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Die Grenzboten. Jg. 24, 1865, II. Semester. I. Band.

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meren deutschen Volkspolitik, an deren unerquicklichen Zügen der Nationalverein
meines Ercichtens einen nicht ganz unerheblichen Antheil hat. beruht auf einem
Gemisch von halbwahren Vorstellungen, unklaren Ansprüchen, unbegründeten
Voraussetzungen und übertriebenen Erwartungen.

Wer sagt uns denn überhaupt, daß Preußen in der Lage, in der Ver¬
fassung, wenn man dies gegenwärtig noch sagen kann, ist, um moralische Er¬
oberungen zu machen? Der Erfolg spricht doch wenigstens nicht dafür und die
Meinung derer von der extremste" Gegenseite, welche dasselbe rundweg ver¬
neinen, hat gewiß ungemein viel für sich. Was folgt nun daraus? Die guten
Freunde eines idealen Preußens, wie die Herren vom Nationalverein, lassen
ziemlich rathlos die Flügel hängen, andere ziehen sich im Unmuth völlig zurück,
andere werfen sich der blauweißen Demokratie in die rettenden Arme, alle aber
sind sich einig in der großen Resolution, daß das preußische Volk seine Pflicht
nicht erfülle, während jede Andeutung von Pflichten, die das übrige Deutsch¬
land gegen Preußen habe, mit hochgetragener sittlicher Entrüstung als preu¬
ßische Arroganz zurückgewiesen wird.

Wir aber erlauben uns dies die verkehrte Welt zu nennen und aus den
beiden Prämissen der Wichtigkeit Preußens für Deutschland und der thatsäch¬
lichen Erscheinung seines häusigen Rückfalls in überwundene Zustände die
Schlußfolgerung zu ziehen, daß es dem höchsten deutschen Interesse entspricht,
daß in Preußen ein dem vielgestaltigen Leben der Freiheit günstiger Boden
besser als es bis jetzt der Fall war, hergerichtet werde. Auch hier scheiden sich
freilich die Wege der politischen Idealisten und der Realisten. Erstere verlegen
den Ursprung der Freiheit meistens so hoch hinauf, daß das, was man die
Ackerwirthschaft derselben, die richtige Bestellung des Grund und Bodens, nennen
könnte, nicht zur vollen Geltung und richtigen Würdigung kommt.

Noch unlängst grüßte ein berühmtes Mitglied der preußischen Verfassungs¬
partei die am Rhein versammelten Festgenossen mit den Worten: "Der Wille
ists, der uns frei macht" -- ein Ausspruch von schönem tröstlichen Klang und
doch so allgemein hingestellt, von gefährlicher Einseitigkeit. Denn im Staats¬
leben, wo ein Wille dem anderen gegenübersteht und mit ihm um Einfluß
ringt, ist nicht, daß der Wille vorhanden, sondern wie und unter welchen Be¬
dingungen er wirkt, das entscheidende Moment. Mit andern Worten: je mehr
ich quantitativ und qualitativ die Gewalt derjenigen Interessen -- geistiger
und materieller -- verstärke, die nur in der Freiheit, nur im Rechtsstaat, nur
da gedeihen können, wo sie die maßgebenden Factoren der Entwicklung ge¬
worden sind, desto mehr stärke ich das Schwergewicht der auf ein und dasselbe
Ziel gerichteten, durch das Band der Interessen vereinigten Willen, desto ge¬
wisser erzeugt sich aus ihnen alsdann der Gcscnnmtwille, "der uns frei macht".
Hierin liegt der letzte ausschlaggebende Grund für alle diejenigen, die in jedem


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meren deutschen Volkspolitik, an deren unerquicklichen Zügen der Nationalverein
meines Ercichtens einen nicht ganz unerheblichen Antheil hat. beruht auf einem
Gemisch von halbwahren Vorstellungen, unklaren Ansprüchen, unbegründeten
Voraussetzungen und übertriebenen Erwartungen.

Wer sagt uns denn überhaupt, daß Preußen in der Lage, in der Ver¬
fassung, wenn man dies gegenwärtig noch sagen kann, ist, um moralische Er¬
oberungen zu machen? Der Erfolg spricht doch wenigstens nicht dafür und die
Meinung derer von der extremste» Gegenseite, welche dasselbe rundweg ver¬
neinen, hat gewiß ungemein viel für sich. Was folgt nun daraus? Die guten
Freunde eines idealen Preußens, wie die Herren vom Nationalverein, lassen
ziemlich rathlos die Flügel hängen, andere ziehen sich im Unmuth völlig zurück,
andere werfen sich der blauweißen Demokratie in die rettenden Arme, alle aber
sind sich einig in der großen Resolution, daß das preußische Volk seine Pflicht
nicht erfülle, während jede Andeutung von Pflichten, die das übrige Deutsch¬
land gegen Preußen habe, mit hochgetragener sittlicher Entrüstung als preu¬
ßische Arroganz zurückgewiesen wird.

Wir aber erlauben uns dies die verkehrte Welt zu nennen und aus den
beiden Prämissen der Wichtigkeit Preußens für Deutschland und der thatsäch¬
lichen Erscheinung seines häusigen Rückfalls in überwundene Zustände die
Schlußfolgerung zu ziehen, daß es dem höchsten deutschen Interesse entspricht,
daß in Preußen ein dem vielgestaltigen Leben der Freiheit günstiger Boden
besser als es bis jetzt der Fall war, hergerichtet werde. Auch hier scheiden sich
freilich die Wege der politischen Idealisten und der Realisten. Erstere verlegen
den Ursprung der Freiheit meistens so hoch hinauf, daß das, was man die
Ackerwirthschaft derselben, die richtige Bestellung des Grund und Bodens, nennen
könnte, nicht zur vollen Geltung und richtigen Würdigung kommt.

Noch unlängst grüßte ein berühmtes Mitglied der preußischen Verfassungs¬
partei die am Rhein versammelten Festgenossen mit den Worten: „Der Wille
ists, der uns frei macht" — ein Ausspruch von schönem tröstlichen Klang und
doch so allgemein hingestellt, von gefährlicher Einseitigkeit. Denn im Staats¬
leben, wo ein Wille dem anderen gegenübersteht und mit ihm um Einfluß
ringt, ist nicht, daß der Wille vorhanden, sondern wie und unter welchen Be¬
dingungen er wirkt, das entscheidende Moment. Mit andern Worten: je mehr
ich quantitativ und qualitativ die Gewalt derjenigen Interessen — geistiger
und materieller — verstärke, die nur in der Freiheit, nur im Rechtsstaat, nur
da gedeihen können, wo sie die maßgebenden Factoren der Entwicklung ge¬
worden sind, desto mehr stärke ich das Schwergewicht der auf ein und dasselbe
Ziel gerichteten, durch das Band der Interessen vereinigten Willen, desto ge¬
wisser erzeugt sich aus ihnen alsdann der Gcscnnmtwille, „der uns frei macht".
Hierin liegt der letzte ausschlaggebende Grund für alle diejenigen, die in jedem


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[0325] meren deutschen Volkspolitik, an deren unerquicklichen Zügen der Nationalverein meines Ercichtens einen nicht ganz unerheblichen Antheil hat. beruht auf einem Gemisch von halbwahren Vorstellungen, unklaren Ansprüchen, unbegründeten Voraussetzungen und übertriebenen Erwartungen. Wer sagt uns denn überhaupt, daß Preußen in der Lage, in der Ver¬ fassung, wenn man dies gegenwärtig noch sagen kann, ist, um moralische Er¬ oberungen zu machen? Der Erfolg spricht doch wenigstens nicht dafür und die Meinung derer von der extremste» Gegenseite, welche dasselbe rundweg ver¬ neinen, hat gewiß ungemein viel für sich. Was folgt nun daraus? Die guten Freunde eines idealen Preußens, wie die Herren vom Nationalverein, lassen ziemlich rathlos die Flügel hängen, andere ziehen sich im Unmuth völlig zurück, andere werfen sich der blauweißen Demokratie in die rettenden Arme, alle aber sind sich einig in der großen Resolution, daß das preußische Volk seine Pflicht nicht erfülle, während jede Andeutung von Pflichten, die das übrige Deutsch¬ land gegen Preußen habe, mit hochgetragener sittlicher Entrüstung als preu¬ ßische Arroganz zurückgewiesen wird. Wir aber erlauben uns dies die verkehrte Welt zu nennen und aus den beiden Prämissen der Wichtigkeit Preußens für Deutschland und der thatsäch¬ lichen Erscheinung seines häusigen Rückfalls in überwundene Zustände die Schlußfolgerung zu ziehen, daß es dem höchsten deutschen Interesse entspricht, daß in Preußen ein dem vielgestaltigen Leben der Freiheit günstiger Boden besser als es bis jetzt der Fall war, hergerichtet werde. Auch hier scheiden sich freilich die Wege der politischen Idealisten und der Realisten. Erstere verlegen den Ursprung der Freiheit meistens so hoch hinauf, daß das, was man die Ackerwirthschaft derselben, die richtige Bestellung des Grund und Bodens, nennen könnte, nicht zur vollen Geltung und richtigen Würdigung kommt. Noch unlängst grüßte ein berühmtes Mitglied der preußischen Verfassungs¬ partei die am Rhein versammelten Festgenossen mit den Worten: „Der Wille ists, der uns frei macht" — ein Ausspruch von schönem tröstlichen Klang und doch so allgemein hingestellt, von gefährlicher Einseitigkeit. Denn im Staats¬ leben, wo ein Wille dem anderen gegenübersteht und mit ihm um Einfluß ringt, ist nicht, daß der Wille vorhanden, sondern wie und unter welchen Be¬ dingungen er wirkt, das entscheidende Moment. Mit andern Worten: je mehr ich quantitativ und qualitativ die Gewalt derjenigen Interessen — geistiger und materieller — verstärke, die nur in der Freiheit, nur im Rechtsstaat, nur da gedeihen können, wo sie die maßgebenden Factoren der Entwicklung ge¬ worden sind, desto mehr stärke ich das Schwergewicht der auf ein und dasselbe Ziel gerichteten, durch das Band der Interessen vereinigten Willen, desto ge¬ wisser erzeugt sich aus ihnen alsdann der Gcscnnmtwille, „der uns frei macht". Hierin liegt der letzte ausschlaggebende Grund für alle diejenigen, die in jedem G>'k»zi'.'wi III, !865, 44

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 24, 1865, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341801_283352/325>, abgerufen am 15.01.2025.