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Die Grenzboten. Jg. 24, 1865, II. Semester. I. Band.

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legung enclavirter Staaten mit den Steuern der enclavirenden hier irgendeine
Norm festgesetzt und die Sache nicht ohne alle nähere Bestimmung an den
Bundestag verwiesen werde.

Ehe sich die eigentliche Debatte entspann, hielt Metternich einen Vortrag,
der Oestreichs Stellung zu der Sache beleuchtete. Lifts Pläne seien unausführ¬
bar. Jeder größere Staat habe sein eignes Handelssystem, kleinere angrenzende
Staaten könnten ein gemeinschaftliches verabreden. Das östreichische System
des geschlossenen Handelsstaates habe sich als ganz verwerflich gezeigt, doch
könne man es nur allmälig aufgeben. Schon jetzt könne früher ganz Verbotenes
gegen Zoll eingeführt werden, an einer den Transit erleichternden Verordnung
werde gearbeitet, der Zoll überhaupt solle herabgesetzt werden. Korne Oestreich
jetzt nicht viel zur Befriedigung der laut ausgesprochenen Wünsche thun, so
dürfe man doch über die selbst von den Zeitungen so viel besprochenen hiesigen
Berathungen wegen des Handels nicht gänzlich schweigen. Ueber den Antrag,
den freien Handel mit Lebensmitteln gleich auszusprechen, wolle er sich in nächster
Sitzung erklären. Im vierten Satze der Ausschußvorlage wünsche er statt "Er-
leichterung" der Flußschiffahrt "Freiheit" zu setzen. Das Letztere wurde gleich
zugestanden. Als Marschall dabei äußerte, der vierte Satz des Ausschußantrags
sei ein Rückschritt im Vergleich mit der Congreßacte, entspann sich darüber
zwischen ihm und Bernstorff ein lebhafter Wortwechsel.

Die Beziehung auf das Votum von Fntsch gab dem Streite neue Nahrung.
Ueber den ersten Punkt desselben schien man sich allenfalls einigen zu können,
den zweiten nahm Bernstorff beifällig auf, während Metternich erst noch Rück¬
sprache mit den betreffenden Behörden nehmen wollte, der dritte Punkt wurde
Ursache zu einer sehr entschiedenen Erklärung Bernstorffs und zu herbem Zwist
zwischen diesem und Marschall. Letzterer stellte den Satz auf, daß die Be-
schwerden über Verletzung der Congreßacte, namentlich in Beziehung auf die
Vorschriften wegen der Flußschiffahrt, an den Bundestag gebracht werden
könnten. Bernstorff dagegen erklärte, zum allgemeinen Erstaunen der Ver¬
sammlung, wie ein Gesandtschaftsbericht meldet, "daß Rechte, welche einzelne
Bundesglieder aus einer andern Quelle als der Bundesacte selbst, wie z. B.
aus der Congreßacte herleiteten, niemals Gegenstand der Entscheidung des
Bundes werden könnten. Hier ständen sich zwei Bundesglieder als Souveräne
europäischer Staaten gegenüber, die den Streit völkerrechtlich miteinander aus¬
zugleichen hätten und nicht vor der Bundesversammlung. Nie habe Preußen
die Bundesacte anders verstanden, nie werde es in eine -solche Beschränkung
seiner Souveränetät willigen und von dem Bunde Recht nehmen." "Ein solches
Glaubensbekenntniß des königlichen Cabinetsministers war im höchsten Grade
unerwartet. Man suchte das hier offenbar vorliegende Mißverständniß zu be¬
seitigen. Man bemerkte dem Grafen, daß, wenn sein Satz richtig wäre, Strel-


legung enclavirter Staaten mit den Steuern der enclavirenden hier irgendeine
Norm festgesetzt und die Sache nicht ohne alle nähere Bestimmung an den
Bundestag verwiesen werde.

Ehe sich die eigentliche Debatte entspann, hielt Metternich einen Vortrag,
der Oestreichs Stellung zu der Sache beleuchtete. Lifts Pläne seien unausführ¬
bar. Jeder größere Staat habe sein eignes Handelssystem, kleinere angrenzende
Staaten könnten ein gemeinschaftliches verabreden. Das östreichische System
des geschlossenen Handelsstaates habe sich als ganz verwerflich gezeigt, doch
könne man es nur allmälig aufgeben. Schon jetzt könne früher ganz Verbotenes
gegen Zoll eingeführt werden, an einer den Transit erleichternden Verordnung
werde gearbeitet, der Zoll überhaupt solle herabgesetzt werden. Korne Oestreich
jetzt nicht viel zur Befriedigung der laut ausgesprochenen Wünsche thun, so
dürfe man doch über die selbst von den Zeitungen so viel besprochenen hiesigen
Berathungen wegen des Handels nicht gänzlich schweigen. Ueber den Antrag,
den freien Handel mit Lebensmitteln gleich auszusprechen, wolle er sich in nächster
Sitzung erklären. Im vierten Satze der Ausschußvorlage wünsche er statt „Er-
leichterung" der Flußschiffahrt „Freiheit" zu setzen. Das Letztere wurde gleich
zugestanden. Als Marschall dabei äußerte, der vierte Satz des Ausschußantrags
sei ein Rückschritt im Vergleich mit der Congreßacte, entspann sich darüber
zwischen ihm und Bernstorff ein lebhafter Wortwechsel.

Die Beziehung auf das Votum von Fntsch gab dem Streite neue Nahrung.
Ueber den ersten Punkt desselben schien man sich allenfalls einigen zu können,
den zweiten nahm Bernstorff beifällig auf, während Metternich erst noch Rück¬
sprache mit den betreffenden Behörden nehmen wollte, der dritte Punkt wurde
Ursache zu einer sehr entschiedenen Erklärung Bernstorffs und zu herbem Zwist
zwischen diesem und Marschall. Letzterer stellte den Satz auf, daß die Be-
schwerden über Verletzung der Congreßacte, namentlich in Beziehung auf die
Vorschriften wegen der Flußschiffahrt, an den Bundestag gebracht werden
könnten. Bernstorff dagegen erklärte, zum allgemeinen Erstaunen der Ver¬
sammlung, wie ein Gesandtschaftsbericht meldet, „daß Rechte, welche einzelne
Bundesglieder aus einer andern Quelle als der Bundesacte selbst, wie z. B.
aus der Congreßacte herleiteten, niemals Gegenstand der Entscheidung des
Bundes werden könnten. Hier ständen sich zwei Bundesglieder als Souveräne
europäischer Staaten gegenüber, die den Streit völkerrechtlich miteinander aus¬
zugleichen hätten und nicht vor der Bundesversammlung. Nie habe Preußen
die Bundesacte anders verstanden, nie werde es in eine -solche Beschränkung
seiner Souveränetät willigen und von dem Bunde Recht nehmen." „Ein solches
Glaubensbekenntniß des königlichen Cabinetsministers war im höchsten Grade
unerwartet. Man suchte das hier offenbar vorliegende Mißverständniß zu be¬
seitigen. Man bemerkte dem Grafen, daß, wenn sein Satz richtig wäre, Strel-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 24, 1865, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341801_283352/524>, abgerufen am 15.01.2025.