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Die Grenzboten. Jg. 24, 1865, II. Semester. I. Band.

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meinen Sinne ist es für jeden). Und eben weil -- mit Ausnahme des Lesen-
und Schreibenkönnens -- die Fähigkeitsbestimmungen des Gesetzes von 3. Ja¬
nuar 1849 beibehalten werden, offenbart sich auch die Inkonsequenz in dieser
Stelle des neuen Entwurfs. Denn, wenn einmal blos jeder einzelne Fall
systemlos in seiner Fähigkeit zu prüfen sein soll, wenn der Census nur der
unbilligen Belastung wehren soll, warum werden dann doch zwei Grenzen für
das nöthige Alter, drei Grenzen für die nöthige Ehrenhaftigkeit und Rechts¬
fähigkeit aufgestellt, und warum nimmt der neue Entwurf dann doch von dem
Census die Beamten mit 600 Thlrn. Gehalt aus und erklärt sie auch ohne
Census für wählbar zum Gcschwornendienst? Daß endlich bei Durchführung
des Census nur als angeblicher Grenze der billigen Belastung die Urlisten in
ihrem Kerne, geistig fähige und charakterfeste Personen zu bieten,
beeinträchtigt werden, liegt auf der Hand, wenn wir der bekannten socialen
Mißverhältnisse zwischen durchgängiger Vertheilung der geistigen Bildung und
des materiellen Besitzes gedenken. Ein Beispiel aus der Reihe der Beamten
ist oben schon angeführt. Also beeinträchtigt der neue Entwurf geradezu die
geistige Emporbildung der Schwurgerichte, die doch, wenn dieses wichtige In¬
stitut einmal beibehalten werden soll, allseitig gewünscht wird und dringend
nöthig scheint. -- Näher auf den wichtigen Punkt einzugehen, verbietet der
Ort dieses Aufsatzes.

Auch hinsichts der Bildung der Urlisten bleibt der neue Entwurf, ab¬
gesehen von einigen unbedeutenden Aenderungen, bei den heutigen Vorschriften des
Strafprocesses. Nur eine Neuerung ist wesentlich. Nicht mehr mit dem Ge-
richtsdirector erster Instanz bespricht der Landrath oder Magistrat die Qualification
der einzelnen Personen der Urliste, sondern der Landrath, in den Städten der
Magistrat, soll allein handeln. Wir verweisen darauf, wie wichtig den Be¬
rathern unsrer heutigen Strafproceßordnung gerade die Zuziehung der richter¬
lichen Person hierbei erschien, und wie man in ihr eine Schranke gegen politische
Beeinflussung der Schwurgerichtsbesetzung durch die Regierung und ihre Ver¬
waltungsbeamten sah. Wenn das im Jahre 1851 der Fall war, so dürfen wir
heute, wo der Parteieifer viel höher fluthet, .nimmermehr diese Stütze der
inneren Freiheit und Gerechtigkeit opfern. In dem neuen Entwurf ist dieser
Punkt gerade umgekehrt, wie im geltenden Strafproceß vorgeschrieben. Denn
heute muß der Landrath nach Besprechung mit dem Gerichtsdirector lediglich
"die von dem Letzteren gemachten Bemerkungen in die Liste eintragen" (Art. 67
des Geh. v. 3. Mai 1862), nach dem neuen Entwurf soll der Landrath
ohne solche Rücksprache nur seine eigenen Bemerkungen darin verzeichnen.

Für die Dienstlisten aber soll eine wesentliche Neuerung eintreten. Der
Regierungspräsident stellt die Urlisten für jeden Schwurgerichtsbezirk fest
und sendet sie nebst den Bemerkungen des Landraths oder Magistrats sogleich


meinen Sinne ist es für jeden). Und eben weil — mit Ausnahme des Lesen-
und Schreibenkönnens — die Fähigkeitsbestimmungen des Gesetzes von 3. Ja¬
nuar 1849 beibehalten werden, offenbart sich auch die Inkonsequenz in dieser
Stelle des neuen Entwurfs. Denn, wenn einmal blos jeder einzelne Fall
systemlos in seiner Fähigkeit zu prüfen sein soll, wenn der Census nur der
unbilligen Belastung wehren soll, warum werden dann doch zwei Grenzen für
das nöthige Alter, drei Grenzen für die nöthige Ehrenhaftigkeit und Rechts¬
fähigkeit aufgestellt, und warum nimmt der neue Entwurf dann doch von dem
Census die Beamten mit 600 Thlrn. Gehalt aus und erklärt sie auch ohne
Census für wählbar zum Gcschwornendienst? Daß endlich bei Durchführung
des Census nur als angeblicher Grenze der billigen Belastung die Urlisten in
ihrem Kerne, geistig fähige und charakterfeste Personen zu bieten,
beeinträchtigt werden, liegt auf der Hand, wenn wir der bekannten socialen
Mißverhältnisse zwischen durchgängiger Vertheilung der geistigen Bildung und
des materiellen Besitzes gedenken. Ein Beispiel aus der Reihe der Beamten
ist oben schon angeführt. Also beeinträchtigt der neue Entwurf geradezu die
geistige Emporbildung der Schwurgerichte, die doch, wenn dieses wichtige In¬
stitut einmal beibehalten werden soll, allseitig gewünscht wird und dringend
nöthig scheint. — Näher auf den wichtigen Punkt einzugehen, verbietet der
Ort dieses Aufsatzes.

Auch hinsichts der Bildung der Urlisten bleibt der neue Entwurf, ab¬
gesehen von einigen unbedeutenden Aenderungen, bei den heutigen Vorschriften des
Strafprocesses. Nur eine Neuerung ist wesentlich. Nicht mehr mit dem Ge-
richtsdirector erster Instanz bespricht der Landrath oder Magistrat die Qualification
der einzelnen Personen der Urliste, sondern der Landrath, in den Städten der
Magistrat, soll allein handeln. Wir verweisen darauf, wie wichtig den Be¬
rathern unsrer heutigen Strafproceßordnung gerade die Zuziehung der richter¬
lichen Person hierbei erschien, und wie man in ihr eine Schranke gegen politische
Beeinflussung der Schwurgerichtsbesetzung durch die Regierung und ihre Ver¬
waltungsbeamten sah. Wenn das im Jahre 1851 der Fall war, so dürfen wir
heute, wo der Parteieifer viel höher fluthet, .nimmermehr diese Stütze der
inneren Freiheit und Gerechtigkeit opfern. In dem neuen Entwurf ist dieser
Punkt gerade umgekehrt, wie im geltenden Strafproceß vorgeschrieben. Denn
heute muß der Landrath nach Besprechung mit dem Gerichtsdirector lediglich
„die von dem Letzteren gemachten Bemerkungen in die Liste eintragen" (Art. 67
des Geh. v. 3. Mai 1862), nach dem neuen Entwurf soll der Landrath
ohne solche Rücksprache nur seine eigenen Bemerkungen darin verzeichnen.

Für die Dienstlisten aber soll eine wesentliche Neuerung eintreten. Der
Regierungspräsident stellt die Urlisten für jeden Schwurgerichtsbezirk fest
und sendet sie nebst den Bemerkungen des Landraths oder Magistrats sogleich


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 24, 1865, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341801_283352/26>, abgerufen am 15.01.2025.