Die Grenzboten. Jg. 24, 1865, II. Semester. I. Band.den Regierenden zu Gebote stellt, genöthigt sieht. Alle Kräfte drängen sich Die klare Erkenntniß der Bedingungen, unter denen allein, bei der Ein¬ den Regierenden zu Gebote stellt, genöthigt sieht. Alle Kräfte drängen sich Die klare Erkenntniß der Bedingungen, unter denen allein, bei der Ein¬ <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0386" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/283739"/> <p xml:id="ID_1116" prev="#ID_1115"> den Regierenden zu Gebote stellt, genöthigt sieht. Alle Kräfte drängen sich<lb/> unausgesetzt nach dem Mittelpunkt des Staates, da nur die Staatsgewalt im<lb/> Stande ist, ihrer Thätigkeit ein Feld anzuweisen. Vom Centrum aus laufen<lb/> die Fäden der straffster Verwaltung in jedes Departement, in jede Gemeinde.<lb/> Jede Gewalt, die durch einen kühnen Streich in den Straßen der Hauptstadt<lb/> die Regierung besiegt, beherrscht sofort den ganzen ungeheuren Verwaltungs¬<lb/> apparat, wie er vollkommener und wirksamer schwerlich erdacht werden kann.<lb/> Ein glücklicher Straßenkampf in Paris entscheidet über das Schicksal des Reiches.<lb/> Es ist daher durchaus nicht zu verwundern, wenn die Leichtigkeit, durch eine<lb/> Ueberrumpelung die Staatsgewalt zu stürzen, allen Oppositionen eine revolu¬<lb/> tionäre Tendenz eingepflanzt und den Aufstand zu einem regelmäßigen Factor<lb/> der staatlichen Entwickelung gemacht hat. Wie aber die Fluth rasch und un¬<lb/> erwartet, überwältigend eintritt, so auch die Ebbe. Die fieberhafte Spannung<lb/> führt zum gewaltsamen Ausbruch der Leidenschaften, dem Ausbruch folgt die<lb/> Erschlaffung, die zu cousequenter politischer Arbeit unfähig ist, unter deren<lb/> ruhiger Oberfläche sich aber im Stillen und unbemerkt neue Elemente der Mi߬<lb/> stimmung bilden, die, sobald sie kräftig genug sind, um sich in den Stürmen<lb/> des öffentlichen Lebens zu bewegen, alsbald den verhängnißvollen Kampf auf<lb/> Tod und Leben mit der bestehenden Gewalt beginnen.</p><lb/> <p xml:id="ID_1117" next="#ID_1118"> Die klare Erkenntniß der Bedingungen, unter denen allein, bei der Ein¬<lb/> wirkung der unbeschränkten socialen Gleichheit, die Errichtung eines dauerhaften<lb/> freien Staatswesens sich erreichen lasse, hat Tocqucvilles literarischen und poli¬<lb/> tischen Ruhm begründet. Von dem Erscheinen seines ersten Werkes, 1,3, <Z6mo-<lb/> eratis ^meriML datirt seine hervorragende Stelle unter den französischen<lb/> Publicisten. Die Gedanken, durch Erweckung eines kräftigen, thätigen Ge-<lb/> mcindelebens den gänzlich erschlafften Freiheitssinn neu zu beleben, der Allmacht<lb/> des Staates das individuelle und communale Leben möglichst zu entziehen,<lb/> und mit der Macht zugleich die bis zu einem unerträglichen Grade gesteigerte,<lb/> im Großen und Kleinen von allen Seiten in Anspruch genommene Verantwort¬<lb/> lichkeit der Staatsgewalt zu vermindern, die Gefahr der beständigen politischen<lb/> Conflicte durch Ueberweisung der Streitigkeiten zwischen Privaten und dem<lb/> Staate an die durchaus unabhängig zu stellenden Gerichte zu beseitigen, diese<lb/> Gedanken konnten nicht umhin, auf das politische Publikum Frankreichs einen<lb/> tiefen Eindruck zu machen. Der literarische Erfolg war ein glänzender. Bei<lb/> weitem geringer war der Erfolg, der für Tocqueville den höchsten Werth ge¬<lb/> habt haben würde. Eine Einwirkung seines Werkes auf die bestehenden Zu¬<lb/> stände ist bis aus den heutigen Tag nur in sehr geringem Grade zu bemerken: die<lb/> von Tocqueville geschilderten Gefahren haben sich nur gesteigert. Das Uebel,<lb/> welches er bekämpft, war zu tief gewurzelt, es hatte den politischen Charakter<lb/> der Nation zu sehr corrumpirt, um eine rasche Heilung zu ermöglichen. Dazu</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0386]
den Regierenden zu Gebote stellt, genöthigt sieht. Alle Kräfte drängen sich
unausgesetzt nach dem Mittelpunkt des Staates, da nur die Staatsgewalt im
Stande ist, ihrer Thätigkeit ein Feld anzuweisen. Vom Centrum aus laufen
die Fäden der straffster Verwaltung in jedes Departement, in jede Gemeinde.
Jede Gewalt, die durch einen kühnen Streich in den Straßen der Hauptstadt
die Regierung besiegt, beherrscht sofort den ganzen ungeheuren Verwaltungs¬
apparat, wie er vollkommener und wirksamer schwerlich erdacht werden kann.
Ein glücklicher Straßenkampf in Paris entscheidet über das Schicksal des Reiches.
Es ist daher durchaus nicht zu verwundern, wenn die Leichtigkeit, durch eine
Ueberrumpelung die Staatsgewalt zu stürzen, allen Oppositionen eine revolu¬
tionäre Tendenz eingepflanzt und den Aufstand zu einem regelmäßigen Factor
der staatlichen Entwickelung gemacht hat. Wie aber die Fluth rasch und un¬
erwartet, überwältigend eintritt, so auch die Ebbe. Die fieberhafte Spannung
führt zum gewaltsamen Ausbruch der Leidenschaften, dem Ausbruch folgt die
Erschlaffung, die zu cousequenter politischer Arbeit unfähig ist, unter deren
ruhiger Oberfläche sich aber im Stillen und unbemerkt neue Elemente der Mi߬
stimmung bilden, die, sobald sie kräftig genug sind, um sich in den Stürmen
des öffentlichen Lebens zu bewegen, alsbald den verhängnißvollen Kampf auf
Tod und Leben mit der bestehenden Gewalt beginnen.
Die klare Erkenntniß der Bedingungen, unter denen allein, bei der Ein¬
wirkung der unbeschränkten socialen Gleichheit, die Errichtung eines dauerhaften
freien Staatswesens sich erreichen lasse, hat Tocqucvilles literarischen und poli¬
tischen Ruhm begründet. Von dem Erscheinen seines ersten Werkes, 1,3, <Z6mo-
eratis ^meriML datirt seine hervorragende Stelle unter den französischen
Publicisten. Die Gedanken, durch Erweckung eines kräftigen, thätigen Ge-
mcindelebens den gänzlich erschlafften Freiheitssinn neu zu beleben, der Allmacht
des Staates das individuelle und communale Leben möglichst zu entziehen,
und mit der Macht zugleich die bis zu einem unerträglichen Grade gesteigerte,
im Großen und Kleinen von allen Seiten in Anspruch genommene Verantwort¬
lichkeit der Staatsgewalt zu vermindern, die Gefahr der beständigen politischen
Conflicte durch Ueberweisung der Streitigkeiten zwischen Privaten und dem
Staate an die durchaus unabhängig zu stellenden Gerichte zu beseitigen, diese
Gedanken konnten nicht umhin, auf das politische Publikum Frankreichs einen
tiefen Eindruck zu machen. Der literarische Erfolg war ein glänzender. Bei
weitem geringer war der Erfolg, der für Tocqueville den höchsten Werth ge¬
habt haben würde. Eine Einwirkung seines Werkes auf die bestehenden Zu¬
stände ist bis aus den heutigen Tag nur in sehr geringem Grade zu bemerken: die
von Tocqueville geschilderten Gefahren haben sich nur gesteigert. Das Uebel,
welches er bekämpft, war zu tief gewurzelt, es hatte den politischen Charakter
der Nation zu sehr corrumpirt, um eine rasche Heilung zu ermöglichen. Dazu
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