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Die Grenzboten. Jg. 24, 1865, II. Semester. I. Band.

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zeigt, ist mehr als halb geschlossen, während das andere mit dem Ausdruck
einer innern Fröhlichkeit geradeaus blickt. Von dieser herzigen, guten, glück¬
lichen Gemüthsstimmung umspielt der gleiche Ausdruck nicht minder das ge¬
schlossene; aber das breite Lid legt sich darüber wie eine zart verschleiernde
Wolke über die heitere lachende Sommersonne, und nur unter seinem schattigen
Rande zuckt mit milderem Glanz die schöne Fröhlichkeit des Herzens hervor,
die so voll und erquicklich aus dem weitoffenen linken Auge strahlt.

Die neueste Zeit hat mit einer der jüngsten Erwerbungen des Cabinets
diesem einen würdigen Wettstreiter um die höchsten Ziele der Bildnißzeichnung
mit jenen beiden größten Heroen derselben, Holbein und Dürer, aus einem
Theile der Welt zugeführt, wo wir, ehe uns letzterer erschlossen wurde, unter
allen Landen wohl am wenigsten etwas dem Aehnliches vermuthet und ge¬
sucht haben würden: aus Japan. Die preußische Expedition nach Ostasien
brachte mit jeder Art von Proben japanesischen Kunstfleißes und damit eben-
sovielen Beweisen seiner glänzenden Entwicklung eine Menge von Bildern
und Holzschnittwerken dortiger Künstler mit herüber, welche uns nöthigten,
endlich den Vorurtheilen und der geringen Meinung gründlich zu entsagen, die,
von der Anschauung der kindischen Kunst der Chinesen abstrahirt, einen richtigen
Begriff von der jenes grundverschiedenen Volkes bisher bei uns nicht hatten
aufkommen lassen. Aber in noch höherem Grade als diese Arbeiten meist ge¬
wöhnlichster, populärster Bestimmung. Bilderbücher und Bilderbogen natur¬
geschichtlicher und menschlicher Gegenstände und Scenen, welche eine seltene
Fertigkeit in der Darstellung des Charakteristischen der natürlichen Erscheinungen
als ein allverbreitetes Gemeingut der japanesischen Zeichner bekundeten, in noch
höherem Grade wird unsre Anschauung von dem, was diese leisten können und
leisten, rectificirt durch jenes Skizzenbuch eines ihrer berühmtesten Maler, des
Towleskey, welches von der Expedition für unser Kupferstichcabinet mitgebracht
wurde. Auffällig und überraschend sind darin zunächst die mannigfachen Be¬
rührungspunkte und Aehnlichkeiten mit jener Sammlung der holbeinschen Porträt¬
köpfe. Die Zeichnungen des japanesischen Meisters sind von derselben Größe,
stellen Gesichter jedes Alters und Geschlechts dar und -- es ist keine Uebertreibung
-- zeigen oft genug keine geringere Höhe der Meisterschaft. Die abscheuliche
Uniformität der Haartracht und die andere, welche für ein an europäische
Mannigfaltigkeit der Gesichtsbildungen gewöhntes Auge der allgemeine nationale
Typus des Schädelknochenbaues bei den Japanesen hervorbringt, diese Unifor¬
mität, aus welcher sich das Persönlich-Individuelle des Gesichtscharakters und
Ausdrucks so viel schwieriger hindurchzuringen vermag, nöthigt uns, die Kunst
des Malers nur um so mehr zu bewundern, der es so wie dieser versteht, inner¬
halb solches Gesammttypus die besondre menschliche Persönlichkeit in solcher
Feinheit und Bestimmtheit in seinen Bildnissen zur Geltung und zur Anschauung


zeigt, ist mehr als halb geschlossen, während das andere mit dem Ausdruck
einer innern Fröhlichkeit geradeaus blickt. Von dieser herzigen, guten, glück¬
lichen Gemüthsstimmung umspielt der gleiche Ausdruck nicht minder das ge¬
schlossene; aber das breite Lid legt sich darüber wie eine zart verschleiernde
Wolke über die heitere lachende Sommersonne, und nur unter seinem schattigen
Rande zuckt mit milderem Glanz die schöne Fröhlichkeit des Herzens hervor,
die so voll und erquicklich aus dem weitoffenen linken Auge strahlt.

Die neueste Zeit hat mit einer der jüngsten Erwerbungen des Cabinets
diesem einen würdigen Wettstreiter um die höchsten Ziele der Bildnißzeichnung
mit jenen beiden größten Heroen derselben, Holbein und Dürer, aus einem
Theile der Welt zugeführt, wo wir, ehe uns letzterer erschlossen wurde, unter
allen Landen wohl am wenigsten etwas dem Aehnliches vermuthet und ge¬
sucht haben würden: aus Japan. Die preußische Expedition nach Ostasien
brachte mit jeder Art von Proben japanesischen Kunstfleißes und damit eben-
sovielen Beweisen seiner glänzenden Entwicklung eine Menge von Bildern
und Holzschnittwerken dortiger Künstler mit herüber, welche uns nöthigten,
endlich den Vorurtheilen und der geringen Meinung gründlich zu entsagen, die,
von der Anschauung der kindischen Kunst der Chinesen abstrahirt, einen richtigen
Begriff von der jenes grundverschiedenen Volkes bisher bei uns nicht hatten
aufkommen lassen. Aber in noch höherem Grade als diese Arbeiten meist ge¬
wöhnlichster, populärster Bestimmung. Bilderbücher und Bilderbogen natur¬
geschichtlicher und menschlicher Gegenstände und Scenen, welche eine seltene
Fertigkeit in der Darstellung des Charakteristischen der natürlichen Erscheinungen
als ein allverbreitetes Gemeingut der japanesischen Zeichner bekundeten, in noch
höherem Grade wird unsre Anschauung von dem, was diese leisten können und
leisten, rectificirt durch jenes Skizzenbuch eines ihrer berühmtesten Maler, des
Towleskey, welches von der Expedition für unser Kupferstichcabinet mitgebracht
wurde. Auffällig und überraschend sind darin zunächst die mannigfachen Be¬
rührungspunkte und Aehnlichkeiten mit jener Sammlung der holbeinschen Porträt¬
köpfe. Die Zeichnungen des japanesischen Meisters sind von derselben Größe,
stellen Gesichter jedes Alters und Geschlechts dar und — es ist keine Uebertreibung
— zeigen oft genug keine geringere Höhe der Meisterschaft. Die abscheuliche
Uniformität der Haartracht und die andere, welche für ein an europäische
Mannigfaltigkeit der Gesichtsbildungen gewöhntes Auge der allgemeine nationale
Typus des Schädelknochenbaues bei den Japanesen hervorbringt, diese Unifor¬
mität, aus welcher sich das Persönlich-Individuelle des Gesichtscharakters und
Ausdrucks so viel schwieriger hindurchzuringen vermag, nöthigt uns, die Kunst
des Malers nur um so mehr zu bewundern, der es so wie dieser versteht, inner¬
halb solches Gesammttypus die besondre menschliche Persönlichkeit in solcher
Feinheit und Bestimmtheit in seinen Bildnissen zur Geltung und zur Anschauung


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 24, 1865, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341801_283352/238>, abgerufen am 15.01.2025.