Die Grenzboten. Jg. 24, 1865, II. Semester. I. Band.eben erwachenden Stürme und Kämpfe der Reformation noch kaum die Welt Diese kostbare Sammlung findet eine kaum minder kostbare Ergänzung eben erwachenden Stürme und Kämpfe der Reformation noch kaum die Welt Diese kostbare Sammlung findet eine kaum minder kostbare Ergänzung <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0236" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/283589"/> <p xml:id="ID_660" prev="#ID_659"> eben erwachenden Stürme und Kämpfe der Reformation noch kaum die Welt<lb/> zu durchtosen, die Geister durcheinander zu schütteln und sie selbst zu berühren<lb/> begonnen haben. Man vermißt in allen gänzlich den Ausdruck und das Gepräge<lb/> des Fanatismus, welches den Geistlichen-Physiognomien der zweiten Hälfte<lb/> desselben Jahrhunderts durchweg eigen ist. Die hagern, fleischlosen Gesichter<lb/> einiger sehen so mehr treuherzig als ascetisch aus, und die in der Mehrzahl<lb/> befindlichen vollen oder fetten und aufgeschwemmten, mit Doppelkinn und<lb/> Hängebacken vereinen mit der natürlichen Behaglichkeit des Temperaments meist<lb/> den Ausdruck des tiefen innern Friedens gläubiger Seelen oder einer heitern<lb/> und ruhigen Klugheit. Ebenso interessant ist es, die Physiognomien der Augs-<lb/> burger Patricier, die Fugger an der Spitze, zu prüfen. So viel Feinheit, über¬<lb/> legne kühle Ruhe und berechnender Verstand spricht uns aus dem Antlitz aller<lb/> Hauptträger dieses berühmten Bankiergeschlechts entgegen, daß die Erwerbung<lb/> und stete Vermehrung ihrer ungeheuern Reichthümer sehr erklärlich und verständ¬<lb/> lich aus diesen Gesichtern wird. An jugendlicher und besonders weiblicher<lb/> Schönheit nach unsern heutigen Begriffen fehlt es sehr auffallend. Hier und<lb/> da wohl ein langhaariger junger Patriciersohn mit einem Anfluge von der<lb/> ritterlichen oder der naiven Anmuth heiliger Jünglinge in altdeutschen Gemälden;<lb/> aber kaum eine einzige deutsche Frau oder Jungfrau, welche auch nur entfernt den<lb/> Phantasien der nationalen Romantiker entspräche. Stehen doch auch Holbeins<lb/> Madonnenkopf und Gestalt, und außer ihr einzelne dürersche Marien als<lb/> wirklich holde und reizvolle Frauen- und Mädchenbilder fast allein unter allen<lb/> weiblichen Erscheinungen, von denen uns die Kunst unsres Vaterlandes aus<lb/> jenem Jahrhundert Kunde giebt. Im Durchschnitt ist es ein Geschlecht mit breiten,<lb/> starken Backenknochen, gedrückten Augen, harten Kiefern, hölzernen Lippen, engen<lb/> und befangnen Ausdrucks und kümmerlicher Gestalt, was nicht ausschließt, daß<lb/> das reifere Alter, die Mutter- und Hausfrauenschaft doch noch das erfreuliche<lb/> Gepräge charaktervoller Tüchtigkeit, häuslicher Bravheit, Umsicht und Güte in<lb/> ihnen entwickelt, wie es in diesen holbeinschen Porträts der „frommen Haus¬<lb/> frau" manches Patriciers oft so liebenswürdig zur Erscheinung kommt. Jeden¬<lb/> falls aber waren in „teutschen Landen" im sechszehnten Jahrhundert die Män¬<lb/> ner der schönere Theil und mit gutem Grunde.</p><lb/> <p xml:id="ID_661" next="#ID_662"> Diese kostbare Sammlung findet eine kaum minder kostbare Ergänzung<lb/> an einer ähnlich umfangreichen von Porträtzeichnungen von Albrecht Dürers<lb/> Hand. Sie sind durchweg größer als die holbeinschen, sämmtlich mit der<lb/> einfachen Kohle auf geleimtes Papier gezeichnet, und dann durch Erhitzung<lb/> desselben mit Dämpfen fixirt. Außer ihrer künstlerischen Bedeutung werden sie<lb/> dadurch noch wichtig, daß sie die treuesten Bildnisse aller aus einem Reichstag<lb/> zu Augsburg versammelt gewesenen deutschen Fürsten sind, vom Kaiser Maxi¬<lb/> milian dem Ersten beginnend. In solchen Arbeiten unmittelbar vor einer so</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0236]
eben erwachenden Stürme und Kämpfe der Reformation noch kaum die Welt
zu durchtosen, die Geister durcheinander zu schütteln und sie selbst zu berühren
begonnen haben. Man vermißt in allen gänzlich den Ausdruck und das Gepräge
des Fanatismus, welches den Geistlichen-Physiognomien der zweiten Hälfte
desselben Jahrhunderts durchweg eigen ist. Die hagern, fleischlosen Gesichter
einiger sehen so mehr treuherzig als ascetisch aus, und die in der Mehrzahl
befindlichen vollen oder fetten und aufgeschwemmten, mit Doppelkinn und
Hängebacken vereinen mit der natürlichen Behaglichkeit des Temperaments meist
den Ausdruck des tiefen innern Friedens gläubiger Seelen oder einer heitern
und ruhigen Klugheit. Ebenso interessant ist es, die Physiognomien der Augs-
burger Patricier, die Fugger an der Spitze, zu prüfen. So viel Feinheit, über¬
legne kühle Ruhe und berechnender Verstand spricht uns aus dem Antlitz aller
Hauptträger dieses berühmten Bankiergeschlechts entgegen, daß die Erwerbung
und stete Vermehrung ihrer ungeheuern Reichthümer sehr erklärlich und verständ¬
lich aus diesen Gesichtern wird. An jugendlicher und besonders weiblicher
Schönheit nach unsern heutigen Begriffen fehlt es sehr auffallend. Hier und
da wohl ein langhaariger junger Patriciersohn mit einem Anfluge von der
ritterlichen oder der naiven Anmuth heiliger Jünglinge in altdeutschen Gemälden;
aber kaum eine einzige deutsche Frau oder Jungfrau, welche auch nur entfernt den
Phantasien der nationalen Romantiker entspräche. Stehen doch auch Holbeins
Madonnenkopf und Gestalt, und außer ihr einzelne dürersche Marien als
wirklich holde und reizvolle Frauen- und Mädchenbilder fast allein unter allen
weiblichen Erscheinungen, von denen uns die Kunst unsres Vaterlandes aus
jenem Jahrhundert Kunde giebt. Im Durchschnitt ist es ein Geschlecht mit breiten,
starken Backenknochen, gedrückten Augen, harten Kiefern, hölzernen Lippen, engen
und befangnen Ausdrucks und kümmerlicher Gestalt, was nicht ausschließt, daß
das reifere Alter, die Mutter- und Hausfrauenschaft doch noch das erfreuliche
Gepräge charaktervoller Tüchtigkeit, häuslicher Bravheit, Umsicht und Güte in
ihnen entwickelt, wie es in diesen holbeinschen Porträts der „frommen Haus¬
frau" manches Patriciers oft so liebenswürdig zur Erscheinung kommt. Jeden¬
falls aber waren in „teutschen Landen" im sechszehnten Jahrhundert die Män¬
ner der schönere Theil und mit gutem Grunde.
Diese kostbare Sammlung findet eine kaum minder kostbare Ergänzung
an einer ähnlich umfangreichen von Porträtzeichnungen von Albrecht Dürers
Hand. Sie sind durchweg größer als die holbeinschen, sämmtlich mit der
einfachen Kohle auf geleimtes Papier gezeichnet, und dann durch Erhitzung
desselben mit Dämpfen fixirt. Außer ihrer künstlerischen Bedeutung werden sie
dadurch noch wichtig, daß sie die treuesten Bildnisse aller aus einem Reichstag
zu Augsburg versammelt gewesenen deutschen Fürsten sind, vom Kaiser Maxi¬
milian dem Ersten beginnend. In solchen Arbeiten unmittelbar vor einer so
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