Die Grenzboten. Jg. 24, 1865, II. Semester. I. Band.Ich stieg vom Schlitten und fragte die Bauern nach der Ursache des Auf Was sollte ich bei so bewandten Umständen thun. Ich ging hinaus, um Ich stieg vom Schlitten und fragte die Bauern nach der Ursache des Auf Was sollte ich bei so bewandten Umständen thun. Ich ging hinaus, um <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0052" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/283405"/> <p xml:id="ID_123"> Ich stieg vom Schlitten und fragte die Bauern nach der Ursache des Auf<lb/> Haltens, wobei ich gleich merkte, daß sie angetrunken waren. Sie waren zwar<lb/> so höflich, nach ihrer Gewöhnung an ein demüthiges Auftreten jedem Besser-<lb/> gekleideten gegenüber, die Mütze zu ziehen, doch konnte ich nicht recht aus ihren<lb/> Absichten klug werden. Ein verworrenes Gerede erhob sich, sie hätten Befehl<lb/> hier (nämlich an der Grenze des tarnower Kreises) jeden festzunehmen; sie<lb/> wüßten nicht, was werden würde, sie warteten auf Militär; auch ihr Herr,<lb/> Gras Tyskiewicz. habe wegfahren wollen, sie hätten ihn aber nicht fortgelassen;<lb/> wenn der wegführe, wären sie alle unglücklich, denn er wäre ihr Vater u. f. w.<lb/> Von wem jener Befehl, Reisende festzunehmen, herrühre, konnte ich nicht er¬<lb/> fahren, noch muthmaßen, ob die Reden über den Grasen bäurische Verstellung<lb/> seien, oder ob sie wider Willen, auf höhere Anordnung, ihn festhielten. Auch<lb/> ging mich das nichts an, sobald ich nur weiter kam. Noch immer hatte ich<lb/> keine Ahnung, wie schlimm der Handel werden sollte, in den ich mit den<lb/> Bauern gerathen war. Unwirsch fragte ich sie, was zum Henker sie von mir<lb/> wollten, ich hätte mein Geschäft und wollte weiter fahren. Nun antworteten<lb/> sie bestimmter: „Hier muß gewartet werden, bis die ganze Gesellschaft heran¬<lb/> kommt, die jetzt im Walde ist. Es sind Boten nach Kolbuszow geschickt, um<lb/> sich zu erkundigen, was wir mit dem Grafen machen sollen." Ich ging nun<lb/> mit dem Juden Schlcijen, welcher in großer Angst war, in die Schenke, wo<lb/> wir den jüdischen Wirth Wolf Milion voll Furcht und Schrecken antrafen.<lb/> Auf meine Frage, was das alles zu bedeuten habe, konnte er mir nichts wei¬<lb/> ter sagen, als daß ein Herr Bilanski in der Nähe von Werynia den Tag vor¬<lb/> her von den Bauern todtgeschlagen und sein Leichnam aufgehängt sei; was<lb/> aber heute Abend noch geschehen würde, das könne nur Gott wissen, da von<lb/> den Bauern alles Schreckliche zu erwarten stände, zumal sie alle betrunken<lb/> wären. Der größte Haufe derselben habe jetzt eben den Grafen Tyskiewicz<lb/> zurück in seine Wohnung, die in der Nähe sei, geführt, und wolle nicht zu¬<lb/> lassen, daß derselbe mit Frau und Sohn nach Rzeszow fahre.</p><lb/> <p xml:id="ID_124" next="#ID_125"> Was sollte ich bei so bewandten Umständen thun. Ich ging hinaus, um<lb/> zu versuchen, ob mich die Bauern nach Rubrik würden zurückfahren lassen;<lb/> aber auch dies gestatteten sie nicht und hießen mich warten. Eben stand ich<lb/> noch vor der Thür und überlegte, ob ichs nicht versuchen sollte, schnell in den<lb/> Schlitten zu springen, der noch angespannt dastand, und in voller Carriere<lb/> davon zu fahren, als ich in der Richtung, wohin der Schlitten stand, ein wil¬<lb/> des Geschrei hörte, und in dem Augenblick auch schon um die letzten Häuser<lb/> des Dorfes eine Horde Bauern mit Stöcken und Dreschflegeln bewaffnet her¬<lb/> umkommen sah. Sobald die vordersten mich am Schlitten stehen sahen, moch¬<lb/> ten sie meine Absicht errathen und stürzten mit der Wildheit reißender Thiere<lb/> aus mich zu. Hatten die Bauern, die mich in Werynia zuerst aufgehalten,</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0052]
Ich stieg vom Schlitten und fragte die Bauern nach der Ursache des Auf
Haltens, wobei ich gleich merkte, daß sie angetrunken waren. Sie waren zwar
so höflich, nach ihrer Gewöhnung an ein demüthiges Auftreten jedem Besser-
gekleideten gegenüber, die Mütze zu ziehen, doch konnte ich nicht recht aus ihren
Absichten klug werden. Ein verworrenes Gerede erhob sich, sie hätten Befehl
hier (nämlich an der Grenze des tarnower Kreises) jeden festzunehmen; sie
wüßten nicht, was werden würde, sie warteten auf Militär; auch ihr Herr,
Gras Tyskiewicz. habe wegfahren wollen, sie hätten ihn aber nicht fortgelassen;
wenn der wegführe, wären sie alle unglücklich, denn er wäre ihr Vater u. f. w.
Von wem jener Befehl, Reisende festzunehmen, herrühre, konnte ich nicht er¬
fahren, noch muthmaßen, ob die Reden über den Grasen bäurische Verstellung
seien, oder ob sie wider Willen, auf höhere Anordnung, ihn festhielten. Auch
ging mich das nichts an, sobald ich nur weiter kam. Noch immer hatte ich
keine Ahnung, wie schlimm der Handel werden sollte, in den ich mit den
Bauern gerathen war. Unwirsch fragte ich sie, was zum Henker sie von mir
wollten, ich hätte mein Geschäft und wollte weiter fahren. Nun antworteten
sie bestimmter: „Hier muß gewartet werden, bis die ganze Gesellschaft heran¬
kommt, die jetzt im Walde ist. Es sind Boten nach Kolbuszow geschickt, um
sich zu erkundigen, was wir mit dem Grafen machen sollen." Ich ging nun
mit dem Juden Schlcijen, welcher in großer Angst war, in die Schenke, wo
wir den jüdischen Wirth Wolf Milion voll Furcht und Schrecken antrafen.
Auf meine Frage, was das alles zu bedeuten habe, konnte er mir nichts wei¬
ter sagen, als daß ein Herr Bilanski in der Nähe von Werynia den Tag vor¬
her von den Bauern todtgeschlagen und sein Leichnam aufgehängt sei; was
aber heute Abend noch geschehen würde, das könne nur Gott wissen, da von
den Bauern alles Schreckliche zu erwarten stände, zumal sie alle betrunken
wären. Der größte Haufe derselben habe jetzt eben den Grafen Tyskiewicz
zurück in seine Wohnung, die in der Nähe sei, geführt, und wolle nicht zu¬
lassen, daß derselbe mit Frau und Sohn nach Rzeszow fahre.
Was sollte ich bei so bewandten Umständen thun. Ich ging hinaus, um
zu versuchen, ob mich die Bauern nach Rubrik würden zurückfahren lassen;
aber auch dies gestatteten sie nicht und hießen mich warten. Eben stand ich
noch vor der Thür und überlegte, ob ichs nicht versuchen sollte, schnell in den
Schlitten zu springen, der noch angespannt dastand, und in voller Carriere
davon zu fahren, als ich in der Richtung, wohin der Schlitten stand, ein wil¬
des Geschrei hörte, und in dem Augenblick auch schon um die letzten Häuser
des Dorfes eine Horde Bauern mit Stöcken und Dreschflegeln bewaffnet her¬
umkommen sah. Sobald die vordersten mich am Schlitten stehen sahen, moch¬
ten sie meine Absicht errathen und stürzten mit der Wildheit reißender Thiere
aus mich zu. Hatten die Bauern, die mich in Werynia zuerst aufgehalten,
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