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Die Grenzboten. Jg. 24, 1865, II. Semester. I. Band.

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ersten Benennung zu Grunde liegt, ist die, daß der Begeisterte der Dolmetscher
Gottes, der Jnspirirte ist, durch dessen Vermittlung Gott zu den Menschen redet.
Diese Anschauung drückt sich 2 Mos. 7,1 sehr naiv in den Worten Gottes an
Mose aus, nach denen dieser als der geistige Leiter dem König Pharao gegen¬
über den Gott, sein redegewandter Bruder aber den "Radi" desselben abgeben
soll; für "Radi" steht in der Parallelstelle 4. 16 (aus einer anderen Quelle)
"Mund". Diese Vorstellung wird auch durch den in alle europäischen Sprachen
übergegangenen Ausdruck "?i-opnetös" wiedergegeben, welchen die alten grie¬
chischen Uebersetzer für das hebräische "Radi" setzen. Denn "VropKötss" heißt
nicht der "Vorhersager", sondern der, welcher etwas (Verborgenes, ihm allein
Mitgetheiltes) aussagt und erklärt. Die andern beiden Namen, von denen der
erstere 1 Sam. 9, 9 ausdrücklich als der in alten Zeiten statt des später üblicheren
Radi gebräuchliche bezeichnet wird, drücken die Vorstellung eines Menschen aus,
welcher durch göttliche Erleuchtung das sehen kann, was den Andern verborgen
bleibt. Sonstige Bezeichnungen dieser Männer sind mehr vereinzelt und werden
auch anderweitig verwandt, wie z. B. der Name "Mann Gottes". Wir halten
uns an den herrschenden Sprachgebrauch und geben ihnen den Namen "Pro¬
phet", wie auch das entsprechende "Radi" im alten Testament durchaus die
gewöhnliche Benennung ist.

Die Propheten sind seit alter Zeit vielfach als todte Werkzeuge aufgefaßt, welche
die göttliche Eingebung aussprechen ohne eigenes menschliches Mitwirken. Diese
supranaturalistische Ansicht konnte sich begreiflicherweise leicht sehr grob aus¬
prägen, und wie schon im grauen Alterthum ein Prophet über die verlorenen
Eselinnen deS KiS Auskunft geben soll (1 Sam. 9), so hat man mock bis in
die neuste Zeit die Auffassung der Propheten als bloße Wahrsager vertheidigt.
Aber diese grobe einseitige Ansicht ist in der Zeit des lebendigen Propheten-
thums doch nicht die der edelsten und erleuchtetsten Geister gewesen; wüßten
wir wirklich von den Propheten nichts, als daß sie die Zukunft und sonstige
dem Menschen natürlicherweise unbekannte Dinge genau entschleiert hätten,
dann könnten wir sie nur mit den Wahrsagern anderer Völker auf eine Stufe
stellen, und sie hätten für uns gar keinen höheren Werth.

Die Bedeutung des israelitischen Prvphctenthums liegt für uns in seinem
sittlich-religiösen Geist. Es ist weit wichtiger als Ausdruck des göttlichen
Willens, der ethischen Forderungen, denn als Enthüllung der Geheimnisse.
Auch bei dieser ist der Prophet immer vom sittlich-religiösen Geist belebt, auch
sie soll nur als Hebel für die Verbreitung dieses Geistes wirken.

Der Prophet fühlt sich unmittelbar von Gott berührt und spricht in seinem
Namen, daher oft geradezu von Gott in der ersten Person; die menschliche
Persönlichkeit tritt dann bei ihm ganz zurück, aber nur um bald wieder deutlich
hervorzutreten; denn diese Form ist nur ein Ausdruck der höchsten Begeisterung


ersten Benennung zu Grunde liegt, ist die, daß der Begeisterte der Dolmetscher
Gottes, der Jnspirirte ist, durch dessen Vermittlung Gott zu den Menschen redet.
Diese Anschauung drückt sich 2 Mos. 7,1 sehr naiv in den Worten Gottes an
Mose aus, nach denen dieser als der geistige Leiter dem König Pharao gegen¬
über den Gott, sein redegewandter Bruder aber den »Radi" desselben abgeben
soll; für „Radi" steht in der Parallelstelle 4. 16 (aus einer anderen Quelle)
„Mund". Diese Vorstellung wird auch durch den in alle europäischen Sprachen
übergegangenen Ausdruck „?i-opnetös" wiedergegeben, welchen die alten grie¬
chischen Uebersetzer für das hebräische „Radi" setzen. Denn „VropKötss" heißt
nicht der „Vorhersager", sondern der, welcher etwas (Verborgenes, ihm allein
Mitgetheiltes) aussagt und erklärt. Die andern beiden Namen, von denen der
erstere 1 Sam. 9, 9 ausdrücklich als der in alten Zeiten statt des später üblicheren
Radi gebräuchliche bezeichnet wird, drücken die Vorstellung eines Menschen aus,
welcher durch göttliche Erleuchtung das sehen kann, was den Andern verborgen
bleibt. Sonstige Bezeichnungen dieser Männer sind mehr vereinzelt und werden
auch anderweitig verwandt, wie z. B. der Name „Mann Gottes". Wir halten
uns an den herrschenden Sprachgebrauch und geben ihnen den Namen „Pro¬
phet", wie auch das entsprechende „Radi" im alten Testament durchaus die
gewöhnliche Benennung ist.

Die Propheten sind seit alter Zeit vielfach als todte Werkzeuge aufgefaßt, welche
die göttliche Eingebung aussprechen ohne eigenes menschliches Mitwirken. Diese
supranaturalistische Ansicht konnte sich begreiflicherweise leicht sehr grob aus¬
prägen, und wie schon im grauen Alterthum ein Prophet über die verlorenen
Eselinnen deS KiS Auskunft geben soll (1 Sam. 9), so hat man mock bis in
die neuste Zeit die Auffassung der Propheten als bloße Wahrsager vertheidigt.
Aber diese grobe einseitige Ansicht ist in der Zeit des lebendigen Propheten-
thums doch nicht die der edelsten und erleuchtetsten Geister gewesen; wüßten
wir wirklich von den Propheten nichts, als daß sie die Zukunft und sonstige
dem Menschen natürlicherweise unbekannte Dinge genau entschleiert hätten,
dann könnten wir sie nur mit den Wahrsagern anderer Völker auf eine Stufe
stellen, und sie hätten für uns gar keinen höheren Werth.

Die Bedeutung des israelitischen Prvphctenthums liegt für uns in seinem
sittlich-religiösen Geist. Es ist weit wichtiger als Ausdruck des göttlichen
Willens, der ethischen Forderungen, denn als Enthüllung der Geheimnisse.
Auch bei dieser ist der Prophet immer vom sittlich-religiösen Geist belebt, auch
sie soll nur als Hebel für die Verbreitung dieses Geistes wirken.

Der Prophet fühlt sich unmittelbar von Gott berührt und spricht in seinem
Namen, daher oft geradezu von Gott in der ersten Person; die menschliche
Persönlichkeit tritt dann bei ihm ganz zurück, aber nur um bald wieder deutlich
hervorzutreten; denn diese Form ist nur ein Ausdruck der höchsten Begeisterung


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 24, 1865, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341801_283352/442>, abgerufen am 15.01.2025.