen und das gesammte öffentliche Leben
erst recht mit der Verfassung in Einklang zu bringen, die eigentlich seit ihrem
Bestehen diese Gestalt der Landesverwaltung voraussetzte, der wir uns nun
seit einem Jahre erfreuen.

Eines der wichtigsten Glieder in dem Gefügt dieser Organisation ist die
Kreisgemeinde, welcher für einen größeren Komplex eine ähnliche Aufgabe zu¬
fällt, wie sie die eigentliche Gemeinde und die Bezirksgemeinde in ihrem Wir¬
kungsgebiete zu erfüllen haben. Diese Kreise bilden körperschaftliche Verbände,
besorgen ihre Angelegenheiten selbständig, können Vermögen erwerben und be¬
sitzen und haben die Ausgabe, über solche Einrichtungen und Anstalten zu be¬
schließen, welche die Entwicklung, Pflege und Förderung der Interessen des
ganzen Kreises betreffen. Die Kreisangehörigen werden durch die Kreisver-
sammlung vertreten; für Verwaltung der Kreisangelcgenheiten besteht ein Kreis¬
ausschuß. Die Kreisversammlungen werden durch die Großgrundbesitzer des
Kreises, durch Vertreter der Gemeinden und endlich durch Mitglieder gebildet,
welche von gewählten Kreiswahlmännern mit geheimer Stimmgebung (die auch


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0538" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/283891"/>
          <p xml:id="ID_1547" prev="#ID_1546"> Euch sein. Wir sind zufrieden, wenn wir uns selber musterhaft 'vorkommen!<lb/>
Und in dieser Richtung haben wir in Baden seit dem Frühling dieses<lb/>
Jahres einen entschiedenen Fortschritt gemacht. Daß er mit großem Pomp<lb/>
und vielem Lärm in Scene gesetzt wurde, verdankt die liberale Partei ihren<lb/>
Gegnern, den Ultramontanen.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1548"> Die Schulfrage gab zunächst, nachdem die Ortsschulrathswahlen vollendet<lb/>
waren, nachdem trotz den zahlreichen Petitionen der &#x201E;wandernden Kasinos" die<lb/>
beiden Kammern der Regierung ein Vertrauensvotum ertheilt und die Wüh¬<lb/>
lereien und Angriffe der Schwarzen ruhig, aber sehr entschieden zurückgewiesen<lb/>
hatten, keinen Anlaß zu einer Fortsetzung der klerikalen Agitation. Die uner¬<lb/>
müdlichen Agitatoren fanden bald einen neuen Gegenstand, an den sie ihre<lb/>
Bestrebungen anknüpfen konnten, und wenn sie selbst den Kampf in der Schul¬<lb/>
srage uns als ein Scharmützel, als ein Vorpvstengesecht bezeichnet hatten, so<lb/>
traten sie in dem neuen Feldzuge mit dem ganzen Apparat, der ihnen zu Ge¬<lb/>
bote steht, mit regulären Truppen und mit dem &#x201E;schwarzen Landsturm", wie<lb/>
der Volkswitz ihre Anhänger in den großen Massen nannte, auf. Diesmal<lb/>
war es eine Angelegenheit, die nicht nur mit der Religion, sondern, im strengen<lb/>
Sinne des Worts genommen, eigentlich auch mit der Politik nichts zu thun<lb/>
hat, an welche die ultramontane Hetzerei und Wühlerei sich herandrängte<lb/>
die Wahl zu den Kreisversammlungen.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1549"> Durch die neue Organisation der innern Verwaltung ist in Baden der<lb/>
Grundsatz der Selbstverwaltung zum ersten Male in Deutschland mit einer<lb/>
Konsequenz durchgeführt worden, die nur der verständigen und redlichen Mit¬<lb/>
wirkung der ganzen Bevölkerung bedarf, um auf allen Gebieten des staatlichen<lb/>
Lebens die segenreichste Wirkung zu erzielen und das gesammte öffentliche Leben<lb/>
erst recht mit der Verfassung in Einklang zu bringen, die eigentlich seit ihrem<lb/>
Bestehen diese Gestalt der Landesverwaltung voraussetzte, der wir uns nun<lb/>
seit einem Jahre erfreuen.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1550" next="#ID_1551"> Eines der wichtigsten Glieder in dem Gefügt dieser Organisation ist die<lb/>
Kreisgemeinde, welcher für einen größeren Komplex eine ähnliche Aufgabe zu¬<lb/>
fällt, wie sie die eigentliche Gemeinde und die Bezirksgemeinde in ihrem Wir¬<lb/>
kungsgebiete zu erfüllen haben. Diese Kreise bilden körperschaftliche Verbände,<lb/>
besorgen ihre Angelegenheiten selbständig, können Vermögen erwerben und be¬<lb/>
sitzen und haben die Ausgabe, über solche Einrichtungen und Anstalten zu be¬<lb/>
schließen, welche die Entwicklung, Pflege und Förderung der Interessen des<lb/>
ganzen Kreises betreffen. Die Kreisangehörigen werden durch die Kreisver-<lb/>
sammlung vertreten; für Verwaltung der Kreisangelcgenheiten besteht ein Kreis¬<lb/>
ausschuß. Die Kreisversammlungen werden durch die Großgrundbesitzer des<lb/>
Kreises, durch Vertreter der Gemeinden und endlich durch Mitglieder gebildet,<lb/>
welche von gewählten Kreiswahlmännern mit geheimer Stimmgebung (die auch</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0538] Euch sein. Wir sind zufrieden, wenn wir uns selber musterhaft 'vorkommen! Und in dieser Richtung haben wir in Baden seit dem Frühling dieses Jahres einen entschiedenen Fortschritt gemacht. Daß er mit großem Pomp und vielem Lärm in Scene gesetzt wurde, verdankt die liberale Partei ihren Gegnern, den Ultramontanen. Die Schulfrage gab zunächst, nachdem die Ortsschulrathswahlen vollendet waren, nachdem trotz den zahlreichen Petitionen der „wandernden Kasinos" die beiden Kammern der Regierung ein Vertrauensvotum ertheilt und die Wüh¬ lereien und Angriffe der Schwarzen ruhig, aber sehr entschieden zurückgewiesen hatten, keinen Anlaß zu einer Fortsetzung der klerikalen Agitation. Die uner¬ müdlichen Agitatoren fanden bald einen neuen Gegenstand, an den sie ihre Bestrebungen anknüpfen konnten, und wenn sie selbst den Kampf in der Schul¬ srage uns als ein Scharmützel, als ein Vorpvstengesecht bezeichnet hatten, so traten sie in dem neuen Feldzuge mit dem ganzen Apparat, der ihnen zu Ge¬ bote steht, mit regulären Truppen und mit dem „schwarzen Landsturm", wie der Volkswitz ihre Anhänger in den großen Massen nannte, auf. Diesmal war es eine Angelegenheit, die nicht nur mit der Religion, sondern, im strengen Sinne des Worts genommen, eigentlich auch mit der Politik nichts zu thun hat, an welche die ultramontane Hetzerei und Wühlerei sich herandrängte die Wahl zu den Kreisversammlungen. Durch die neue Organisation der innern Verwaltung ist in Baden der Grundsatz der Selbstverwaltung zum ersten Male in Deutschland mit einer Konsequenz durchgeführt worden, die nur der verständigen und redlichen Mit¬ wirkung der ganzen Bevölkerung bedarf, um auf allen Gebieten des staatlichen Lebens die segenreichste Wirkung zu erzielen und das gesammte öffentliche Leben erst recht mit der Verfassung in Einklang zu bringen, die eigentlich seit ihrem Bestehen diese Gestalt der Landesverwaltung voraussetzte, der wir uns nun seit einem Jahre erfreuen. Eines der wichtigsten Glieder in dem Gefügt dieser Organisation ist die Kreisgemeinde, welcher für einen größeren Komplex eine ähnliche Aufgabe zu¬ fällt, wie sie die eigentliche Gemeinde und die Bezirksgemeinde in ihrem Wir¬ kungsgebiete zu erfüllen haben. Diese Kreise bilden körperschaftliche Verbände, besorgen ihre Angelegenheiten selbständig, können Vermögen erwerben und be¬ sitzen und haben die Ausgabe, über solche Einrichtungen und Anstalten zu be¬ schließen, welche die Entwicklung, Pflege und Förderung der Interessen des ganzen Kreises betreffen. Die Kreisangehörigen werden durch die Kreisver- sammlung vertreten; für Verwaltung der Kreisangelcgenheiten besteht ein Kreis¬ ausschuß. Die Kreisversammlungen werden durch die Großgrundbesitzer des Kreises, durch Vertreter der Gemeinden und endlich durch Mitglieder gebildet, welche von gewählten Kreiswahlmännern mit geheimer Stimmgebung (die auch

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341801_283352
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341801_283352/538
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 24, 1865, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341801_283352/538>, abgerufen am 15.01.2025.