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Die Grenzboten. Jg. 24, 1865, II. Semester. I. Band.

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brachte er dann das Bild aller Dinge, die er draußen in freier Welt gesehn
und gefunden, heim zu seiner Werkstatt, das Material jener unschätzbaren Wun-
verwerte der Malerei, die sein kurzes neunundzwanzigjährigcs Leben mit dem
Glanz der Unsterblichkeit schmücken. Die Skizzenbücher Potters, vor etwa zehn
Jahren einem Stuttgarter Kunsthändler für das berliner Museum abgekauft,
sind nicht blos durch die wundervolle Schönheit ihres Inhalts, den unerschöpf¬
lichen Reichthum und die Mannigfaltigkeit ihrer Zeichnungen so köstlich, son¬
dern auch dadurch so mächtig und interessant, daß sie uns zeigen, wie ein
Meister dieses Schlages gearbeitet hat, nicht mehr, um es zu werden; denn
jeder Strich in diesen zahllosen Studien zeigt von einer künstlerischen absoluten
"Machtfülle", welche in allen Zeiten nur wenige der Auserwählten erreichten
-- sondern aus bloßem inneren Bedürfniß, sich jede Naturform zu eigen zu
machen, um einer jeden durchaus Herr zu sein, wo es der künstlerische Zweck
erfordert, und daneben aus der uneigennützigen Freude und Lust an den tau¬
sendfachen Reizen der schönen Schöpfung, der offenbarsten, wie der verborgen¬
sten, bescheidensten, die sich der Beachtung und Schätzung des profanen Sinns
gänzlich entziehn. Zeichnungen, diesem letztern Motiv entsprungen, füllen mehr
als die ganze eine Hälfte des größten und stärksten dieser Bücher. Es sind
Blumen, Gräser und einzelne Zweige, Blüthen und fruchttragende Büsche,
Kinder sorgsam und künstlich gepflegter Gärten wie des Feldes, des Ackers
und der Wiese, an denen Tausende ihr Leben lang achtlos vorübergehn. Wer
die Fülle zarter Schönheit und Lieblichkeit nicht kennt, womit gerade diese an¬
spruchlosesten Gebilde der freigebig spendenden Erde geschmückt sind, der müßte
es vor diesen ihren Abbildern bewundernd inne werden. Von der prachtvoll¬
sten Rose, Hyacinthe, Tulpe und fremdländischen Zierpflanze bis zur Haferähre,
zum simpeln Grashalm hat der Meister jeder Form die gleiche Hingebung
und Liebe zugewandt, sie mit gleich treuem Fleiß, der jede kleinste Besonder¬
heit aufmerkend beobachtet, und mit einem unbewußten Schönheitsgefühl
nachgebildet, welches unter seinen Händen jede dieser Studien wie eine in
sich geschlossene Kunstschöpfung erscheinen läßt. Fast alle sind aus derbes
geripptes Papier mit der Feder, mit einer unerhörten Sicherheit umrissen, hin¬
gezeichnet, welche sich nur dem contourenden Pinselzüge jenes Japanesen ver¬
gleichen läßt, Blüthen, Knospen, Dolden, Aehren und jedes Blattwerk in jeder
Verkürzung und all den tausend immer andern neuen und reizvollen Ueber-
schneidlungen und Verschiebungen, welche die Erscheinungen der gleichen Pflan¬
zengebilde so unerschöpflich an Mannigfaltigkeit des Reizes machen. Die so
meist in natürlicher Größe Gezeichneten sind dann mit ein paar ganz leichten
Localtönen colorire, diese aber mit so feinem Sinn aufgefaßt, so richtig in der
Karbe, so sehr an der rechten Stelle angebracht, daß sie den vollen Eindruck
natürlicher Wahrheit und einer viel weitern malerischen Durchführung hervor-


brachte er dann das Bild aller Dinge, die er draußen in freier Welt gesehn
und gefunden, heim zu seiner Werkstatt, das Material jener unschätzbaren Wun-
verwerte der Malerei, die sein kurzes neunundzwanzigjährigcs Leben mit dem
Glanz der Unsterblichkeit schmücken. Die Skizzenbücher Potters, vor etwa zehn
Jahren einem Stuttgarter Kunsthändler für das berliner Museum abgekauft,
sind nicht blos durch die wundervolle Schönheit ihres Inhalts, den unerschöpf¬
lichen Reichthum und die Mannigfaltigkeit ihrer Zeichnungen so köstlich, son¬
dern auch dadurch so mächtig und interessant, daß sie uns zeigen, wie ein
Meister dieses Schlages gearbeitet hat, nicht mehr, um es zu werden; denn
jeder Strich in diesen zahllosen Studien zeigt von einer künstlerischen absoluten
„Machtfülle", welche in allen Zeiten nur wenige der Auserwählten erreichten
— sondern aus bloßem inneren Bedürfniß, sich jede Naturform zu eigen zu
machen, um einer jeden durchaus Herr zu sein, wo es der künstlerische Zweck
erfordert, und daneben aus der uneigennützigen Freude und Lust an den tau¬
sendfachen Reizen der schönen Schöpfung, der offenbarsten, wie der verborgen¬
sten, bescheidensten, die sich der Beachtung und Schätzung des profanen Sinns
gänzlich entziehn. Zeichnungen, diesem letztern Motiv entsprungen, füllen mehr
als die ganze eine Hälfte des größten und stärksten dieser Bücher. Es sind
Blumen, Gräser und einzelne Zweige, Blüthen und fruchttragende Büsche,
Kinder sorgsam und künstlich gepflegter Gärten wie des Feldes, des Ackers
und der Wiese, an denen Tausende ihr Leben lang achtlos vorübergehn. Wer
die Fülle zarter Schönheit und Lieblichkeit nicht kennt, womit gerade diese an¬
spruchlosesten Gebilde der freigebig spendenden Erde geschmückt sind, der müßte
es vor diesen ihren Abbildern bewundernd inne werden. Von der prachtvoll¬
sten Rose, Hyacinthe, Tulpe und fremdländischen Zierpflanze bis zur Haferähre,
zum simpeln Grashalm hat der Meister jeder Form die gleiche Hingebung
und Liebe zugewandt, sie mit gleich treuem Fleiß, der jede kleinste Besonder¬
heit aufmerkend beobachtet, und mit einem unbewußten Schönheitsgefühl
nachgebildet, welches unter seinen Händen jede dieser Studien wie eine in
sich geschlossene Kunstschöpfung erscheinen läßt. Fast alle sind aus derbes
geripptes Papier mit der Feder, mit einer unerhörten Sicherheit umrissen, hin¬
gezeichnet, welche sich nur dem contourenden Pinselzüge jenes Japanesen ver¬
gleichen läßt, Blüthen, Knospen, Dolden, Aehren und jedes Blattwerk in jeder
Verkürzung und all den tausend immer andern neuen und reizvollen Ueber-
schneidlungen und Verschiebungen, welche die Erscheinungen der gleichen Pflan¬
zengebilde so unerschöpflich an Mannigfaltigkeit des Reizes machen. Die so
meist in natürlicher Größe Gezeichneten sind dann mit ein paar ganz leichten
Localtönen colorire, diese aber mit so feinem Sinn aufgefaßt, so richtig in der
Karbe, so sehr an der rechten Stelle angebracht, daß sie den vollen Eindruck
natürlicher Wahrheit und einer viel weitern malerischen Durchführung hervor-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 24, 1865, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341801_283352/240>, abgerufen am 15.01.2025.