Die Grenzboten. Jg. 24, 1865, II. Semester. I. Band.oder der innigsten Ueberzeugung von der Einheit des menschlichen Willens und Das Prophetenthum bildet in der israelitischen Religion die fortbildende Geschichtlich treten uns die Propheten zuerst deutlich seit der Zeit Sa- Grenzboten III. 18SS. 68
oder der innigsten Ueberzeugung von der Einheit des menschlichen Willens und Das Prophetenthum bildet in der israelitischen Religion die fortbildende Geschichtlich treten uns die Propheten zuerst deutlich seit der Zeit Sa- Grenzboten III. 18SS. 68
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oder der innigsten Ueberzeugung von der Einheit des menschlichen Willens und
Denkens mit dem göttlichen. Diese ganze Anschauung von der unmittelbaren
Erregung des Menschen durch Gott hat ihre gute Berechtigung; sie ist sub.
jectiv durchaus wahr, und sobald man nur das Uebernatürliche von der alten
Anschauungsform abstreift, läßt sich ihr auch eine gewisse obj ective Wahrheit
nicht abstreiten. Nur der ist ein Prophet, welcher von sittlich-religiösen Ge¬
danken und Empfindungen bewegt ist und im Dienst der Religion Israels
steht; mit dem Verzückten oder dem Wahrsager hat er nur in Äußerlichkeiten
Gemeinschaft.
Das Prophetenthum bildet in der israelitischen Religion die fortbildende
Kraft gegenüber dem zur Starrheit und Aeußerlichkeit geneigten Priesterthum
und Gesetzeswesen. In ihm tritt der Subjcctivismus belebend und zum Fort-
schritt treibend hervor, während die großen, einmal gegebenen Ideen der Reli¬
gion diesen selbst vor Ausschreitungen bewahren. Diese Ausbildung der Religion
durch das Prophetenthum ist uns freilich nicht mehr ganz deutlich, weil eben
die Berichte über den ältern Zustand der Religion (namentlich über Mose) selbst
zum größten Theil vom prophetischen Standpunkt aus geschrieben sind, so daß
die höhere Auffassung des Prophetenthums in die alte rohere Zeit übertragen
wird. So ist es z. B. wahrscheinlich, daß das gänzliche Verbot des Bilder-
dienstes erst eine Frucht der durch die Propheten bedingten höheren Entwicklung
ist, während unsere prophetischen Berichterstatter dasselbe schon in die Zeit des
Mose legen. Dieses Zurückschieben der prophetischen Anschauung auf die ältere
Zeit drückt sich dann darin aus, daß nicht blos ein Mose, eine Debora und
Mirjam als Propheten angesehen werden, sondern daß man selbst die mythischen
Stammväter des Volks zu Propheten macht (1 Mos. 20, 7; Ps. 105, Is).
Geschichtlich treten uns die Propheten zuerst deutlich seit der Zeit Sa-
wuels entgegen. Freilich hat es sicher schon seit alter Zeit etwas Analoges
Segeben, aber seit jener, auch für die äußere Geschichte des Volkes so wichtigen
Periode bemerken wir sie in größerer Anzahl, und sie werden für die geistige
Entwicklung wichtiger. Daß Samuel ganze Schaaren von Propheten um sich
^t. wird uns von verschiedenen Quellen berichtet (1 Sam. 10, S ff.; 19,18 ff,),
und das alte Sprichwort: „ist auch Saul unter den Propheten?" scheint uns
das Vorhandensein von Prophetengenossenschaften zu verbürgen, obwohl schon
unsre Quellen die geschichtliche Veranlassung dieses Sprichworts nicht mehr
sicher kennen und sie verschiedenartig erzählen. Noch in der Geschichte Elias
und Elisas treten Schaaren von „Prophetensöhnen" auf. Es liegt sehr nahe,
^er an eine Art klösterlichen Zusammenlebens mit einem gewissen Unterricht
d°r Jüngern zu denken. Durch nichts ist uns übrigens die in neuerer Zeit
°se angenommene Meinung beglaubigt, daß diese „Prophetenschulen", über deren
Einrichtung wir überhaupt nichts wissen, von Samuel gestiftet seien. Für das
Grenzboten III. 18SS. 68
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