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Die Grenzboten. Jg. 24, 1865, II. Semester. I. Band.

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seitig behandelt werden; für manche Fragen fehlt hier entschieden die nöthige
Reife und was z. B. in Stuttgart über die Frauenarbeit gesprochen worden ist.
kann schwerlich den Anspruch erbeben, neue Wege gezeigt oder auch nur zu
nner richtigen Beurtheilung der vorhandenen Zustände beigetragen zu haben.
In sachlicher Beziehung also darf man sich keiner Ueberschätzung hingeben. Aber
auf der andern Seite ist es doch auch wieder von besonderem Interesse, die
selbstthätigen Regungen eines Standes, für welchen so viele Redner. Schrift-
steller und Agitatoren thätig sind, zu verfolgen. Und da ist es erfreulich zu
sagen, daß die günstigen Eindrücke weit überwiegen. Die Einsicht in die Volks,
wirtschaftlichen Grundbedingungen der Gesellschaft verbreitet sich in immer
weitere Kreise, die Ergebnisse der Theorie setzen sich um in praktische Institute,
die Organisation, welche sich die Vereine vor drei Jahren gegeben, ist eine ge¬
sunde, lebensfähige und bewegt sich im Allgemeinen in einem geordneten, wohl¬
bemessenen Bette. Die Gefahr von Verirrungen ist zur Zeit eine verschwindende
Segen die Vortheile einer parlamentarischen Selbsterziehung und Disciplin,
welche belebend und anregend auf die praktische Thätigkeit zurückwirkt.

Was am meisten charakteristisch ist und auch die Aufmerksamkeit der Aus-
länder besonders auf sich gezogen hat. ist das Institut deS Arbeitstags selbst.
In der That ist diese Einrichtung bis jetzt dem deutschen Genossenschaftswesen
allein eigen. Unstreitig sind wir in manchen Zweigen seiner praktischen Aus¬
bildung noch sehr zurück; was die Konsumvereine z. B. und besonders die Pro-
ductivgenossenschaften betrifft, sind wir von Engländern und Franzosen weit
Überflügelt, während unsre eigentliche Domäne bisher das Vorschuß, und Credit-
Wesen ist. Aber nirgends ist noch dieser Aufbau und Zusammenschluß der ein¬
zelnen Verbände, diese nationale Organisation versucht worden. Seltsam!
während sich unsrer politischen Einigung unübersteigliche Hindernisse in den
Reg legen, ist es nicht nur überall die Tendenz der Privatassociationen, sich
über den ganzen vaterländischen Boden zu verbreiten, sondern sie finden ihre
Befriedigung nur in einem gegliederten Verband, in einem einheitlichen Ab¬
fluß, ein Beweis dock wohl, daß es in der Nation nicht an den Elementen
Einheit fehlt und der Atomismus nicht das letzte Wort unsrer Geschichte ist.

Insofern wird man neben anderen Aeußerungen des Associationstriebs, in
welche sich zur Zeit der Einheitsdrang flüchtet, auch dem Arbeitertag eine ge¬
wisse nationale Bedeutung nicht absprechen können. Es ist nicht blos eine
Wanderversammlung, aus der die Angehörigen der verschiedenen Stämme sich
zusammenfinden, sondern es ist eine Organisation, welche ganz Deutschland um-
Die Unterschiede von Nord und Süd treten wohl nirgends weniger
^bor als auf diesen den materiellen Fragen gewidmeten Congressen. Oestreich
^Segen fehlt gänzlich. Auf wirthschaftlichem Gebiet, kann man sagen, ist Klem-
deutschland eine fertige Thatsache. Die.Arbeitervereine sind in diesem Sinn"


seitig behandelt werden; für manche Fragen fehlt hier entschieden die nöthige
Reife und was z. B. in Stuttgart über die Frauenarbeit gesprochen worden ist.
kann schwerlich den Anspruch erbeben, neue Wege gezeigt oder auch nur zu
nner richtigen Beurtheilung der vorhandenen Zustände beigetragen zu haben.
In sachlicher Beziehung also darf man sich keiner Ueberschätzung hingeben. Aber
auf der andern Seite ist es doch auch wieder von besonderem Interesse, die
selbstthätigen Regungen eines Standes, für welchen so viele Redner. Schrift-
steller und Agitatoren thätig sind, zu verfolgen. Und da ist es erfreulich zu
sagen, daß die günstigen Eindrücke weit überwiegen. Die Einsicht in die Volks,
wirtschaftlichen Grundbedingungen der Gesellschaft verbreitet sich in immer
weitere Kreise, die Ergebnisse der Theorie setzen sich um in praktische Institute,
die Organisation, welche sich die Vereine vor drei Jahren gegeben, ist eine ge¬
sunde, lebensfähige und bewegt sich im Allgemeinen in einem geordneten, wohl¬
bemessenen Bette. Die Gefahr von Verirrungen ist zur Zeit eine verschwindende
Segen die Vortheile einer parlamentarischen Selbsterziehung und Disciplin,
welche belebend und anregend auf die praktische Thätigkeit zurückwirkt.

Was am meisten charakteristisch ist und auch die Aufmerksamkeit der Aus-
länder besonders auf sich gezogen hat. ist das Institut deS Arbeitstags selbst.
In der That ist diese Einrichtung bis jetzt dem deutschen Genossenschaftswesen
allein eigen. Unstreitig sind wir in manchen Zweigen seiner praktischen Aus¬
bildung noch sehr zurück; was die Konsumvereine z. B. und besonders die Pro-
ductivgenossenschaften betrifft, sind wir von Engländern und Franzosen weit
Überflügelt, während unsre eigentliche Domäne bisher das Vorschuß, und Credit-
Wesen ist. Aber nirgends ist noch dieser Aufbau und Zusammenschluß der ein¬
zelnen Verbände, diese nationale Organisation versucht worden. Seltsam!
während sich unsrer politischen Einigung unübersteigliche Hindernisse in den
Reg legen, ist es nicht nur überall die Tendenz der Privatassociationen, sich
über den ganzen vaterländischen Boden zu verbreiten, sondern sie finden ihre
Befriedigung nur in einem gegliederten Verband, in einem einheitlichen Ab¬
fluß, ein Beweis dock wohl, daß es in der Nation nicht an den Elementen
Einheit fehlt und der Atomismus nicht das letzte Wort unsrer Geschichte ist.

Insofern wird man neben anderen Aeußerungen des Associationstriebs, in
welche sich zur Zeit der Einheitsdrang flüchtet, auch dem Arbeitertag eine ge¬
wisse nationale Bedeutung nicht absprechen können. Es ist nicht blos eine
Wanderversammlung, aus der die Angehörigen der verschiedenen Stämme sich
zusammenfinden, sondern es ist eine Organisation, welche ganz Deutschland um-
Die Unterschiede von Nord und Süd treten wohl nirgends weniger
^bor als auf diesen den materiellen Fragen gewidmeten Congressen. Oestreich
^Segen fehlt gänzlich. Auf wirthschaftlichem Gebiet, kann man sagen, ist Klem-
deutschland eine fertige Thatsache. Die.Arbeitervereine sind in diesem Sinn«


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[0499] seitig behandelt werden; für manche Fragen fehlt hier entschieden die nöthige Reife und was z. B. in Stuttgart über die Frauenarbeit gesprochen worden ist. kann schwerlich den Anspruch erbeben, neue Wege gezeigt oder auch nur zu nner richtigen Beurtheilung der vorhandenen Zustände beigetragen zu haben. In sachlicher Beziehung also darf man sich keiner Ueberschätzung hingeben. Aber auf der andern Seite ist es doch auch wieder von besonderem Interesse, die selbstthätigen Regungen eines Standes, für welchen so viele Redner. Schrift- steller und Agitatoren thätig sind, zu verfolgen. Und da ist es erfreulich zu sagen, daß die günstigen Eindrücke weit überwiegen. Die Einsicht in die Volks, wirtschaftlichen Grundbedingungen der Gesellschaft verbreitet sich in immer weitere Kreise, die Ergebnisse der Theorie setzen sich um in praktische Institute, die Organisation, welche sich die Vereine vor drei Jahren gegeben, ist eine ge¬ sunde, lebensfähige und bewegt sich im Allgemeinen in einem geordneten, wohl¬ bemessenen Bette. Die Gefahr von Verirrungen ist zur Zeit eine verschwindende Segen die Vortheile einer parlamentarischen Selbsterziehung und Disciplin, welche belebend und anregend auf die praktische Thätigkeit zurückwirkt. Was am meisten charakteristisch ist und auch die Aufmerksamkeit der Aus- länder besonders auf sich gezogen hat. ist das Institut deS Arbeitstags selbst. In der That ist diese Einrichtung bis jetzt dem deutschen Genossenschaftswesen allein eigen. Unstreitig sind wir in manchen Zweigen seiner praktischen Aus¬ bildung noch sehr zurück; was die Konsumvereine z. B. und besonders die Pro- ductivgenossenschaften betrifft, sind wir von Engländern und Franzosen weit Überflügelt, während unsre eigentliche Domäne bisher das Vorschuß, und Credit- Wesen ist. Aber nirgends ist noch dieser Aufbau und Zusammenschluß der ein¬ zelnen Verbände, diese nationale Organisation versucht worden. Seltsam! während sich unsrer politischen Einigung unübersteigliche Hindernisse in den Reg legen, ist es nicht nur überall die Tendenz der Privatassociationen, sich über den ganzen vaterländischen Boden zu verbreiten, sondern sie finden ihre Befriedigung nur in einem gegliederten Verband, in einem einheitlichen Ab¬ fluß, ein Beweis dock wohl, daß es in der Nation nicht an den Elementen Einheit fehlt und der Atomismus nicht das letzte Wort unsrer Geschichte ist. Insofern wird man neben anderen Aeußerungen des Associationstriebs, in welche sich zur Zeit der Einheitsdrang flüchtet, auch dem Arbeitertag eine ge¬ wisse nationale Bedeutung nicht absprechen können. Es ist nicht blos eine Wanderversammlung, aus der die Angehörigen der verschiedenen Stämme sich zusammenfinden, sondern es ist eine Organisation, welche ganz Deutschland um- Die Unterschiede von Nord und Süd treten wohl nirgends weniger ^bor als auf diesen den materiellen Fragen gewidmeten Congressen. Oestreich ^Segen fehlt gänzlich. Auf wirthschaftlichem Gebiet, kann man sagen, ist Klem- deutschland eine fertige Thatsache. Die.Arbeitervereine sind in diesem Sinn«

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 24, 1865, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341801_283352/499>, abgerufen am 15.01.2025.