Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 24, 1865, II. Semester. I. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

Brod) auf vier Tage in der Woche auszudehnen und die Zahl der Stockstrciche
"wo gehörig" auszudehnen.

Die Eigenthümlichkeit des materiellen Strafrechts in Uri besteht vorzüglich
darin, daß das Capitel des Landbuchs über "Malefiz und Friedbrucb" außer¬
ordentlich kurz ist und so wenig alle vorkommenden Verbrechen behandelt oder
auch nur berührt, daß dem Ermessen des Richters der weiteste Spielraum ge¬
lassen ist. Der alte Begriff des Friedbruchs dominirt, so daß die Formen, in
denen er auftreten kann, am sorgfältigsten behandelt sind. Schon die bloße
Drohung, einem andern an Leben oder Habe schaden zu Molken,, ist mit einer
Geldstrafe von zehn Gulden bedroht; auch soll der Drohende dem Richter an¬
geloben, dem andern auf keine Art Schaden zuzufügen und, wofern er das Ge-
löbniß bricht, als Meineidiger bestraft werden.

Sehr stark tritt im urnar Landbuch die Strafe der Ehrlvsmachung in den
Nordergrund. So heißt es im Art. 256: "Jedes als Malefiz bestrafte Ver¬
gehen macht den Schuldigen ehrlos; bei andern Strafurtheilen über Criminal-
fälle soll allemal erkannt und beigesetzt werden, ob der Bestrafte der Ehre ent¬
setzt sein solle und wie lange, oder aber nicht. Zu den Ehrenstrafen, bei denen
die Betreffenden nach Verlauf einiger Zeit um Nehabilitirung nachsuchen dürfen,
gehört auch das überhaupt in der Schweiz sehr verbreitete Verfahren, nach
welchem als Strafe über jemand das Verbot, Wirthshäuser zu besuchen, ver¬
hängt wird. Dieses Verbot ist eine Ehrenschmälerung verschieden von der Ehr¬
losigkeit und tritt nicht nur als Zugabe zu cnminellen Strafen, sondern auch
als selbständiger Bann für liederliche Leute ein. Uebertretung desselben kann
nach Umständen mit zwölf Ruthenhiebcn geahndet werden.

Auch der Pranger ist in Uri noch im Gebrauch, und zwar ist in der Aus¬
stellung Variation: 1862 wurde Johann Krieg von Altendorf im Canton
Schwyz wegen Diebstahls mit Einbruch mit einviertelstündigcr Ausstellung
durch den Polizeidiener, sechstägiger Gefangenschaft, zwanzig Ruthenstrei-
chen, lebenslänglicher Verweisung aus dem Canton und Ehrenentsetzung be¬
straft, und in demselben Jahre stellte der Scharfrichter Josepha Arnold von
Bürglen ebenfalls eine Viertelstunde auf dem "Lasterstein" aus, wobei sie eine
Tafel mit den Worten "Meineid und Unzucht" am Hals tragen mußte.

Das Verfahren in bürgerlichen Rechtssachen ist durch eine moderne Pro-
ccßordnung geregelt, doch sind aus alter Zeit die sogenannten "Gassengerichte"
herübergenommen, die ihren Namen davon hatten, daß jeder Cantvnsbürgcr, der
eben auf der Gasse daherkam, von dem unter dem Rathhausthor stehenden Weibel
zum Richter herangezogen werden konnte, bis die Zahl von sechs solchen Hilfs¬
richtern voll war. Zweck und Veranlassung dieser Maßregel sind noch in der
Civilproceßordnung von 1862 deutlich angegeben, indem es da heißt: "Als
Schiedsgericht ist auch das sogenannte Gassengericht zu betrachten, wo der Be-


Brod) auf vier Tage in der Woche auszudehnen und die Zahl der Stockstrciche
„wo gehörig" auszudehnen.

Die Eigenthümlichkeit des materiellen Strafrechts in Uri besteht vorzüglich
darin, daß das Capitel des Landbuchs über „Malefiz und Friedbrucb" außer¬
ordentlich kurz ist und so wenig alle vorkommenden Verbrechen behandelt oder
auch nur berührt, daß dem Ermessen des Richters der weiteste Spielraum ge¬
lassen ist. Der alte Begriff des Friedbruchs dominirt, so daß die Formen, in
denen er auftreten kann, am sorgfältigsten behandelt sind. Schon die bloße
Drohung, einem andern an Leben oder Habe schaden zu Molken,, ist mit einer
Geldstrafe von zehn Gulden bedroht; auch soll der Drohende dem Richter an¬
geloben, dem andern auf keine Art Schaden zuzufügen und, wofern er das Ge-
löbniß bricht, als Meineidiger bestraft werden.

Sehr stark tritt im urnar Landbuch die Strafe der Ehrlvsmachung in den
Nordergrund. So heißt es im Art. 256: „Jedes als Malefiz bestrafte Ver¬
gehen macht den Schuldigen ehrlos; bei andern Strafurtheilen über Criminal-
fälle soll allemal erkannt und beigesetzt werden, ob der Bestrafte der Ehre ent¬
setzt sein solle und wie lange, oder aber nicht. Zu den Ehrenstrafen, bei denen
die Betreffenden nach Verlauf einiger Zeit um Nehabilitirung nachsuchen dürfen,
gehört auch das überhaupt in der Schweiz sehr verbreitete Verfahren, nach
welchem als Strafe über jemand das Verbot, Wirthshäuser zu besuchen, ver¬
hängt wird. Dieses Verbot ist eine Ehrenschmälerung verschieden von der Ehr¬
losigkeit und tritt nicht nur als Zugabe zu cnminellen Strafen, sondern auch
als selbständiger Bann für liederliche Leute ein. Uebertretung desselben kann
nach Umständen mit zwölf Ruthenhiebcn geahndet werden.

Auch der Pranger ist in Uri noch im Gebrauch, und zwar ist in der Aus¬
stellung Variation: 1862 wurde Johann Krieg von Altendorf im Canton
Schwyz wegen Diebstahls mit Einbruch mit einviertelstündigcr Ausstellung
durch den Polizeidiener, sechstägiger Gefangenschaft, zwanzig Ruthenstrei-
chen, lebenslänglicher Verweisung aus dem Canton und Ehrenentsetzung be¬
straft, und in demselben Jahre stellte der Scharfrichter Josepha Arnold von
Bürglen ebenfalls eine Viertelstunde auf dem „Lasterstein" aus, wobei sie eine
Tafel mit den Worten „Meineid und Unzucht" am Hals tragen mußte.

Das Verfahren in bürgerlichen Rechtssachen ist durch eine moderne Pro-
ccßordnung geregelt, doch sind aus alter Zeit die sogenannten „Gassengerichte"
herübergenommen, die ihren Namen davon hatten, daß jeder Cantvnsbürgcr, der
eben auf der Gasse daherkam, von dem unter dem Rathhausthor stehenden Weibel
zum Richter herangezogen werden konnte, bis die Zahl von sechs solchen Hilfs¬
richtern voll war. Zweck und Veranlassung dieser Maßregel sind noch in der
Civilproceßordnung von 1862 deutlich angegeben, indem es da heißt: „Als
Schiedsgericht ist auch das sogenannte Gassengericht zu betrachten, wo der Be-


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0282" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/283635"/>
          <p xml:id="ID_783" prev="#ID_782"> Brod) auf vier Tage in der Woche auszudehnen und die Zahl der Stockstrciche<lb/>
&#x201E;wo gehörig" auszudehnen.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_784"> Die Eigenthümlichkeit des materiellen Strafrechts in Uri besteht vorzüglich<lb/>
darin, daß das Capitel des Landbuchs über &#x201E;Malefiz und Friedbrucb" außer¬<lb/>
ordentlich kurz ist und so wenig alle vorkommenden Verbrechen behandelt oder<lb/>
auch nur berührt, daß dem Ermessen des Richters der weiteste Spielraum ge¬<lb/>
lassen ist. Der alte Begriff des Friedbruchs dominirt, so daß die Formen, in<lb/>
denen er auftreten kann, am sorgfältigsten behandelt sind. Schon die bloße<lb/>
Drohung, einem andern an Leben oder Habe schaden zu Molken,, ist mit einer<lb/>
Geldstrafe von zehn Gulden bedroht; auch soll der Drohende dem Richter an¬<lb/>
geloben, dem andern auf keine Art Schaden zuzufügen und, wofern er das Ge-<lb/>
löbniß bricht, als Meineidiger bestraft werden.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_785"> Sehr stark tritt im urnar Landbuch die Strafe der Ehrlvsmachung in den<lb/>
Nordergrund. So heißt es im Art. 256: &#x201E;Jedes als Malefiz bestrafte Ver¬<lb/>
gehen macht den Schuldigen ehrlos; bei andern Strafurtheilen über Criminal-<lb/>
fälle soll allemal erkannt und beigesetzt werden, ob der Bestrafte der Ehre ent¬<lb/>
setzt sein solle und wie lange, oder aber nicht. Zu den Ehrenstrafen, bei denen<lb/>
die Betreffenden nach Verlauf einiger Zeit um Nehabilitirung nachsuchen dürfen,<lb/>
gehört auch das überhaupt in der Schweiz sehr verbreitete Verfahren, nach<lb/>
welchem als Strafe über jemand das Verbot, Wirthshäuser zu besuchen, ver¬<lb/>
hängt wird. Dieses Verbot ist eine Ehrenschmälerung verschieden von der Ehr¬<lb/>
losigkeit und tritt nicht nur als Zugabe zu cnminellen Strafen, sondern auch<lb/>
als selbständiger Bann für liederliche Leute ein. Uebertretung desselben kann<lb/>
nach Umständen mit zwölf Ruthenhiebcn geahndet werden.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_786"> Auch der Pranger ist in Uri noch im Gebrauch, und zwar ist in der Aus¬<lb/>
stellung Variation: 1862 wurde Johann Krieg von Altendorf im Canton<lb/>
Schwyz wegen Diebstahls mit Einbruch mit einviertelstündigcr Ausstellung<lb/>
durch den Polizeidiener, sechstägiger Gefangenschaft, zwanzig Ruthenstrei-<lb/>
chen, lebenslänglicher Verweisung aus dem Canton und Ehrenentsetzung be¬<lb/>
straft, und in demselben Jahre stellte der Scharfrichter Josepha Arnold von<lb/>
Bürglen ebenfalls eine Viertelstunde auf dem &#x201E;Lasterstein" aus, wobei sie eine<lb/>
Tafel mit den Worten &#x201E;Meineid und Unzucht" am Hals tragen mußte.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_787" next="#ID_788"> Das Verfahren in bürgerlichen Rechtssachen ist durch eine moderne Pro-<lb/>
ccßordnung geregelt, doch sind aus alter Zeit die sogenannten &#x201E;Gassengerichte"<lb/>
herübergenommen, die ihren Namen davon hatten, daß jeder Cantvnsbürgcr, der<lb/>
eben auf der Gasse daherkam, von dem unter dem Rathhausthor stehenden Weibel<lb/>
zum Richter herangezogen werden konnte, bis die Zahl von sechs solchen Hilfs¬<lb/>
richtern voll war. Zweck und Veranlassung dieser Maßregel sind noch in der<lb/>
Civilproceßordnung von 1862 deutlich angegeben, indem es da heißt: &#x201E;Als<lb/>
Schiedsgericht ist auch das sogenannte Gassengericht zu betrachten, wo der Be-</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0282] Brod) auf vier Tage in der Woche auszudehnen und die Zahl der Stockstrciche „wo gehörig" auszudehnen. Die Eigenthümlichkeit des materiellen Strafrechts in Uri besteht vorzüglich darin, daß das Capitel des Landbuchs über „Malefiz und Friedbrucb" außer¬ ordentlich kurz ist und so wenig alle vorkommenden Verbrechen behandelt oder auch nur berührt, daß dem Ermessen des Richters der weiteste Spielraum ge¬ lassen ist. Der alte Begriff des Friedbruchs dominirt, so daß die Formen, in denen er auftreten kann, am sorgfältigsten behandelt sind. Schon die bloße Drohung, einem andern an Leben oder Habe schaden zu Molken,, ist mit einer Geldstrafe von zehn Gulden bedroht; auch soll der Drohende dem Richter an¬ geloben, dem andern auf keine Art Schaden zuzufügen und, wofern er das Ge- löbniß bricht, als Meineidiger bestraft werden. Sehr stark tritt im urnar Landbuch die Strafe der Ehrlvsmachung in den Nordergrund. So heißt es im Art. 256: „Jedes als Malefiz bestrafte Ver¬ gehen macht den Schuldigen ehrlos; bei andern Strafurtheilen über Criminal- fälle soll allemal erkannt und beigesetzt werden, ob der Bestrafte der Ehre ent¬ setzt sein solle und wie lange, oder aber nicht. Zu den Ehrenstrafen, bei denen die Betreffenden nach Verlauf einiger Zeit um Nehabilitirung nachsuchen dürfen, gehört auch das überhaupt in der Schweiz sehr verbreitete Verfahren, nach welchem als Strafe über jemand das Verbot, Wirthshäuser zu besuchen, ver¬ hängt wird. Dieses Verbot ist eine Ehrenschmälerung verschieden von der Ehr¬ losigkeit und tritt nicht nur als Zugabe zu cnminellen Strafen, sondern auch als selbständiger Bann für liederliche Leute ein. Uebertretung desselben kann nach Umständen mit zwölf Ruthenhiebcn geahndet werden. Auch der Pranger ist in Uri noch im Gebrauch, und zwar ist in der Aus¬ stellung Variation: 1862 wurde Johann Krieg von Altendorf im Canton Schwyz wegen Diebstahls mit Einbruch mit einviertelstündigcr Ausstellung durch den Polizeidiener, sechstägiger Gefangenschaft, zwanzig Ruthenstrei- chen, lebenslänglicher Verweisung aus dem Canton und Ehrenentsetzung be¬ straft, und in demselben Jahre stellte der Scharfrichter Josepha Arnold von Bürglen ebenfalls eine Viertelstunde auf dem „Lasterstein" aus, wobei sie eine Tafel mit den Worten „Meineid und Unzucht" am Hals tragen mußte. Das Verfahren in bürgerlichen Rechtssachen ist durch eine moderne Pro- ccßordnung geregelt, doch sind aus alter Zeit die sogenannten „Gassengerichte" herübergenommen, die ihren Namen davon hatten, daß jeder Cantvnsbürgcr, der eben auf der Gasse daherkam, von dem unter dem Rathhausthor stehenden Weibel zum Richter herangezogen werden konnte, bis die Zahl von sechs solchen Hilfs¬ richtern voll war. Zweck und Veranlassung dieser Maßregel sind noch in der Civilproceßordnung von 1862 deutlich angegeben, indem es da heißt: „Als Schiedsgericht ist auch das sogenannte Gassengericht zu betrachten, wo der Be-

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341801_283352
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341801_283352/282
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 24, 1865, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341801_283352/282>, abgerufen am 15.01.2025.