Die Grenzboten. Jg. 24, 1865, II. Semester. I. Band.um einer dynastischen Marotte willen wider den gesunden Menschenverstand sündigt Nicht minder erfreulich ist eine andere Bemerkung. In keinem Land war seiner um einer dynastischen Marotte willen wider den gesunden Menschenverstand sündigt Nicht minder erfreulich ist eine andere Bemerkung. In keinem Land war seiner <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0255" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/283608"/> <p xml:id="ID_699" prev="#ID_698"> um einer dynastischen Marotte willen wider den gesunden Menschenverstand sündigt<lb/> und aus Ergebenheit gegen das Haus Habsburg die eigenen Landesintcressen zu<lb/> schädigen im Begriff steht. Dem Hrn. v. Varnbüler ist der ganze Handel sichtlich<lb/> höchst ärgerlich. Er sprach schon früher sich sehr gereizt über das verhaßte König¬<lb/> reich Italien aus, neuerdings war er gar nicht zu einer Antwort zu bewegen. Sind<lb/> wir recht unterrichtet, so ist der Regierung, zumal sie doch von der Nothwendigkeit<lb/> schließlich nachzugeben überzeugt ist, blutwenig an dem Widerstand gegen das König¬<lb/> reich Italien gelegen. Aber sie will sich nicht von ihren Bundesgenossen trennen,<lb/> von Sachsen und zumal von Bayern, mit welchem sie schon einmal in Freud und<lb/> Leid so treulich ausgeharrt hat. Von Bayern und Sachsen begreisen sich allerdings<lb/> die dynastischen Motive. Aber wunderbar bleibt es doch, wie ein halbes Jahr nach<lb/> Wiederherstellung des Zollvereins die damals so bitter gewitzigten Regierungen aber¬<lb/> mals einen ungleichen Kampf aufnehmen mögen, dessen Ausgang so wenig zweifel¬<lb/> haft ist als damals. Indessen, wenn diesen Regierungen so wenig daran liegt, daß<lb/> ihre Politik den Völkern als ein Hinderniß ihrer materiellen Entwicklung erscheint,<lb/> wenn sie fortfahren sich in Unternehmungen zu gefallen, welche doch nur ihre Un»<lb/> macht documentiren können, so ist es ja nicht unsre Sache, uns darüber zu be¬<lb/> trüben.</p><lb/> <p xml:id="ID_700" next="#ID_701"> Nicht minder erfreulich ist eine andere Bemerkung. In keinem Land war seiner<lb/> Zeit die Begeisterung für Oestreich in seinem Kampf gegen Italien, in keinem Land<lb/> der schutzzöllnerische Widerspruch gegen das System der Handelsverträge so stark und<lb/> hartnäckig als bei uns. Man konnte erwarten, beide Motive werden auch jetzt sich<lb/> wieder hervordrängen und einem unbefangenen Urtheil über die Regelung der Han¬<lb/> delsbeziehungen zu Italien Abbruch thun. Nichts von dem ist der Fall gewesen.<lb/> Nicht nur ist selbstverständlich das Königreich Italien von der öffentlichen Meinung<lb/> längst anerkannt, nicht nur verfolgt man mit besonderem Interesse das Schauspiel,<lb/> wie dort auf den Trümmern der Particularsouveränetäten der nationale Einheits¬<lb/> staat sich aufbaut und mehr und mehr consolidirt — nur eines unsrer demokratischen<lb/> Blätter erwartet mit Sehnsucht den Moment, wo der Einheitsstaat wieder zerschlagen<lb/> und in die bekannte Schablone eines Bundes freier Cantone umgegossen wird —<lb/> sondern auch die Umwandlung der handelspolitischen Ansichten ist unter dem Ein¬<lb/> druck der überstandenen Krise auffallend rasch vor sich gegangen. Man glaubt an<lb/> eine längst vergangene Zeit zurückzudenken, wenn man sich der schutzzöllnerischen<lb/> Agitation erinnert, welcher doch erst vor Jahresfrist in der modischen Riesenarbeit<lb/> 'hr letztes Denkmal inAknti mole aufgerichtet worden ist. Der unerbittliche Gang<lb/> der Ereignisse hat den neuen Ideen rascheren und allgemeineren Eingang verschafft<lb/> als jahrelange Belehrung durch Wissenschaft und Presse vermocht hätte. Noch ehe<lb/> wie Ziffern in der Hand die Prophezeiungen vom Ruin der deutschen Industrie be¬<lb/> leuchtet werden können, ist die öffentliche Meinung längst mit dem „Nationalunglück"<lb/> ausgesöhnt. Die Ueberzeugung, daß nun, nachdem der Weg der Handelsverträge<lb/> betreten, die Ausdehnung dieses Systems nach allen Richtungen, und folglich die<lb/> fortschreitende Annäherung an das Princip der Freiheit im Interesse des Handels<lb/> wie der Industrie angestrebt werden müsse, ist die allgemeine geworden. Italien<lb/> gegenüber lag freilich die Benachtheiligung der deutschen Industrie ohne den Abschluß<lb/> eines Zollvertrags auf der Hand. Eifrige Gegner des französischen Handelsver-</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0255]
um einer dynastischen Marotte willen wider den gesunden Menschenverstand sündigt
und aus Ergebenheit gegen das Haus Habsburg die eigenen Landesintcressen zu
schädigen im Begriff steht. Dem Hrn. v. Varnbüler ist der ganze Handel sichtlich
höchst ärgerlich. Er sprach schon früher sich sehr gereizt über das verhaßte König¬
reich Italien aus, neuerdings war er gar nicht zu einer Antwort zu bewegen. Sind
wir recht unterrichtet, so ist der Regierung, zumal sie doch von der Nothwendigkeit
schließlich nachzugeben überzeugt ist, blutwenig an dem Widerstand gegen das König¬
reich Italien gelegen. Aber sie will sich nicht von ihren Bundesgenossen trennen,
von Sachsen und zumal von Bayern, mit welchem sie schon einmal in Freud und
Leid so treulich ausgeharrt hat. Von Bayern und Sachsen begreisen sich allerdings
die dynastischen Motive. Aber wunderbar bleibt es doch, wie ein halbes Jahr nach
Wiederherstellung des Zollvereins die damals so bitter gewitzigten Regierungen aber¬
mals einen ungleichen Kampf aufnehmen mögen, dessen Ausgang so wenig zweifel¬
haft ist als damals. Indessen, wenn diesen Regierungen so wenig daran liegt, daß
ihre Politik den Völkern als ein Hinderniß ihrer materiellen Entwicklung erscheint,
wenn sie fortfahren sich in Unternehmungen zu gefallen, welche doch nur ihre Un»
macht documentiren können, so ist es ja nicht unsre Sache, uns darüber zu be¬
trüben.
Nicht minder erfreulich ist eine andere Bemerkung. In keinem Land war seiner
Zeit die Begeisterung für Oestreich in seinem Kampf gegen Italien, in keinem Land
der schutzzöllnerische Widerspruch gegen das System der Handelsverträge so stark und
hartnäckig als bei uns. Man konnte erwarten, beide Motive werden auch jetzt sich
wieder hervordrängen und einem unbefangenen Urtheil über die Regelung der Han¬
delsbeziehungen zu Italien Abbruch thun. Nichts von dem ist der Fall gewesen.
Nicht nur ist selbstverständlich das Königreich Italien von der öffentlichen Meinung
längst anerkannt, nicht nur verfolgt man mit besonderem Interesse das Schauspiel,
wie dort auf den Trümmern der Particularsouveränetäten der nationale Einheits¬
staat sich aufbaut und mehr und mehr consolidirt — nur eines unsrer demokratischen
Blätter erwartet mit Sehnsucht den Moment, wo der Einheitsstaat wieder zerschlagen
und in die bekannte Schablone eines Bundes freier Cantone umgegossen wird —
sondern auch die Umwandlung der handelspolitischen Ansichten ist unter dem Ein¬
druck der überstandenen Krise auffallend rasch vor sich gegangen. Man glaubt an
eine längst vergangene Zeit zurückzudenken, wenn man sich der schutzzöllnerischen
Agitation erinnert, welcher doch erst vor Jahresfrist in der modischen Riesenarbeit
'hr letztes Denkmal inAknti mole aufgerichtet worden ist. Der unerbittliche Gang
der Ereignisse hat den neuen Ideen rascheren und allgemeineren Eingang verschafft
als jahrelange Belehrung durch Wissenschaft und Presse vermocht hätte. Noch ehe
wie Ziffern in der Hand die Prophezeiungen vom Ruin der deutschen Industrie be¬
leuchtet werden können, ist die öffentliche Meinung längst mit dem „Nationalunglück"
ausgesöhnt. Die Ueberzeugung, daß nun, nachdem der Weg der Handelsverträge
betreten, die Ausdehnung dieses Systems nach allen Richtungen, und folglich die
fortschreitende Annäherung an das Princip der Freiheit im Interesse des Handels
wie der Industrie angestrebt werden müsse, ist die allgemeine geworden. Italien
gegenüber lag freilich die Benachtheiligung der deutschen Industrie ohne den Abschluß
eines Zollvertrags auf der Hand. Eifrige Gegner des französischen Handelsver-
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