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Die Grenzboten. Jg. 24, 1865, II. Semester. I. Band.

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artigsten Charaktere in den Kreis innigsten Verkehrs zu ziehen wußte, aufs
glänzendste aus.

Wir können nicht umhin, an dieser Stelle noch mit einigen Worten auf
die Briefe an Kergorlay zurückzukommen. Tocqueville war mit Ludwig von
Kergoriay durch die Bande der Verwandtschaft und Jugendfrcundschaft ebenso
nahe verbunden, als durch die Politik von ihm getrennt. Der Gegensatz war
so schroff, daß eine Discussion der Tagespolitik unfehlbar zu einer Erkaltung,
wenn nicht zu einem Bruch ihrer Freundschaft geführt haben würde. Grade
diese eigenthümliche Situation verleiht der ununterbrochen fortgesetzten Cor-
respondenz einen besonderen Neiz. Tocqueville bespricht nicht nur seine persön¬
lichen Verhältnisse aufs offenste mit ihm. Kergoriay ist in allen Dingen außer
in der Politik sein intimster Vertrauter; er hält ihn unausgesetzt in Kenntniß
über den Gang seiner Studien, fordert seinen Rath in wichtigen und unwich¬
tigen Dingen; sein Urthel! über seine schriftstellerischen Leistungen gilt ihm mehr
als das jedes Andern. Aber auch auf die Verhältnisse Kcrgorlays geht er mit
warmer Theilnahme ein. Vor allem sucht er den offenbar sehr begabten und
gebildeten, aber, wie es scheint, zu energischer, auf ein bestimmtes Ziel gerichteter
Arbeit wenig disponirten Freund dahin zu bringen, seine Studien zu concentriren
und literarisch zu schaffen. Man bedauert sehr, daß die Briefe Kergorlays
nicht mitgetheilt sind, indessen gewinnen wir von der jedenfalls anziehenden
Persönlichkeit desselben schon aus Tocquevilles Briefen ein sehr lebendiges Bild.
-- Der eine Punkt aber, der sie trennt, wird unerwähnt gelassen; Tocqueville
berührt den Gegensatz nur einige Male, um die Besorgniß des Freundes dar¬
über zu beruhigen, daß derselbe jemals auf ihre Freundschaft einen ungünstigen
Einfluß gewinnen könnte, und die gleichen beruhigenden Versicherungen von
Seiten Kergorlays hervorzurufen. Gewiß ist diese Correspondenz eines der
merkwürdigsten Beispiele, wie bei der systematischen Zurückhaltung über einen
Gegenstand, der bei dem Einen der Mittelpunkt der ganzen Mannesthätigkeit,
bei dem Andern jedenfalls ein voll in<z wirgöro war, eine Jugendfreundschaft
nicht nur äußerlich fortbestehen, sondern im Laufe der Jahre innerlich vertieft
in stets gleicher Festigkeit sich erhalten und in einer immer reicheren Fülle des
Seelenaustausches sich entfalten konnte.

Wenn die oben geschilderte Leichtigkeit, mit der Tocqueville mit den ver¬
schiedenartigsten Persönlichkeiten in nahe und oft innige Verbindungen trat,
dein Deutschen etwas fremdartig erscheinen mag, so wird man um so angeneh¬
mer berührt von der Treue und Festigkeit, mit der er jede eingegangene Ver¬
bindung hegt und pflegt. Ueberaus wohlthuend wirkt auch auf den deutschen
Leser die Innigkeit, die unter den geistreichen Complimenten, den vielen an¬
muthigen Wendungen und oft wiederholten Freundschaftsversicherungen, die dein
deutschen Wesen widerstreben, wie es sich in den letzten fünfzig Jahren gestaltet


artigsten Charaktere in den Kreis innigsten Verkehrs zu ziehen wußte, aufs
glänzendste aus.

Wir können nicht umhin, an dieser Stelle noch mit einigen Worten auf
die Briefe an Kergorlay zurückzukommen. Tocqueville war mit Ludwig von
Kergoriay durch die Bande der Verwandtschaft und Jugendfrcundschaft ebenso
nahe verbunden, als durch die Politik von ihm getrennt. Der Gegensatz war
so schroff, daß eine Discussion der Tagespolitik unfehlbar zu einer Erkaltung,
wenn nicht zu einem Bruch ihrer Freundschaft geführt haben würde. Grade
diese eigenthümliche Situation verleiht der ununterbrochen fortgesetzten Cor-
respondenz einen besonderen Neiz. Tocqueville bespricht nicht nur seine persön¬
lichen Verhältnisse aufs offenste mit ihm. Kergoriay ist in allen Dingen außer
in der Politik sein intimster Vertrauter; er hält ihn unausgesetzt in Kenntniß
über den Gang seiner Studien, fordert seinen Rath in wichtigen und unwich¬
tigen Dingen; sein Urthel! über seine schriftstellerischen Leistungen gilt ihm mehr
als das jedes Andern. Aber auch auf die Verhältnisse Kcrgorlays geht er mit
warmer Theilnahme ein. Vor allem sucht er den offenbar sehr begabten und
gebildeten, aber, wie es scheint, zu energischer, auf ein bestimmtes Ziel gerichteter
Arbeit wenig disponirten Freund dahin zu bringen, seine Studien zu concentriren
und literarisch zu schaffen. Man bedauert sehr, daß die Briefe Kergorlays
nicht mitgetheilt sind, indessen gewinnen wir von der jedenfalls anziehenden
Persönlichkeit desselben schon aus Tocquevilles Briefen ein sehr lebendiges Bild.
— Der eine Punkt aber, der sie trennt, wird unerwähnt gelassen; Tocqueville
berührt den Gegensatz nur einige Male, um die Besorgniß des Freundes dar¬
über zu beruhigen, daß derselbe jemals auf ihre Freundschaft einen ungünstigen
Einfluß gewinnen könnte, und die gleichen beruhigenden Versicherungen von
Seiten Kergorlays hervorzurufen. Gewiß ist diese Correspondenz eines der
merkwürdigsten Beispiele, wie bei der systematischen Zurückhaltung über einen
Gegenstand, der bei dem Einen der Mittelpunkt der ganzen Mannesthätigkeit,
bei dem Andern jedenfalls ein voll in<z wirgöro war, eine Jugendfreundschaft
nicht nur äußerlich fortbestehen, sondern im Laufe der Jahre innerlich vertieft
in stets gleicher Festigkeit sich erhalten und in einer immer reicheren Fülle des
Seelenaustausches sich entfalten konnte.

Wenn die oben geschilderte Leichtigkeit, mit der Tocqueville mit den ver¬
schiedenartigsten Persönlichkeiten in nahe und oft innige Verbindungen trat,
dein Deutschen etwas fremdartig erscheinen mag, so wird man um so angeneh¬
mer berührt von der Treue und Festigkeit, mit der er jede eingegangene Ver¬
bindung hegt und pflegt. Ueberaus wohlthuend wirkt auch auf den deutschen
Leser die Innigkeit, die unter den geistreichen Complimenten, den vielen an¬
muthigen Wendungen und oft wiederholten Freundschaftsversicherungen, die dein
deutschen Wesen widerstreben, wie es sich in den letzten fünfzig Jahren gestaltet


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[0398] artigsten Charaktere in den Kreis innigsten Verkehrs zu ziehen wußte, aufs glänzendste aus. Wir können nicht umhin, an dieser Stelle noch mit einigen Worten auf die Briefe an Kergorlay zurückzukommen. Tocqueville war mit Ludwig von Kergoriay durch die Bande der Verwandtschaft und Jugendfrcundschaft ebenso nahe verbunden, als durch die Politik von ihm getrennt. Der Gegensatz war so schroff, daß eine Discussion der Tagespolitik unfehlbar zu einer Erkaltung, wenn nicht zu einem Bruch ihrer Freundschaft geführt haben würde. Grade diese eigenthümliche Situation verleiht der ununterbrochen fortgesetzten Cor- respondenz einen besonderen Neiz. Tocqueville bespricht nicht nur seine persön¬ lichen Verhältnisse aufs offenste mit ihm. Kergoriay ist in allen Dingen außer in der Politik sein intimster Vertrauter; er hält ihn unausgesetzt in Kenntniß über den Gang seiner Studien, fordert seinen Rath in wichtigen und unwich¬ tigen Dingen; sein Urthel! über seine schriftstellerischen Leistungen gilt ihm mehr als das jedes Andern. Aber auch auf die Verhältnisse Kcrgorlays geht er mit warmer Theilnahme ein. Vor allem sucht er den offenbar sehr begabten und gebildeten, aber, wie es scheint, zu energischer, auf ein bestimmtes Ziel gerichteter Arbeit wenig disponirten Freund dahin zu bringen, seine Studien zu concentriren und literarisch zu schaffen. Man bedauert sehr, daß die Briefe Kergorlays nicht mitgetheilt sind, indessen gewinnen wir von der jedenfalls anziehenden Persönlichkeit desselben schon aus Tocquevilles Briefen ein sehr lebendiges Bild. — Der eine Punkt aber, der sie trennt, wird unerwähnt gelassen; Tocqueville berührt den Gegensatz nur einige Male, um die Besorgniß des Freundes dar¬ über zu beruhigen, daß derselbe jemals auf ihre Freundschaft einen ungünstigen Einfluß gewinnen könnte, und die gleichen beruhigenden Versicherungen von Seiten Kergorlays hervorzurufen. Gewiß ist diese Correspondenz eines der merkwürdigsten Beispiele, wie bei der systematischen Zurückhaltung über einen Gegenstand, der bei dem Einen der Mittelpunkt der ganzen Mannesthätigkeit, bei dem Andern jedenfalls ein voll in<z wirgöro war, eine Jugendfreundschaft nicht nur äußerlich fortbestehen, sondern im Laufe der Jahre innerlich vertieft in stets gleicher Festigkeit sich erhalten und in einer immer reicheren Fülle des Seelenaustausches sich entfalten konnte. Wenn die oben geschilderte Leichtigkeit, mit der Tocqueville mit den ver¬ schiedenartigsten Persönlichkeiten in nahe und oft innige Verbindungen trat, dein Deutschen etwas fremdartig erscheinen mag, so wird man um so angeneh¬ mer berührt von der Treue und Festigkeit, mit der er jede eingegangene Ver¬ bindung hegt und pflegt. Ueberaus wohlthuend wirkt auch auf den deutschen Leser die Innigkeit, die unter den geistreichen Complimenten, den vielen an¬ muthigen Wendungen und oft wiederholten Freundschaftsversicherungen, die dein deutschen Wesen widerstreben, wie es sich in den letzten fünfzig Jahren gestaltet

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 24, 1865, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341801_283352/398>, abgerufen am 15.01.2025.