Die Grenzboten. Jg. 24, 1865, II. Semester. I. Band.er hatte für den Fall einer Niederlage -- unerhört in unsern parlamentarischen Ein auf dem Landtag angefangenes, aber voraussichtlich nicht mehr zu Ende Erwählte ich ferner einen in social-politischer Beziehung nicht unwichtigen Be¬ In neuester Zeit ist es namentlich der Handelsvertrag mit Italien, welcher er hatte für den Fall einer Niederlage — unerhört in unsern parlamentarischen Ein auf dem Landtag angefangenes, aber voraussichtlich nicht mehr zu Ende Erwählte ich ferner einen in social-politischer Beziehung nicht unwichtigen Be¬ In neuester Zeit ist es namentlich der Handelsvertrag mit Italien, welcher <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0254" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/283607"/> <p xml:id="ID_695" prev="#ID_694"> er hatte für den Fall einer Niederlage — unerhört in unsern parlamentarischen<lb/> Annalen — mit seinem Rücktritt gedroht.</p><lb/> <p xml:id="ID_696"> Ein auf dem Landtag angefangenes, aber voraussichtlich nicht mehr zu Ende<lb/> gelangendes Werk ist die durchgreifende Revision unserer Landesverfassung. Da»<lb/> Verlangen nach derselben war schon in der Antwortsadresse auf die Thronrede aus¬<lb/> gesprochen, später in einem Antrag von Hölder eingehend formulirt und einem<lb/> Ausschuß zur Berichterstattung übergeben worden. Offen gestanden, die öffentliche<lb/> Meinung hat den Antrag mit größerer Gleichgiltigkeit aufgenommen, als man er¬<lb/> warten sollte. Es scheint das Gefühl allgemein zu sein, daß die Verbesserung der<lb/> Einzelverfassungen zu einer Zeit, da die Gemeinsamkeit der nationalen Interessen<lb/> sich immer stärker fühlbar macht, doch nur ein untergeordneter Punkt ist, eine Me¬<lb/> dicin, welche die Hauptgcbrechcn gar nicht trifft, eine Hühncraugenoperation, wo der<lb/> ganze Organismus krankt. Wäre doch die Lage unserer Mittelstaaten in den letz¬<lb/> ten Jahren genau ebenso traurig gewesen, und wenn sie pure Ideale als Staats¬<lb/> verfassungen gehabt hätten. Indessen, das staatliche Leben hat nun einmal keine<lb/> andere Form als diese Einzclverfassungen, und es ist begreiflich, daß man sich darin<lb/> so gut als möglich einzurichten sucht. Auch ist ja, was in dieser Beziehung ge¬<lb/> schieht, nicht verloren; die Gesetzgebung wird sich im künftigen deutschen Staat nicht<lb/> nach denjenigen Ländern richten, welche bis dahin am weitesten zurückgeblieben sind,<lb/> und auch die vorbereitende nationale Arbeit kann, soweit die Einzelparlamente An¬<lb/> theil daran haben, nur gewinnen, je mehr diese zu wirklichen Organen des Volks¬<lb/> willens werden. Es sind bis jetzt über die hölderschen Anträge zwei Kammcr-<lb/> veschlüsse zu Stande gekommen, beide die Wahlen zur Abgeordnetenkammer betreffend.<lb/> Der eine spricht sich für geheime Stimmabgabe aus, der andere für liberale Abän¬<lb/> derung des Wahlgesetzes, welches bisher einzig den grundbesitzenden und je orts-<lb/> bürgcrlichen Theil der Bevölkerung zu diesem Act berufen, also gerade die gebildeten<lb/> Classen zum großen Theil ausgeschlossen hatte. Ob die Regierung Gesctzcsentwürfe<lb/> in diesem Sinne einbringen wird, steht noch dahin; ob weitere Beschlüsse zu Stande<lb/> kommen werden, z. B. die Entfernung der Ritter und Prälaten aus der zweiten<lb/> Kammer betreffend, ist zum Mindesten höchst unwahrscheinlich geworden.</p><lb/> <p xml:id="ID_697"> Erwählte ich ferner einen in social-politischer Beziehung nicht unwichtigen Be¬<lb/> schluß der Kammer, durch welchen die Negierung gebeten wird, die Ehcbeschränkungen,<lb/> welche ein reactionärcs Gesetz vom Jahr 1852 wieder einführte, und welche auf die<lb/> niederen Classen bisher schwer drückten — bekanntlich gehören unsere Bevölkerungs-<lb/> verhältnissc seit Jahren zu den ungünstigsten innerhalb des Zollvereins —, so werde<lb/> ich meine Pflicht als Chronist der letzten Monate unsers parlamentarischen Lebens<lb/> so ziemlich erfüllt haben.</p><lb/> <p xml:id="ID_698" next="#ID_699"> In neuester Zeit ist es namentlich der Handelsvertrag mit Italien, welcher<lb/> Bewegung in die Gemüther gebracht Hot. Diesmal sind wir nicht wie beim fran¬<lb/> zösischen Handelsvertrag die Letzten, welche sich rührten, die Sache ist rasch mit<lb/> Eifer aufgenommen worden. Die Presse that ihre Pflicht, die Handelskammern be¬<lb/> leuchteten eingehend die materielle Frage, in Stuttgart wurde eine Versammlung<lb/> von Interessenten gehalten, an der sich eine Reihe bedeutender Firmen und Gewerbs-<lb/> zweige betheiligte, i» der Kammer wiederholte Anfrage an den Minister gerichtet.<lb/> Hölder hat insbesondere mit unbarmherzigen Strichen eine Politik gezeichnet, welche</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0254]
er hatte für den Fall einer Niederlage — unerhört in unsern parlamentarischen
Annalen — mit seinem Rücktritt gedroht.
Ein auf dem Landtag angefangenes, aber voraussichtlich nicht mehr zu Ende
gelangendes Werk ist die durchgreifende Revision unserer Landesverfassung. Da»
Verlangen nach derselben war schon in der Antwortsadresse auf die Thronrede aus¬
gesprochen, später in einem Antrag von Hölder eingehend formulirt und einem
Ausschuß zur Berichterstattung übergeben worden. Offen gestanden, die öffentliche
Meinung hat den Antrag mit größerer Gleichgiltigkeit aufgenommen, als man er¬
warten sollte. Es scheint das Gefühl allgemein zu sein, daß die Verbesserung der
Einzelverfassungen zu einer Zeit, da die Gemeinsamkeit der nationalen Interessen
sich immer stärker fühlbar macht, doch nur ein untergeordneter Punkt ist, eine Me¬
dicin, welche die Hauptgcbrechcn gar nicht trifft, eine Hühncraugenoperation, wo der
ganze Organismus krankt. Wäre doch die Lage unserer Mittelstaaten in den letz¬
ten Jahren genau ebenso traurig gewesen, und wenn sie pure Ideale als Staats¬
verfassungen gehabt hätten. Indessen, das staatliche Leben hat nun einmal keine
andere Form als diese Einzclverfassungen, und es ist begreiflich, daß man sich darin
so gut als möglich einzurichten sucht. Auch ist ja, was in dieser Beziehung ge¬
schieht, nicht verloren; die Gesetzgebung wird sich im künftigen deutschen Staat nicht
nach denjenigen Ländern richten, welche bis dahin am weitesten zurückgeblieben sind,
und auch die vorbereitende nationale Arbeit kann, soweit die Einzelparlamente An¬
theil daran haben, nur gewinnen, je mehr diese zu wirklichen Organen des Volks¬
willens werden. Es sind bis jetzt über die hölderschen Anträge zwei Kammcr-
veschlüsse zu Stande gekommen, beide die Wahlen zur Abgeordnetenkammer betreffend.
Der eine spricht sich für geheime Stimmabgabe aus, der andere für liberale Abän¬
derung des Wahlgesetzes, welches bisher einzig den grundbesitzenden und je orts-
bürgcrlichen Theil der Bevölkerung zu diesem Act berufen, also gerade die gebildeten
Classen zum großen Theil ausgeschlossen hatte. Ob die Regierung Gesctzcsentwürfe
in diesem Sinne einbringen wird, steht noch dahin; ob weitere Beschlüsse zu Stande
kommen werden, z. B. die Entfernung der Ritter und Prälaten aus der zweiten
Kammer betreffend, ist zum Mindesten höchst unwahrscheinlich geworden.
Erwählte ich ferner einen in social-politischer Beziehung nicht unwichtigen Be¬
schluß der Kammer, durch welchen die Negierung gebeten wird, die Ehcbeschränkungen,
welche ein reactionärcs Gesetz vom Jahr 1852 wieder einführte, und welche auf die
niederen Classen bisher schwer drückten — bekanntlich gehören unsere Bevölkerungs-
verhältnissc seit Jahren zu den ungünstigsten innerhalb des Zollvereins —, so werde
ich meine Pflicht als Chronist der letzten Monate unsers parlamentarischen Lebens
so ziemlich erfüllt haben.
In neuester Zeit ist es namentlich der Handelsvertrag mit Italien, welcher
Bewegung in die Gemüther gebracht Hot. Diesmal sind wir nicht wie beim fran¬
zösischen Handelsvertrag die Letzten, welche sich rührten, die Sache ist rasch mit
Eifer aufgenommen worden. Die Presse that ihre Pflicht, die Handelskammern be¬
leuchteten eingehend die materielle Frage, in Stuttgart wurde eine Versammlung
von Interessenten gehalten, an der sich eine Reihe bedeutender Firmen und Gewerbs-
zweige betheiligte, i» der Kammer wiederholte Anfrage an den Minister gerichtet.
Hölder hat insbesondere mit unbarmherzigen Strichen eine Politik gezeichnet, welche
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