Die Grenzboten. Jg. 24, 1865, II. Semester. I. Band.Die neuen Bauten in Wien. i. Unter den größeren Städten Deutschlands war bis vor Kurzem keine an Seit den letzten fünfzehn Jahren aber hat sich die Sache geändert. Die Aber wie steht es mit dem Geschmack und dem Sinn für Zweckmäßigkeit, Die neuen Bauten in Wien. i. Unter den größeren Städten Deutschlands war bis vor Kurzem keine an Seit den letzten fünfzehn Jahren aber hat sich die Sache geändert. Die Aber wie steht es mit dem Geschmack und dem Sinn für Zweckmäßigkeit, <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0287" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/283640"/> </div> <div n="1"> <head> Die neuen Bauten in Wien.<lb/> i. </head><lb/> <p xml:id="ID_801"> Unter den größeren Städten Deutschlands war bis vor Kurzem keine an<lb/> architektonischen Zierden und Merkwürdigkeiten ärmer als die zweitgrößte derselben,<lb/> das die Kräfte eines Reiches von fast vierzig Millionen in Contribution Setzende<lb/> und überdies durch eine ungemein glückliche Lage begünstigte Wien. Das hier<lb/> refidirende Fürstenhaus hatte eben für Baukunst wenig Interesse, und sehen<lb/> wir von der Stephanskirche und einigen Palästen reicher und vornehmer Pri¬<lb/> vatleute ab, so war in der Bevölkerung ebensowenig von diesem Interesse vor¬<lb/> handen. Weder Maria Theresia, noch Joseph der Zweite, noch Kaiser Franz<lb/> dachten an Nachholung des früher Versäumter, und wenn unter Ferdinand ein<lb/> dahin gehendes Bestreben sich bemerkbar machte, so konnte bei der pedantischen<lb/> noch aus dem vorigen Jahrhundert stammenden Bauordnung, bei den zahl¬<lb/> reichen Bauverboten und der durch nichts gerechtfertigten Beibehaltung der<lb/> Stadt- und Linienwälle, bei den für unantastbar geltenden Privilegien der<lb/> Aristokratie und des Klerus, hauptsächlich aber weil es an einer Vereinbarung<lb/> über das zu erreichende Ziel fehlte, sowohl von der Regierung, als von den<lb/> Privaten nur Unvollständiges oder Vereinzeltes geschaffen werden. Gleichwohl<lb/> fallen gerade in jene Epoche mehre auf Staatskosten unternommene und eben<lb/> so zweckmäßig als schön ausgeführte Bauten, z. B. die kaiserlichen Stallungen,<lb/> das Hauptzollamt, das Ständehaus, die Münze und mehre Kasernen, wäh¬<lb/> lend die damals von Privaten oder Actiengesellschaften errichteten Gebäude sich<lb/> fast durchgehendes durch ihre Unzweckmäßigst und Geschmacklosigkeit auszeich¬<lb/> neten, ein Urtheil, für welches die Johanneskirche, das Karltheater, das Wie-<lb/> dener Spital und der nunmehr umgebaute Nordbahnhof Belege lieferten.</p><lb/> <p xml:id="ID_802"> Seit den letzten fünfzehn Jahren aber hat sich die Sache geändert. Die<lb/> Wälle sind gefallen, viele alte und unschöne Gebäude und manche wüste Räume<lb/> sind verschwunden, und in jedem Stadttheile trifft der Besucher zahlreiche, meist<lb/> ebenso umfangreiche als durch ihre Kostspieligkeit bemerkenswerthe halb oder<lb/> ganz vollendete Staats- und Privatbauten. Der Negierung sowie der verschie¬<lb/> denen Unternehmungen und der wohlhabenden Bürger schien sich eine wahre<lb/> Bauwuth bemächtigt zu haben, und wenngleich diese Manie jetzt nachgelassen<lb/> hat, so dürfte doch Wien gegenwärtig nach Paris die das meiste Baumaterial<lb/> verwendende Stadt sein.</p><lb/> <p xml:id="ID_803" next="#ID_804"> Aber wie steht es mit dem Geschmack und dem Sinn für Zweckmäßigkeit,</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0287]
Die neuen Bauten in Wien.
i.
Unter den größeren Städten Deutschlands war bis vor Kurzem keine an
architektonischen Zierden und Merkwürdigkeiten ärmer als die zweitgrößte derselben,
das die Kräfte eines Reiches von fast vierzig Millionen in Contribution Setzende
und überdies durch eine ungemein glückliche Lage begünstigte Wien. Das hier
refidirende Fürstenhaus hatte eben für Baukunst wenig Interesse, und sehen
wir von der Stephanskirche und einigen Palästen reicher und vornehmer Pri¬
vatleute ab, so war in der Bevölkerung ebensowenig von diesem Interesse vor¬
handen. Weder Maria Theresia, noch Joseph der Zweite, noch Kaiser Franz
dachten an Nachholung des früher Versäumter, und wenn unter Ferdinand ein
dahin gehendes Bestreben sich bemerkbar machte, so konnte bei der pedantischen
noch aus dem vorigen Jahrhundert stammenden Bauordnung, bei den zahl¬
reichen Bauverboten und der durch nichts gerechtfertigten Beibehaltung der
Stadt- und Linienwälle, bei den für unantastbar geltenden Privilegien der
Aristokratie und des Klerus, hauptsächlich aber weil es an einer Vereinbarung
über das zu erreichende Ziel fehlte, sowohl von der Regierung, als von den
Privaten nur Unvollständiges oder Vereinzeltes geschaffen werden. Gleichwohl
fallen gerade in jene Epoche mehre auf Staatskosten unternommene und eben
so zweckmäßig als schön ausgeführte Bauten, z. B. die kaiserlichen Stallungen,
das Hauptzollamt, das Ständehaus, die Münze und mehre Kasernen, wäh¬
lend die damals von Privaten oder Actiengesellschaften errichteten Gebäude sich
fast durchgehendes durch ihre Unzweckmäßigst und Geschmacklosigkeit auszeich¬
neten, ein Urtheil, für welches die Johanneskirche, das Karltheater, das Wie-
dener Spital und der nunmehr umgebaute Nordbahnhof Belege lieferten.
Seit den letzten fünfzehn Jahren aber hat sich die Sache geändert. Die
Wälle sind gefallen, viele alte und unschöne Gebäude und manche wüste Räume
sind verschwunden, und in jedem Stadttheile trifft der Besucher zahlreiche, meist
ebenso umfangreiche als durch ihre Kostspieligkeit bemerkenswerthe halb oder
ganz vollendete Staats- und Privatbauten. Der Negierung sowie der verschie¬
denen Unternehmungen und der wohlhabenden Bürger schien sich eine wahre
Bauwuth bemächtigt zu haben, und wenngleich diese Manie jetzt nachgelassen
hat, so dürfte doch Wien gegenwärtig nach Paris die das meiste Baumaterial
verwendende Stadt sein.
Aber wie steht es mit dem Geschmack und dem Sinn für Zweckmäßigkeit,
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