Die Grenzboten. Jg. 24, 1865, II. Semester. I. Band.zu bringen. Die Art der Zeichnung ist merkwürdig genug. Mit der für uns zu bringen. Die Art der Zeichnung ist merkwürdig genug. Mit der für uns <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0239" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/283592"/> <p xml:id="ID_665" prev="#ID_664" next="#ID_666"> zu bringen. Die Art der Zeichnung ist merkwürdig genug. Mit der für uns<lb/> kaum begreiflichen Sicherheit der Hand, welche nur bei einem Volk möglich ist,<lb/> das mit dem Pinsel schreiben lernt, zieht er, ebenfalls mit diesem Griffel die<lb/> Contouren jedes Kopfes und seiner innern Theile in nie unterbrochenem freiem<lb/> Fluß der Linie auf sein Reispapier hin, ohne Absetzen, ohne Ausweichungen,<lb/> in der Gleichmäßigkeit einer mit Zirkel und Reisfeder geschlagenen Kreislinie<lb/> oder des Contours altgriechischer Vasenbilder, und doch dabei gleichzeitig mit<lb/> einer verständnißvollen Markirung auch der leisesten Schwingung der Formen,<lb/> welche er umschreibt, indem es das tiefste künstlerische Eindringen in das Wesen<lb/> derselben, in die innerste Construction der natürlichen Erscheinung bekundet,<lb/> auch jeden Gedanken des mechanischen und äußerlichen Mächens ausschließt, zu<lb/> welchem sonst der Anblick solches völlig geläufigen Hinschreibens der Contouren<lb/> nicht mit Unrecht veranlaßt. Dieser Umriß ist dann ganz leicht colorire, schein¬<lb/> bar mit einem einzigen Farbenton ausgefüllt, und doch ist jeder dieser ganz von<lb/> vorn beleuchteten schattenlosen Köpfe völlig körperlich und rund, dank einem<lb/> Reichthum der subtilsten unmerklich leisen Variationen und Uebergänge vom<lb/> höchsten Glanzlicht bis zum tieferen Mittclton innerhalb jener einheit¬<lb/> lichen Gesammtfarbe, die wieder ihrerseits — die wahre Kunst des echten<lb/> Coloristen — für jeden dieser mehr als hundert Köpfe eine andere und<lb/> individuelle ist. Aber bei aller Bewunderung des Künstlers ergreift uns<lb/> doch bald eine gewisse Beängstigung bei der Betrachtung dieser langen<lb/> Reihe seiner trefflichen Arbeiten. Die fürchterliche Häßlichkeit der dargestellten<lb/> Race, all diese lebendig-todten Alteweibergeflchter mit ihren eng geschlitzten<lb/> Augen, ihren wie zum Pfeifen zusammcngekrampften Lippen, ihren Runzeln<lb/> und kahlen Schädeln, erträgt unser Empfinden nicht lange, und mit welchem<lb/> Gesicht uns auch Gott gestraft oder gesegnet haben möge — mit einem innigen<lb/> Dankstoßgebet: „Herr, ich danke Dir, ,daß ich zur kaukasischen Race gehöre",<lb/> mag auch der Häßlichste unter uns diese Bände schließen. Es giebt hier noch<lb/> genug, um reineren unbedingterer Genuß zu gewähren. Ersuchen wir z. B.<lb/> lieber einen der gerade anwesenden Herren Directoren Prof. Weiß oder Hotho<lb/> uns aus ihrem Allerheiligsten jenes große kastenartige dunkelbraun-violette Le¬<lb/> deretui herauszureichen, über welches sie sich mit Recht die speciellste Wacht<lb/> Vorbehalten haben. In seinem sammetgefütterten Innern stecken vier längliche<lb/> schmale Bücher, wie Contobücher, in altes gelbes Schweinsleder gebunden. Es<lb/> mag uns ein Gefühl der Weihe überkommen, wenn wir sie anfassen, und es<lb/> ist, als hörten wir die Mahnung: „zeuch Deine Schuhe aus, denn hier ist<lb/> heiliges Land!" Diese Büchelchen steckten nacheinander in den tiefen Wamms¬<lb/> und Hosentaschen Paul Potters, wenn er hinausging auf seine niederländischen<lb/> Weiden und Tristen, aufs Dorf und in die Ställe; aus diesen Blättern<lb/> Von der Hand des größten Genies und des emsigsten treusten Arbeiters fixirt,</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0239]
zu bringen. Die Art der Zeichnung ist merkwürdig genug. Mit der für uns
kaum begreiflichen Sicherheit der Hand, welche nur bei einem Volk möglich ist,
das mit dem Pinsel schreiben lernt, zieht er, ebenfalls mit diesem Griffel die
Contouren jedes Kopfes und seiner innern Theile in nie unterbrochenem freiem
Fluß der Linie auf sein Reispapier hin, ohne Absetzen, ohne Ausweichungen,
in der Gleichmäßigkeit einer mit Zirkel und Reisfeder geschlagenen Kreislinie
oder des Contours altgriechischer Vasenbilder, und doch dabei gleichzeitig mit
einer verständnißvollen Markirung auch der leisesten Schwingung der Formen,
welche er umschreibt, indem es das tiefste künstlerische Eindringen in das Wesen
derselben, in die innerste Construction der natürlichen Erscheinung bekundet,
auch jeden Gedanken des mechanischen und äußerlichen Mächens ausschließt, zu
welchem sonst der Anblick solches völlig geläufigen Hinschreibens der Contouren
nicht mit Unrecht veranlaßt. Dieser Umriß ist dann ganz leicht colorire, schein¬
bar mit einem einzigen Farbenton ausgefüllt, und doch ist jeder dieser ganz von
vorn beleuchteten schattenlosen Köpfe völlig körperlich und rund, dank einem
Reichthum der subtilsten unmerklich leisen Variationen und Uebergänge vom
höchsten Glanzlicht bis zum tieferen Mittclton innerhalb jener einheit¬
lichen Gesammtfarbe, die wieder ihrerseits — die wahre Kunst des echten
Coloristen — für jeden dieser mehr als hundert Köpfe eine andere und
individuelle ist. Aber bei aller Bewunderung des Künstlers ergreift uns
doch bald eine gewisse Beängstigung bei der Betrachtung dieser langen
Reihe seiner trefflichen Arbeiten. Die fürchterliche Häßlichkeit der dargestellten
Race, all diese lebendig-todten Alteweibergeflchter mit ihren eng geschlitzten
Augen, ihren wie zum Pfeifen zusammcngekrampften Lippen, ihren Runzeln
und kahlen Schädeln, erträgt unser Empfinden nicht lange, und mit welchem
Gesicht uns auch Gott gestraft oder gesegnet haben möge — mit einem innigen
Dankstoßgebet: „Herr, ich danke Dir, ,daß ich zur kaukasischen Race gehöre",
mag auch der Häßlichste unter uns diese Bände schließen. Es giebt hier noch
genug, um reineren unbedingterer Genuß zu gewähren. Ersuchen wir z. B.
lieber einen der gerade anwesenden Herren Directoren Prof. Weiß oder Hotho
uns aus ihrem Allerheiligsten jenes große kastenartige dunkelbraun-violette Le¬
deretui herauszureichen, über welches sie sich mit Recht die speciellste Wacht
Vorbehalten haben. In seinem sammetgefütterten Innern stecken vier längliche
schmale Bücher, wie Contobücher, in altes gelbes Schweinsleder gebunden. Es
mag uns ein Gefühl der Weihe überkommen, wenn wir sie anfassen, und es
ist, als hörten wir die Mahnung: „zeuch Deine Schuhe aus, denn hier ist
heiliges Land!" Diese Büchelchen steckten nacheinander in den tiefen Wamms¬
und Hosentaschen Paul Potters, wenn er hinausging auf seine niederländischen
Weiden und Tristen, aufs Dorf und in die Ställe; aus diesen Blättern
Von der Hand des größten Genies und des emsigsten treusten Arbeiters fixirt,
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