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Die Grenzboten. Jg. 24, 1865, II. Semester. I. Band.

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man nicht die Künstler selbst in der rücksichtslosesten Weise behandelt. Man
schrieb nämlich für die Ausführung der für das Opernhaus bestimmten Statuen
einen Concurs aus, an welchem sich jedoch nur die Bildhauer des Auslandes
betheiligen durften, wodurch selbstverständlich die inländischen Künstler sich zu¬
rückgesetzt fühlten. Als sich nun mehre Meister von Ruf meldeten, hatte man
sich eines Andern besonnen und übertrug ihnen nur die Ausführung der ein¬
fachsten, in das Ressort des Stcinmetzhandwerkes einschlagenden Verzierungen
und erklärte, daß die Ausführung der Statuen bereits befähigten Händen über¬
geben worden sei, womit man wieder die außeröstreichischen Meister beleidigte.
Und so verfuhr man in vielen andern Fällen. Kam aber ausnahmsweise ein¬
mal die wirkliche Kunst zur Geltung, so geschah es sicher nur zur Verherrlichung
v. von Nebendingen oder zur Förderung egoistischer Zwecke.




Vermischte Literatur.

Taschenbuch der politischen Statistik Deutschlands. Von Dr. Wil¬
helm Kellner. 270 S.

Wenn die Politiker im Volke auf eine gleiche und richtige Fährte kommen
wollen, so müssen sie ihr Programm nach den gegebenen staatlichen Verhältnissen
einrichten. Das Stichwort "liberal" leistet es nicht mehr. Lange nannte man
alles liberal, was Opposition machte, was in irgendeiner Richtung der Regierung
eines einzelnen Staates oder der Bundesversammlung die Wahrheit sagte; es war
eine rein negative Bezeichnung, das einzige Positive an der Opposition war meist nur
die Forderung, diese oder jene Institution des Versassungsmustcrstaates England
oder eines andern konstitutionell eingerichteten Staates aus die heimischen Zustände
zu übertragen. So hatten wir den Kampf für die Jury, die Anhänger der fran¬
zösischen Charte von 1830, der Nationalgarde u. s. w. Sogar Theoretiker nach
alten griechischen und römischen Mustern fehlten nicht. Es kam aber eine Zeit, wo
sich die Zustände der Musterläudcr nicht mehr so empfehlenswert!) darstellten. Man
fand, daß Louis Philipp in Frankreich ein reines Bourgcoisthum hergerichtet hatte,
und später, daß Napoleon der Dritte den ärgsten Polizeistaat einführte, den man
noch je gesehen. Man entdeckte an England, daß es doch im Grunde nur das
Land der Aristokratie, nicht der Demokratie sei, daß die Gerichte ungeheuer theuer
und schwer anzugehen u. d. in. Die fremden Ideale erblichen, und die alten Libe¬
ralen wurden mit ihnen verbrauchte Größen. Demokraten, Socialisten, Communisten
traten gegen die Liberalen auf, aber auch sie und ihre Versuche waren exotische
Pflanzen. Die Bewegung von 1848 führte ein anderes Element in den Vorder-


man nicht die Künstler selbst in der rücksichtslosesten Weise behandelt. Man
schrieb nämlich für die Ausführung der für das Opernhaus bestimmten Statuen
einen Concurs aus, an welchem sich jedoch nur die Bildhauer des Auslandes
betheiligen durften, wodurch selbstverständlich die inländischen Künstler sich zu¬
rückgesetzt fühlten. Als sich nun mehre Meister von Ruf meldeten, hatte man
sich eines Andern besonnen und übertrug ihnen nur die Ausführung der ein¬
fachsten, in das Ressort des Stcinmetzhandwerkes einschlagenden Verzierungen
und erklärte, daß die Ausführung der Statuen bereits befähigten Händen über¬
geben worden sei, womit man wieder die außeröstreichischen Meister beleidigte.
Und so verfuhr man in vielen andern Fällen. Kam aber ausnahmsweise ein¬
mal die wirkliche Kunst zur Geltung, so geschah es sicher nur zur Verherrlichung
v. von Nebendingen oder zur Förderung egoistischer Zwecke.




Vermischte Literatur.

Taschenbuch der politischen Statistik Deutschlands. Von Dr. Wil¬
helm Kellner. 270 S.

Wenn die Politiker im Volke auf eine gleiche und richtige Fährte kommen
wollen, so müssen sie ihr Programm nach den gegebenen staatlichen Verhältnissen
einrichten. Das Stichwort „liberal" leistet es nicht mehr. Lange nannte man
alles liberal, was Opposition machte, was in irgendeiner Richtung der Regierung
eines einzelnen Staates oder der Bundesversammlung die Wahrheit sagte; es war
eine rein negative Bezeichnung, das einzige Positive an der Opposition war meist nur
die Forderung, diese oder jene Institution des Versassungsmustcrstaates England
oder eines andern konstitutionell eingerichteten Staates aus die heimischen Zustände
zu übertragen. So hatten wir den Kampf für die Jury, die Anhänger der fran¬
zösischen Charte von 1830, der Nationalgarde u. s. w. Sogar Theoretiker nach
alten griechischen und römischen Mustern fehlten nicht. Es kam aber eine Zeit, wo
sich die Zustände der Musterläudcr nicht mehr so empfehlenswert!) darstellten. Man
fand, daß Louis Philipp in Frankreich ein reines Bourgcoisthum hergerichtet hatte,
und später, daß Napoleon der Dritte den ärgsten Polizeistaat einführte, den man
noch je gesehen. Man entdeckte an England, daß es doch im Grunde nur das
Land der Aristokratie, nicht der Demokratie sei, daß die Gerichte ungeheuer theuer
und schwer anzugehen u. d. in. Die fremden Ideale erblichen, und die alten Libe¬
ralen wurden mit ihnen verbrauchte Größen. Demokraten, Socialisten, Communisten
traten gegen die Liberalen auf, aber auch sie und ihre Versuche waren exotische
Pflanzen. Die Bewegung von 1848 führte ein anderes Element in den Vorder-


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[0338] man nicht die Künstler selbst in der rücksichtslosesten Weise behandelt. Man schrieb nämlich für die Ausführung der für das Opernhaus bestimmten Statuen einen Concurs aus, an welchem sich jedoch nur die Bildhauer des Auslandes betheiligen durften, wodurch selbstverständlich die inländischen Künstler sich zu¬ rückgesetzt fühlten. Als sich nun mehre Meister von Ruf meldeten, hatte man sich eines Andern besonnen und übertrug ihnen nur die Ausführung der ein¬ fachsten, in das Ressort des Stcinmetzhandwerkes einschlagenden Verzierungen und erklärte, daß die Ausführung der Statuen bereits befähigten Händen über¬ geben worden sei, womit man wieder die außeröstreichischen Meister beleidigte. Und so verfuhr man in vielen andern Fällen. Kam aber ausnahmsweise ein¬ mal die wirkliche Kunst zur Geltung, so geschah es sicher nur zur Verherrlichung v. von Nebendingen oder zur Förderung egoistischer Zwecke. Vermischte Literatur. Taschenbuch der politischen Statistik Deutschlands. Von Dr. Wil¬ helm Kellner. 270 S. Wenn die Politiker im Volke auf eine gleiche und richtige Fährte kommen wollen, so müssen sie ihr Programm nach den gegebenen staatlichen Verhältnissen einrichten. Das Stichwort „liberal" leistet es nicht mehr. Lange nannte man alles liberal, was Opposition machte, was in irgendeiner Richtung der Regierung eines einzelnen Staates oder der Bundesversammlung die Wahrheit sagte; es war eine rein negative Bezeichnung, das einzige Positive an der Opposition war meist nur die Forderung, diese oder jene Institution des Versassungsmustcrstaates England oder eines andern konstitutionell eingerichteten Staates aus die heimischen Zustände zu übertragen. So hatten wir den Kampf für die Jury, die Anhänger der fran¬ zösischen Charte von 1830, der Nationalgarde u. s. w. Sogar Theoretiker nach alten griechischen und römischen Mustern fehlten nicht. Es kam aber eine Zeit, wo sich die Zustände der Musterläudcr nicht mehr so empfehlenswert!) darstellten. Man fand, daß Louis Philipp in Frankreich ein reines Bourgcoisthum hergerichtet hatte, und später, daß Napoleon der Dritte den ärgsten Polizeistaat einführte, den man noch je gesehen. Man entdeckte an England, daß es doch im Grunde nur das Land der Aristokratie, nicht der Demokratie sei, daß die Gerichte ungeheuer theuer und schwer anzugehen u. d. in. Die fremden Ideale erblichen, und die alten Libe¬ ralen wurden mit ihnen verbrauchte Größen. Demokraten, Socialisten, Communisten traten gegen die Liberalen auf, aber auch sie und ihre Versuche waren exotische Pflanzen. Die Bewegung von 1848 führte ein anderes Element in den Vorder-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 24, 1865, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341801_283352/338>, abgerufen am 15.01.2025.