Die Grenzboten. Jg. 24, 1865, II. Semester. I. Band.schauung, die in Kleinstaaten eben ihrer Kleinheit halber, bei welcher das Land Sehr ^richtig, das neunzehnte Jahrhundert will nicht gestatten, daß ein Sou¬ Und die Gegenwart? Man thut klug, sie sich nicht allzuweit vorgeschritten schauung, die in Kleinstaaten eben ihrer Kleinheit halber, bei welcher das Land Sehr ^richtig, das neunzehnte Jahrhundert will nicht gestatten, daß ein Sou¬ Und die Gegenwart? Man thut klug, sie sich nicht allzuweit vorgeschritten <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0428" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/283781"/> <p xml:id="ID_1212" prev="#ID_1211"> schauung, die in Kleinstaaten eben ihrer Kleinheit halber, bei welcher das Land<lb/> als großes Rittergut erscheint, das Volk nicht imponirt, fast naturgemäß, min¬<lb/> destens sehr erklärlich ist.</p><lb/> <p xml:id="ID_1213"> Sehr ^richtig, das neunzehnte Jahrhundert will nicht gestatten, daß ein Sou¬<lb/> verän seiner unklugen Meinung über das Verhältniß von Fürst und Volk ganz<lb/> in dem Stile, ganz so direct und ungescheut Folge giebt wie früher. Zwischen<lb/> ihm und dem achtzehnten liegt die französische Revolution mit ihren Lehren,<lb/> die auch an den Höfen nicht völlig unbeherzigt vorübergegangen sind. Allein<lb/> noch die Jahre 1806 bis 1813 sahen die Söhne thun, was die Väter gethan,<lb/> als sie zu rein persönlichen Zwecken, aus nur egoistischen Gründen einer fremden<lb/> Macht die Kinder ihres Landes zur Verfügung gestellt. Der Handel hatte jetzt<lb/> freilich eine etwas andere Gestalt, die auf den ersten Blick nicht so unreinlich<lb/> aussah als die des früheren: England hatte die Menschenlieferungen in Thalern<lb/> honorirt, Frankreich gab statt deren Fetzen deutscher Länderbeute und Königs¬<lb/> titel, die Schlachtbank hatte einst Amerika geheißen, jetzt lag sie näher, diesseit<lb/> des Meeres, in Oestreich, Preußen und Rußland, der Kleinhandel mit dem<lb/> Leben der Unterthanen war vornehmer, war Großhandel geworden, endlich war<lb/> jetzt bisweilen einiger Zwang im Hintergrunde, während die Speculation im<lb/> achtzehnten Jahrhundert eine völlig-'freiwillige gewesen war — das ist aber<lb/> auch der ganze Unterschied.</p><lb/> <p xml:id="ID_1214" next="#ID_1215"> Und die Gegenwart? Man thut klug, sie sich nicht allzuweit vorgeschritten<lb/> zu denken. Es ist wahr, wir tragen keine Zöpfe und Haarbeutel mehr, wir<lb/> haben Verfassungen, leidlich viel Preßfreiheit, Vereine, die gesinnungstüchtige<lb/> Resolutionen fassen dürfen, wir sehen deutsche Tricoloren wehen, sogar auf klein¬<lb/> staatlichen Fürstenschlössern. Allein in der Mehrzahl dieser Schlösser — darauf<lb/> können wir uns verlassen — wohnt, humaner, verschämter und ihrer Sache un¬<lb/> gewisser geworden zwar, im Kern und Wesen aber unverändert, noch diesen Tag<lb/> die alte Ueberzeugung, nach welcher das Interesse des Souveräns und seiner<lb/> Dynastie das oberste Gesetz für das Dichten und Trachten der Regierung zu<lb/> sein hat, und wenn wir wirklich annehmen dürfen, daß in Zukunft Handels¬<lb/> geschäfte ähnlicher Art, wie die deutscher Fürsten mit den englischen Staats¬<lb/> sekretären von 1773 und mit Napoleon unmöglich sein werden, so liegen die<lb/> Hauptgründe der Undenkbarkeit ohne Zweifel anderswo, als im Bereich der<lb/> Kleinstaaten und am wenigsten in der Hofatmosphäre derselben. Die kleinen<lb/> deutschen Fürsten müssen wegen ihrer Ausnahmestellung sein, was sie waren.<lb/> Sie können nicht wohl anders, selbst wenn sie wollten. Was vor hundert<lb/> Jahren von ihnen galt, gilt daher im Wesentlichen noch heute von ihnen. Sie<lb/> waren damals unbeschränkt, und sie sind jetzt einigermaßen beschränkt durch den<lb/> Volkswillen. Die Probe freilich, wie stark die Schranke ist, muß erst noch kommen,<lb/> zum Glück aber hat die deutsche Geschichte inzwischen noch ein anderes Correctiv</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0428]
schauung, die in Kleinstaaten eben ihrer Kleinheit halber, bei welcher das Land
als großes Rittergut erscheint, das Volk nicht imponirt, fast naturgemäß, min¬
destens sehr erklärlich ist.
Sehr ^richtig, das neunzehnte Jahrhundert will nicht gestatten, daß ein Sou¬
verän seiner unklugen Meinung über das Verhältniß von Fürst und Volk ganz
in dem Stile, ganz so direct und ungescheut Folge giebt wie früher. Zwischen
ihm und dem achtzehnten liegt die französische Revolution mit ihren Lehren,
die auch an den Höfen nicht völlig unbeherzigt vorübergegangen sind. Allein
noch die Jahre 1806 bis 1813 sahen die Söhne thun, was die Väter gethan,
als sie zu rein persönlichen Zwecken, aus nur egoistischen Gründen einer fremden
Macht die Kinder ihres Landes zur Verfügung gestellt. Der Handel hatte jetzt
freilich eine etwas andere Gestalt, die auf den ersten Blick nicht so unreinlich
aussah als die des früheren: England hatte die Menschenlieferungen in Thalern
honorirt, Frankreich gab statt deren Fetzen deutscher Länderbeute und Königs¬
titel, die Schlachtbank hatte einst Amerika geheißen, jetzt lag sie näher, diesseit
des Meeres, in Oestreich, Preußen und Rußland, der Kleinhandel mit dem
Leben der Unterthanen war vornehmer, war Großhandel geworden, endlich war
jetzt bisweilen einiger Zwang im Hintergrunde, während die Speculation im
achtzehnten Jahrhundert eine völlig-'freiwillige gewesen war — das ist aber
auch der ganze Unterschied.
Und die Gegenwart? Man thut klug, sie sich nicht allzuweit vorgeschritten
zu denken. Es ist wahr, wir tragen keine Zöpfe und Haarbeutel mehr, wir
haben Verfassungen, leidlich viel Preßfreiheit, Vereine, die gesinnungstüchtige
Resolutionen fassen dürfen, wir sehen deutsche Tricoloren wehen, sogar auf klein¬
staatlichen Fürstenschlössern. Allein in der Mehrzahl dieser Schlösser — darauf
können wir uns verlassen — wohnt, humaner, verschämter und ihrer Sache un¬
gewisser geworden zwar, im Kern und Wesen aber unverändert, noch diesen Tag
die alte Ueberzeugung, nach welcher das Interesse des Souveräns und seiner
Dynastie das oberste Gesetz für das Dichten und Trachten der Regierung zu
sein hat, und wenn wir wirklich annehmen dürfen, daß in Zukunft Handels¬
geschäfte ähnlicher Art, wie die deutscher Fürsten mit den englischen Staats¬
sekretären von 1773 und mit Napoleon unmöglich sein werden, so liegen die
Hauptgründe der Undenkbarkeit ohne Zweifel anderswo, als im Bereich der
Kleinstaaten und am wenigsten in der Hofatmosphäre derselben. Die kleinen
deutschen Fürsten müssen wegen ihrer Ausnahmestellung sein, was sie waren.
Sie können nicht wohl anders, selbst wenn sie wollten. Was vor hundert
Jahren von ihnen galt, gilt daher im Wesentlichen noch heute von ihnen. Sie
waren damals unbeschränkt, und sie sind jetzt einigermaßen beschränkt durch den
Volkswillen. Die Probe freilich, wie stark die Schranke ist, muß erst noch kommen,
zum Glück aber hat die deutsche Geschichte inzwischen noch ein anderes Correctiv
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